Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kartografieprofessor über seine Arbeit: „Karten sind immer impli…
> Warum es nicht möglich ist, eine Kugel ideal in zwei Dimensionen
> abzubilden. Jürgen Schweikart über Apfelsinen und aufgeblähte
> Ostblockstaaten.
Bild: Rechtwinklig, aber flächenverzerrt: Auf der Mercator-Projektion erschein…
taz.am wochenende: Herr Schweikart, gibt es überhaupt die ideale
kartografische Abbildung der Welt? Oder ist eine Projektion immer nur eine
Annäherung?
Jürgen Schweikart: Wir bewegen uns immer im Bereich des Modellhaften. Das
fängt schon damit an, dass wir die Erde für Projektionen mathematisch als
eine Kugel oder einen Ellipsoid begreifen, was sie im Grunde gar nicht ist.
Und dann wird diese Kugel eingeebnet, wobei schon Leonhard Euler im 18.
Jahrhundert festgestellt hat, dass das komplett verzerrungsfrei nicht geht:
Eine Apfelsinenschale kann man drücken, wie man will – komplett flach wird
sie dadurch nicht.
Das heißt, jede Weltkarte ist eine Kompromisslösung?
Grundsätzlich bewegt sich jede Projektion zwischen drei Ansprüchen, die
nicht alle zugleich erfüllbar sind: Winkeltreue, Flächentreue und
Längentreue.
Welcher Faktor ist hierbei der wichtigste?
Das kommt ganz darauf an, was eine Karte leisten soll. Die Winkeltreue hat
den Erfolg [1][der Mercator-Projektion] begründet: Sie stammt aus dem 16.
Jahrhundert, also der Zeit der großen Seefahrten, und hat das Navigieren
erheblich erleichtert. Dabei wird so getan, als sei die Erde ein Zylinder –
somit ist Norden von jedem Punkt der Erde aus immer oben und Seekurse
lassen sich unkompliziert mit dem Lineal einzeichnen. Das Manko der
Mercator-Karten ist allerdings die grobe Flächenverzerrung: Je polnäher die
Landmassen, desto aufgeblähter wirken sie. Aber den Seefahrern war die
Flächentreue damals herzlich egal, die wollten navigieren. Also galt das
Prinzip: Form follows function.
Würden Sie sagen, die Mercator-Projektion ist eine sehr „menschliche“
Abbildung der Erde, weil sie die Bedürfnisse ihrer Zeit widerspiegelt?
Der Entstehungskontext hat immer einen Einfluss. Kartografie und
Gesellschaft waren sich gegenseitig seit jeher ein Spiegelbild. Karten sind
ein geistiges Erzeugnis, beinahe wie Musik, Lyrik, Prosa, und damit
potenziell anschlussfähig für Manipulation. Und sie sind immer zumindest
implizit politisch: Das fängt damit an, dass man ein optisches Zentrum
wählt oder sich für eine Methode entscheiden kann, durch die manche Länder
kleiner oder größer wirken, als sie es tatsächlich sind. Jede Karte legt
eine Axiologie in den Köpfen fest. Und durch Farbgebung und andere
Gestaltungsmittel lässt sich auch vieles erreichen.
Können Sie ein Beispiel geben?
Die Mercator-Karten waren während der Zeit des Kalten Krieges politisch
gewollt. Die Verzerrungen zum Pol hin haben gut in die Blockmentalität
gepasst. Da konnte man sagen: Schaut mal, die Ostblockländer sind viel
größer als wir, da müssen wir aufpassen. Inzwischen sind die Medien dafür
sensibilisiert. Das „Heute-Journal“ beispielsweise hat irgendwann die
Weltkarte aus ihrem Vorspann genommen und durch einen sich drehenden Globus
ersetzt, um Weltoffenheit zu suggerieren und die Vielfalt möglicher
Perspektiven zu unterstreichen.
Zuletzt berichteten diverse deutsche Medien von [2][der
Authagraph-Projektion des Japaners Hajime Narukawa], da diese einen
Design-Preis gewonnen hatte. Was halten Sie von diesem Entwurf?
Schauen Sie sich mal Südamerika an! Der Abstand quer durch Brasilien ist
viel zu groß, allein deswegen ist die Karte eigentlich inakzeptabel. Auch,
dass der Äquator an manchen Stellen Knicke hat und die Wendekreise
zwischendurch verschwinden, um dann wieder aufzutauchen – ich würde sagen:
Die Karte hat eine interessante, vielleicht auch aufregende Aufmachung.
