# taz.de -- Aus „Le Monde diplomatique“: Surrealer Weltentwurf | |
> In der Schule lernen wir Karten als objektive Abbildungen zu lesen. Dabei | |
> sind es nur unterschiedliche Interpretationen der Welt. | |
Bild: Die Surrealisten waren fasziniert von den Riten der Osterinsel. | |
Im Juni 1929 erschien in der belgischen Kulturzeitschrift Variétés eine der | |
surrealistischen Bewegung gewidmete Sondernummer. Unter den Beiträgen | |
namhafter surrealistisch gesinnter Künstler und Schriftsteller | |
hauptsächlich französischer Provenienz stach eine Weltkarte ins Auge, die | |
mit „Die Welt zur Zeit der Surrealisten“ untertitelt war. Es fehlte ein | |
Autorenvermerk. | |
Aber Zeitgenossen wie späteren Autoren zufolge stammte die Karte von Yves | |
Tanguy, einem bretonischen Zeichner und Maler, der dem Surrealismus schon | |
1924, zur Zeit des ersten, von André Breton verfassten surrealistischen | |
Manifests, verbunden war. Ebenso eindeutig bezeugt ist, dass Tanguy die | |
ästhetischen wie die politischen Positionen seiner Freunde vollkommen | |
teilte. | |
Diese Weltkarte kann demnach als eine Art gemeinsames Manifest der | |
surrealistischen Gruppe angesehen werden. Und sie war in der Tat eine | |
Provokation, stellte sie doch die übliche Sicht auf unsere Welt radikal | |
infrage. | |
## Als Europa noch der Nabel der Welt war | |
Konventionelle Weltkarten bedienten sich der Technik des Aufrisses der Welt | |
in zweidimensionaler Ausdehnung. So war es Usus seit 1569, als Geradus | |
Mercator seine Karte gezeichnet hatte. Im Zentrum der Weltkarten lag dabei | |
stets Europa. Die Fläche des „alten Kontinents“ wurde vergrößert | |
dargestellt, ebenso der Nordatlantik und – später – die Vereinigten Staaten | |
(USA). Kartografisch war dies die Folge einer Technik, die die polnahen | |
Regionen vergrößert. Gleichzeitig gehorchte aber diese Zuschneidung der | |
Welt politischen wie ökonomischen Zwecken. Die wesentlichen Handelswege | |
waren eingezeichnet, auch die großen Umschlagplätze für Güter. Was sich | |
dieser Logik nicht einpassen ließ, etwa kulturelle oder soziale Aspekte, | |
wurde als häufig exotische Marginalie an den Kartenrand verschoben. | |
Bei diesem Stand der Dinge war es nur konsequent, dass der Nullmeridian | |
1884 durch das englische Greenwich gezogen wurde, also durch das Zentrum | |
der damaligen Kolonialmacht Nummer eins. Diese Sicht auf die Welt wurde in | |
der „westlichen Hemisphäre“ jedem Schulkind eingebläut und galt deshalb d… | |
öffentlichen Bewusstsein als objektiv, als geografische Realität. | |
Hinter der geografischen Aufblähung Europas, damals noch Zentrum des | |
Kolonialismus und Imperialismus, stand der Mythos vom europäischen | |
Kontinent als Inbegriff der globalen Zivilisation. Es war diese Anmaßung, | |
die die Surrealisten zur vollständigen Umkehrung der eurozentrischen | |
Geografie veranlasste. Ihre Karte war eine Antwort darauf, besser: eine | |
Illustration der Sichtweise, die der Dichter Paul Valéry 1919 in dem | |
Aufsatz „Die Krise des europäischen Bewusstseins“ angeregt hatte.(1) Valé… | |
hatte gefragt, ob Europa zu dem wird, was es seiner Meinung nach in | |
Wirklichkeit sei: „eine kleine Spitze des asiatischen Kontinents“. | |
## Die Surrealisten ließen Frankreich verschwinden | |
Was auf der Karte der Surrealisten zu sehen war, stellte die | |
eingeschliffenen Erwartungen auf den Kopf. Infolge der euro-atlantischen | |
Fixierung war auf den herrschenden Weltkarten ein Großteil des Pazifischen | |
Ozeans und seiner Inselwelt verschwunden. Auf der surrealistischen Karte | |
