| # taz.de -- Alternativer Weltkarten-Entwurf: Kein Zentrum, keine Richtung | |
| > Die japanische Authagraph-Weltkarte mutet zerknautscht an. Ihr Designer | |
| > Hajime Narukawa will mit ihr neue Denkräume erschließen. | |
| Bild: New World Order: Liegen Australien und die Antarktis wirklich so weit aus… | |
| Als Kind machte es Hajime Narukawa Spaß, die Milchtüten aus der Schule | |
| aufzublasen und mit einem Knall platt zu treten. Schon damals erschien es | |
| ihm kurios, dass die pyramidenförmigen Kartons zu rechteckigen Flächen | |
| wurden. | |
| Als Erwachsener beschäftigte sich Narukawa, inzwischen studierter Architekt | |
| und Produktdesigner, erneut mit der Frage, wie ein dreidimensionales Objekt | |
| zu einer Ebene werden kann. Allerdings war der Maßstab ein anderer: Nicht | |
| mehr um Milchpackungen ging es, sondern um die Erde. | |
| „Authagraph Map“ heißt die abenteuerlich anmutende Weltkarte, die Narukawa | |
| zusammen mit seinem Team entwickelte. 2009 wurde sie erstmals öffentlich | |
| vorgestellt, inzwischen findet sie [1][laut ihrer Website] in Japan sogar | |
| in Schulbüchern Verwendung. Nachdem sie [2][den japanischen „Good Design | |
| Grand Award“] im November gewonnen hatte, wurde sie auch in deutschen | |
| Medien vorgestellt. | |
| Nun gibt es bereits viele Hunderte Methoden, die eigentlich unmögliche | |
| Aufgabe zu lösen, die Erdoberfläche aufs Papier zu bringen. Der große | |
| Fixpunkt ist dabei bis heute [3][die Mercator-Projektion]. Sie wurde in | |
| ihrer Urform 1569 vom Kartografen Gerhard Mercator geschaffen und sie wird | |
| heute genutzt, unter anderem von Google Maps. | |
| ## Aufgeblasene Polarregionen | |
| Ihr Erfolgsgeheimnis ist die „Winkeltreue“: Bei der Mercator-Projektion | |
| wird eine Kugel auf einen Zylinder projiziert. Daher bleiben die | |
| Längengrade immer parallel. Das führt an den Rändern der Karte zu enormen | |
| Flächenverzerrungen, die Polarregionen sind zu breiten Schlieren verzerrt. | |
| „Dabei sind das sind wirtschaftlich und politisch gesehen extrem wichtige | |
| Regionen“, meint Narukawa. „Die dürfen wir in Zeiten des Klimawandels nicht | |
| weiter ignorieren.“ | |
| Also suchte Narukawa auch anderweitig nach Inspiration und fand sie in der | |
| [4][weitaus weniger bekannten „Dymaxion Map“] von Richard Buckminster | |
| Fuller. Buckminster Fuller war Architekt, Designer, Universalgenie, | |
| Lebensforscher. Berühmt wurde er für seine Kuppelbauten, genau wie Narukawa | |
| stieß er als eigentlich Fachfremder zur Kartografie stieß. | |
| Er entwickelte seine Weltkarte in den 40er Jahren auf der Basis einer | |
| einfachen geometrischen Idee: Seine Dymaxion-Projektion lässt sich zu einem | |
| stark vereinfachten Globus, einem Polyeder („Vielflächer“) zusammenfalten. | |
| Die Karte bietet ein flächengetreues Abbild der Erde, ergibt jedoch keine | |
| rechteckige Form: Die Ozeane sind durch große Einschnitte unterbrochen. | |
| Narukawa wollte es besser machen: „Das Ziel meiner Karte ist es, so | |
| nützlich und vollständig wie eine Mercator-Projektion und dabei so akkurat | |
| wie die Dymaxion Map zu sein“, sagt er. Und bei der methodischen Umsetzung | |
| kamen die Milchtüten aus seiner Kindheit wieder ins Spiel: Die | |
| Erdoberfläche zerteilte er in 96 Einzelflächen, die sich auf den vier | |
| Seiten einer Pyramide abbilden lassen – und von dieser Basis aus, puff!, | |
| eingeebnet werden können. | |
| ## Ästhetisch und windschief zugleich | |
| Die so entstandene Karte mutet zugleich ästhetisch und zerknautscht an, wie | |
| auseinandergefallen und windschief wieder zusammengesetzt – ihr | |
| Origami-Erbe hinterlässt seine Spuren. „Unsere Projektionsmethode bringt | |
| die Längen- und Breitengrade komplett durcheinander“, gibt Narukawa zu. Er | |
| wisse, dass die Karte wissenschaftlich noch einige Mängel aufweise. Sein | |
| Labor arbeite daran, diese zu beheben. | |
| Der Grundimpuls der Authagraph-Karte war jedoch nie ausschließlich | |
| wissenschaftlicher Natur. Narukawa geht es auch darum, mittels | |
| geometrischer Meditationen neue Denkräume zu erschließen: „Mein | |
| Arbeitsplatz ist so chaotisch wie ein Kinderzimmer. Wenn ich einer Idee | |
| folge, fange ich nie damit an, Bücher zu lesen. Ich zeichne und baue | |
| Modelle – oft fängt meine Hand etwas an zu tun, was nicht vorgesehen war.“ | |
| So kommuniziert die Weltkarte ihre politischen Ansprüche auf spielerische | |
| Weise: indem jeder Punkt der Erde zum Zentrum werden kann etwa und indem | |
| sie sich unbeschränkt aneinanderreihen lässt. Das entstehende Bild stellt | |
| herkömmliche Richtungszuweisungen („der hohe Norden“, „der Westen“) au… | |
| Kopf und bietet nebenbei einen poetischen Beitrag zur aktuellen politischen | |
| Lage: Die Welt kehrt immer wieder zu sich zurück. Es gibt nur eine – allein | |
| deshalb ist es so wichtig, aus dem regionalen Klein-Klein-Denken | |
| auszubrechen. | |
| 17 Dec 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.authagraph.com/top/?lang=en | |
| [2] http://www.g-mark.org/award/describe/44527 | |
| [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Mercator-Projektion | |
| [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Dymaxion#Dymaxion-Weltkarte | |
| ## AUTOREN | |
| Dilbahar Askari | |
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| Schwerpunkt Christian Semler | |
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