Aber eine praktische Verwertbarkeit sehe ich weder für wissenschaftliche
noch für populärwissenschaftliche Darstellungen. Das ist eher Grafikdesign
oder Kunst. Narukawa hat ein effizientes Marketing, darum kommt das gut an.
Also bietet die Karte gar nichts Neues? Was ist mit der Möglichkeit der
Multiplizierung und lückenlosen Aneinanderreihung?
Das konnte man schon immer! Ebenso ist es schon lange möglich, ein
beliebiges Kartenzentrum zu wählen. In der Theorie seit einer Ewigkeit,
praktisch, dank verbesserter Computerprozessoren, seit zwanzig Jahren.
Und Narukawas authentische Darstellung der Wasser-Land-Relation?
Ist die Karte denn wirklich flächentreu? Mein erster Eindruck sagt: Da ist
zu viel Wasser zu sehen. Aber wir werden das im kommenden Semester mal mit
einer Gruppe Studierender nachrechnen – das geht auch ohne die
Abbildungsvorschrift, denn an die kommen wir vermutlich nicht ran.
Was genau ist denn eine Abbildungsvorschrift?
Das ist das Herzstück einer Projektion und meistens ein Betriebsgeheimnis:
oft eine mathematische Formel, die die Rechenschritte vorgibt, mit der die
dreidimensionalen Raumkoordinaten des Globus in ein zweidimensionales
Koordinatensystem übertragen werden.
Wie stark hat die Digitalisierung diese Übertragung vereinfacht?
Das war ein Paradigmenwechsel. Früher war damit ein enormer Aufwand
verbunden: mit Rechenschiebern, Sinuswerttabellen und vielem mehr. Heute
ist es möglich, Hunderttausende von Koordinaten in Sekundenschnelle in jede
Projektion hereinzurechnen. Unsere Arbeit als Kartografen ist daher auch
längst nicht mehr nur auf die Herstellung von Karten reduziert.
Sondern?
Vor fünfzig Jahren war Kartografie ein anspruchsvolles Handwerk, heute geht
es viel mehr um das Management raumbezogener Daten. Das ganze Fach kreist
um Kommunikation: Wie kann man den Nutzern die geografischen Informationen
vermitteln, die sie gerade brauchen, etwa im Navigationssystem oder im
Smartphone? Mit Kartennetzen und Weltdarstellungen hingegen haben die
allermeisten Studierenden später überhaupt nichts mehr zu tun.
Hängt der Wandel auch damit zusammen, dass wir heute die Welt tatsächlich
problemlos als Kugel „von außen“ sehen können?
Ich würde sagen, dass das Einfrieren einer Weltkarte, wie wir es aus den
Atlanten kennen, etwas Unzeitgemäßes ist. Google Earth gibt es seit über
zehn Jahren – damit hat jeder, der auch nur minimal mit einem Rechner
umgehen kann, die Möglichkeit aus jeder beliebigen Perspektive auf die Erde
zu blicken und kann diese dabei drehen und wenden, wie er möchte. Mit neuen
Möglichkeiten verändern sich aber auch unsere Verhaltensweisen. Das Offene,
Variierende gab es früher nicht, prägt inzwischen aber unser Alltagsdenken.
19 Dec 2016
## LINKS
[1] http://images.google.de/imgres?imgurl=https%3A%2F%2Fupload.wikimedia.org%2F…
[2] /Simon-Reynolds-ueber-Glamrock/!5363686/
## AUTOREN
Dilbahar Askari
## TAGS
Wissenschaft
Welt
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Design
Schwerpunkt Christian Semler
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nordische Kunst zur NS-Zeit: Hitler in stabiler Seitenlage
Kernige Halligbauern, norddeutsche Landschaften und Schäferhunde: Eine
Ausstellung untersucht die Politik des Flensburger Museumsbergs rund um die
NS-Zeit
Alternativer Weltkarten-Entwurf: Kein Zentrum, keine Richtung
Die japanische Authagraph-Weltkarte mutet zerknautscht an. Ihr Designer
Hajime Narukawa will mit ihr neue Denkräume erschließen.
Aus „Le Monde diplomatique“: Surrealer Weltentwurf
In der Schule lernen wir Karten als objektive Abbildungen zu lesen. Dabei
sind es nur unterschiedliche Interpretationen der Welt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.