lag der Pazifische Ozean hingegen genau in der Mitte, während Europa, auf | |
eine Winzigkeit reduziert, kaum am linken Rand der Karte zu entdecken war. | |
Die Größenverhältnisse der Länder und Kontinente sind einer radikalen | |
Redimensionierung unterworfen. Die Vereinigten Staaten fehlen vollständig, | |
England schrumpft zu einem kaum sichtbaren Punkt gegenüber dem | |
dominierenden Irland zusammen. | |
Dass Frankreich auf der Karte gänzlich fehlt, ist die Antwort der | |
Surrealisten auf den überbordenden französischen Nationalismus der | |
Nachkriegszeit. Schon Jahre vor der Kartenproduktion hatten die | |
Surrealisten mit dem Ruf „Es lebe Deutschland!“ eine Festveranstaltung | |
nachhaltig gestört, zu der auch der reaktionär-nationalistische Dichter | |
Paul Claudel eingeladen war. | |
Die ausdrückliche Einzeichnung Deutschlands auf der Weltkarte verdankte | |
sich diesem gleichen Impetus, ebenso die Heraushebung des nicht mehr | |
existierenden „Österreich-Ungarn“ als Antwort auf die missratene | |
nationalistisch orientierte Nationenbildung in Ost- und Südosteuropa. | |
## Ganz groß: Das sowjetische Russland und das revolutionäre China | |
Deutschland war auch aus zwei anderen Gründen dem Herzen der Surrealisten | |
nahe. Breton und seine Freunde waren Kenner der romantischen deutschen | |
Philosophie und Literatur, die der Poesie einen privilegierten Platz bei | |
der Erkenntnis der Welt eingeräumt hatte. Und Breton selbst hatte sich mit | |
der Philosophie Hegels beschäftigt, wobei ihn besonders die Verflüssigung | |
starrer begrifflicher Gegensätze und der Gedanke einer Synthese anzog, die | |
er freilich im Gegensatz zu Hegel zwischen der Welt des Rationalen und | |
Irrationalen zu vollziehen hoffte. | |
Das sowjetische Russland und das revolutionäre China (1929 entstehen die | |
ersten Sowjets in Südchina) kamen auf der Weltkarte groß heraus. Im Januar | |
1927 entschloss sich Breton, in die Kommunistische Partei Frankreichs | |
einzutreten. Er, der lebenslange Polarisierer und Streithammel, nahm mit | |
diesem Schritt eine Spaltung der Pariser Surrealisten in Kauf. Allerdings | |
währte diese Liaison nur kurze Zeit, denn 1932 wurde Breton wieder | |
ausgeschlossen – und dies aus gutem Grund. Denn er hatte politisch | |
klarsichtig gefordert, die Partei habe die Rolle der menschlichen | |
Subjektivität im Klassenkampf anzuerkennen und den Begriff der Freiheit ins | |
Zentrum zu rücken. | |
Aber Breton kann seine Annäherung an die PCF nicht ohne Reservatio mentalis | |
vollzogen haben. Wie anders ist erklärbar, dass auf der Weltkarte von 1929 | |
nicht nur Paris, die Weltstadt der surrealistischen Bewegung (nach der | |
Karte auf deutschem Territorium gelegen), sondern auch Konstantinopel | |
eingezeichnet ist? Die Insel Prinkipo bei Istanbul war seit Februar 1929 | |
das Exil von Leo Trotzki, mit dem Breton ein Jahrzehnt später das berühmte | |
Manifest über eine unabhängige revolutionäre Kunst verfassen sollte. | |
Frappierend ist auch die Großzügigkeit, mit der Weltregionen bedacht | |
werden, die zwar dünn bevölkert sind und über keine großen Reichtümer | |
verfügen, dafür aber über eine indigene, vom „Westen“ möglichst unberü… | |
Kultur. Alaska, Labrador, Grönland und Mexiko dominieren den Rest von Nord- | |
und Mittelamerika. Die Inselwelt Ozeaniens erscheint gewaltig groß, als | |
wollte sie es mit ganzen Kontinenten aufnehmen. | |
## Warum ist Afrika so klein geraten? | |
Aus ihrer Kritik am Pseudoobjektivismus der herrschenden Kartografie ziehen | |
die Surrealisten den Schluss, ihre Wunschvorstellungen, ihre Imagination | |
ins Recht zu setzen. Ihre Karte spiegelt ihre ästhetischen und politischen | |
Präferenzen im Jahr 1929. Einige Jahre später werden andere Länder ihre | |
Begeisterung wecken – und ihr politisches Engagement: Die Surrealisten | |
entdecken in den 1930er Jahren die präkolumbianischen Hochkulturen und | |
Breton selbst geht so weit, Mexiko zum surrealen Land „par excellence“ zu | |
erklären. Die mexikanische „Landnahme“ auf der Weltkarte wird mit reichem | |
Inhalt gefüllt. | |
Warum ist Afrika so klein geraten? Ein Grund dafür dürfte darin liegen, | |
dass im Europa der 1920er Jahre der Handel mit afrikanischen Skulpturen und | |
Kultgegenständen grassierte und nicht wenige europäische Künstler die | |
Formensprache der afrikanischen Völker nachahmten. Von diesem bürgerlichen | |
Hype wollten sich die Surrealisten wohl absetzen. | |
Kurze Zeit nach der Erstellung der Weltkarte gingen die Surrealisten ein | |
enges Bündnis mit jenen afrikanischen und karibischen Schriftstellern und | |
Künstlern ein, die die Strömung der „Negritude“ begründeten. „Negritud… | |
war genau aus dem Stoff gemacht, den die Surrealisten bei den indigenen | |
Völkern suchten: die Sehnsucht nach Kulturen jenseits des überkommenen | |
logozentrischen europäischen Systems. | |
André Bretons Pariser Wohnung in der Rue Fontaine Nr. 19 – keineswegs in | |
einem „besseren“ Viertel gelegen – war ein Dschungel, in dem man nur auf | |
schmalem Pfad zur zentralen Feuerstelle, Bretons Schreibtisch, gelangen | |
konnte. Hier stand, umgeben von Kunstwerken indigener Völker, ein Uli, eine | |
Holzskulptur aus dem damaligen Neuirland (heute Papua-Neuguinea). Sie | |
verkörperte in ihrer Zweigeschlechtlichkeit, in ihrer Funktion als Teil des | |
Ahnen- und Totenkults die Sehnsucht der Surrealisten nach einem weiteren | |
Begriff von Wirklichkeit. | |
## Die Surrealisten sahen die Weißen als „farblose Menschen“ | |
Zwar war keiner der Surrealisten Ende der 1920er Jahre selbst in die Südsee | |
aufgebrochen, aber Breton, Max Ernst und ihre Freunde studierten – und sie | |
sammelten unermüdlich. Breton seit seinem 18. Lebensjahr. Ihr Wunsch war | |
es, Unbewusstes abzubilden, die Erfahrung einer „poetischen Realität“ zu | |
erlangen. Kinder und „Primitive!“ hatten sich ihrer Meinung nach die | |
Fähigkeit zum „magischen Sehen“ bewahrt. Die Surrealisten kultivierten das | |
Bild einer harmonischen Einheit von Mensch und Natur gerade auch in den | |
ozeanischen Gesellschaften. | |
Nach Max Ernst besitzt der „primitive Papua den Schlüssel zu allen | |
Geheimnissen der Natur und gelangt mühelos zur vollständigen | |
Übereinstimmung mit ihr“.(2) Von den Riten der Osterinsel war Max Ernst, | |
der sich schon früh mit dem Totemismus auseinandergesetzt hatte, besonders | |
beeindruckt. Er war es auch, der nach dem Zweiten Weltkrieg als Einziger | |
der Surrealisten die Osterinsel besuchte und mit seinem Gemälde „Rosa | |
Vogel“ sein Schutztotem verewigte. Die Riten der Osterinsel hatten es den | |
Surrealisten so angetan, dass sie das Eiland auf der Weltkarte zur halben | |
Größe Afrikas aufblähten. | |
Die Surrealisten konsumierten ethnologische Schriften, darunter auch James | |
Frazers „Der goldene Zweig“,(3) ein Werk, das für die Menschheit ein | |
einheitliches, magisches Frühstadium postuliert hatte. Sie kritisierten | |
aber gleichzeitig die Ethnologen der Südsee, deren kühler Blick auf ihren | |
Forschungsgegenstand ihnen als zu distanziert vorkam. Die Surrealisten | |
wollten sich in die Welt der Seelen, Geister und Dämonen einleben, sie | |
wollten Träume und Mythen als Bestandteil der Wirklichkeit anerkennen. | |
Ein direkter Einfluss ozeanischer Kunst, etwa durch die Nachahmung formaler | |
Elemente, ist deshalb bei den Surrealisten kaum anzutreffen – anders als im | |
Fall beispielsweise der deutschen Expressionisten. Es ging ihnen nicht um | |
die archaischen Formen, sondern um die Evokation einer psychischen | |
Verfassung. Im Nachhinein, 1948, schrieb André Breton: „Ozeanien! Was für | |
einen Nimbus hat dieses Wort im Surrealismus besessen. Es war einer der | |
großen ’Schleusenwärter‘ unseres Herzens.“(4) Ozeanische Kunst sollte d… | |
Schleusen zu unbewussten Emotionen, Ängsten und Begierden öffnen. | |
## Angriff auf den Kolonialstaat | |
Im Rückblick bietet der Pazifik des Jahres 1929 einen geradezu idyllischen | |
Anblick. Nur kurze Zeit später wird der japanische Imperialismus angreifen | |
und dem westlichen Kolonialismus sein Ende bereiten. Japan allerdings ist | |
auf der surrealen Weltkarte 1929 schon auf das ihm zukommende Maß | |
geschrumpft. | |
Man wird die leidenschaftliche Parteinahme der Surrealisten für die Sache | |
der ausgebeuteten und unterdrückten Völker nur verstehen, wenn man sie vor | |
dem Hintergrund ihrer Vernunftkritik sieht. Hierin unterscheiden sie sich | |
grundlegend von ihrem Lehrmeister Sigmund Freud, der vom Es zum Ich wollte. | |
Für die Surrealisten war der umkehrte Weg der richtige. Dabei erschien | |
ihnen die herrschende Kartografie nur als Sonderfall eines Denkens, das um | |
die Dimension des Traums, um die Manifestationen des Unbewussten, um das | |
weite Reich des „Irrationalen“ verkürzt war. | |
Leben und Tod, das Reale und das Imaginäre, hoch und niedrig sollten nicht | |
mehr als sich ausschließende Gegensätze begriffen werden. Ihre Kritik der | |
Vernunft war gemeint als Kritik an den konzeptionellen Kategorien, die | |
stets zum Vorteil der herrschenden Klasse funktionieren. Denn für die | |
Bourgeoisie ist es überlebenswichtig, gesellschaftliche Verhältnisse als | |
quasi unumstößliche Naturgegebenheiten darzustellen. | |
Weiß sein bezieht sich bei den Surrealisten nicht auf die Hautfarbe, | |
sondern schließt diskursive Praktiken ein, mittels derer die sozialen | |
Hierarchien aufrechterhalten werden sollen. Es geht um den Status der | |
Farbe. Die Surrealisten verstehen den Begriff des „Weißen“ als eine zum | |
Naturverhältnis verwandelte gesellschaftliche Konstruktion. Zum Weißen wird | |
man gemacht. Weshalb die Europäer von den Surrealisten spöttisch als | |
„farblose Menschen“ bezeichnet werden. | |
„Glaubt ihr wirklich“, schreibt Paul Eluard 1925, „dass selbst der | |
stoischste Sklave ewig die stumpfsinnigen Grausamkeiten ertragen wird, die | |
die weiße Dekadenz ihm auferlegt?“(5) „Weiße Dekadenz“ ist hier kein | |
reaktionärer Topos der Kulturkritik. Denn nach Eluard gibt es „nur zwei | |
Rassen auf der Welt – die Unterdrücker und die Unterdrückten“. Die | |
Surrealisten greifen den französischen Kolonialstaat an, konsequenterweise | |
aber auch ein Massenbewusstsein, das sich vom Bild des „größeren | |
Frankreich“, vom Frankreich der „fünf Kontinente“, einlullen lässt. | |
## Die Gegenausstellung | |
Zwei Jahre nach der Publikation der surrealistischen Weltkarte (auf der | |
natürlich keine Kolonialgebiete verzeichnet sind) fand von Mai bis November | |
1931 in Paris die große Kolonialausstellung statt, die sieben Millionen | |
Besucher anzog, darunter viele republikanisch und demokratisch gesinnte | |
Menschen, die dem Mythos der zivilisatorischen Mission Frankreichs erlagen. | |
Diese Ideologie verschmolz mit dem Exotismus und der Pracht | |
unterschiedlicher Kulturen der unterworfenen Völker zu einem schillernden | |
Amalgam. | |
Aber die gestern noch als exotisch wahrgenommenen Kolonialvölker rückten | |
nach dem Ersten Weltkrieg dem „Mutterland“ bedrohlich nah. Als Arbeiter und | |
Studenten tauchten viele Kolonisierte vor allem in Paris auf. Und in einer | |
Reihe ostasiatischer und arabischer Kolonien formierte sich bereits eine | |
Unabhängigkeitsbewegung. Neben den Kommunisten waren es vor allem die | |
Surrealisten, die gegen die Ausstellung kämpfen. Sie sahen in Frankreich | |
„die solideste Festung der Unterdrückung auf der Welt“, wie es der | |
Surrealist Pierre Unik ausdrückte. | |
1931 organisierten die Surrealisten im ehemaligen sowjetischen Pavillon der | |
dekorativen Künste eine Gegenausstellung: „Die Wahrheit über die Kolonien“ | |
– konzipiert und zusammengestellt von Louis Aragon, Paul Eluard und Yves | |
Tanguy.(6 )Ein großer Besucherandrang war ihr nicht beschieden, aber sie | |
verdeutlichte noch einmal die Motive, die auch der Weltkarte von 1929 | |
zugrunde lagen. | |
Die Surrealisten begnügten sich hier nicht damit, die besondere | |
Spiritualität indigener Kultobjekte aufzuzeigen. Vielmehr wollten sie auch | |
in der christlichen Religion den „Aberglauben“, die magische Dimension | |
sichtbar machen. Also wurde der Blick der „Weißen“ auf die Kolonisierten | |
thematisiert: Wir sehen die Abbildung mit der Unterschrift „Europäische | |
Fetische“: Rechts die Jungfrau Maria mit dem Kind, links eine barbusige | |
Schwarze, in der Mitte ein bekehrter Eingeborener, der dank des eingebauten | |
Mechanismus dem Spender zugewandt dankend den Kopf senkt, wirft man ein | |
Geldstück in seine Schale. Christliche Religion und Magie stehen für die | |
Surrealisten auf gleicher Ebene. Die Schale mit der Aufschrift „Merci“ | |
ironisiert die Wohltaten der zivilisierten Welt. Umgeben von | |
Kunstgegenständen der „Primitiven“, lesen wir auf einem Spruchband den Satz | |
„Ein Volk, das andere unterdrückt, kann selbst nicht frei sein“, ein | |
Leitmotiv des antikolonialen Kampfs von Karl Marx und Friedrich Engels. (7) | |
Die Weltkarte von 1929 – ein Spaß, eine Provokation, ein Glaubensbekenntnis | |
– eine Aufforderung zum Handeln. | |
Fußnoten: | |
(1) Paul Valéry, „Die Krise des Geistes“. Drei Essays, Frankfurt am Main | |
(Suhrkamp/Insel) 1956. | |
(2) Max Ernst, zitiert nach: William Rubin, „Primitivism in the 20th | |
Century Art“, NY 1984, The Museum of Modern Art, Bd. 2, S. 553. | |
(3) James Frazer, „Der goldene Zweig“, Hamburg (Rowohlt) 1989 (Nachdruck). | |
(4) André Breton, zitiert nach: „Die Poesie der Dinge. Surrealistisches | |
Sehen und die Kunst der Südsee“, Katalog, Berlin 2006, S. 38. | |
(5) Paul Eluard, „La suppression de l’esclavage“ in: "La Révolution | |
Surrealiste, Nr. 3, April 1925, zitiert nach: Wolfgang Asholt und Hans T. | |
Siepe, „Surrealisme et Politique – Kritique du Surrealisme“, Amsterdam | |
2007, S. 170/171. | |
(6) Zwei Abbildungen aus der Gegenausstellung finden sich in "Le | |
Surrealisme au service de la révolution, Nr. 4, 1931, abgedruckt in: | |
Raymond Spiteri und Donald LaCoss (Hg.), „Surrealism, Politics und | |
Culture“. Studies in European Cultural Transition, Bd. 16, Ashgate, | |
Aldershot and Burlington, 2003. | |
(7) Vgl. Friedrich Engels, „Eine polnische Proklamation“, in: MEW, Bd. 18, | |
S. 519 ff. | |
© [1][Le Monde diplomatique], Berlin vom 11.1.2013 | |
13 Jan 2013 | |
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Christian Semler | |
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Christian Semler, linker Intellektueller und langjähriger taz-Autor, ist | |
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