# taz.de -- Maya Götz über Kinderserien: „Kinder wollen keine Moralpredigt�… | |
> Einige der populärsten Kinderserien wurden grundlegend renoviert. Nicht | |
> alle fanden das toll. Warum es dringend nötig war, erläutert Maya Götz. | |
Bild: Die renovierte Maja: schlanker, freundlicher und irgendwie gelber. Ein bi… | |
taz.am wochenende: Frau Götz, welche Funktion haben Kinderserien? | |
Maya Götz: Am wichtigsten ist, dass Kinder mit den Serien Spaß haben und | |
darin Themen finden, die ihnen helfen, sich selbst und ihre Umwelt besser | |
zu verstehen. | |
Wie stark werden sie von gesellschaftlichen Wertevorstellungen beeinflusst? | |
Implizit werden die immer mittransportiert. Kinder kriegen eine Vorstellung | |
davon, was Normalität ist, wo ihr Platz in der Welt ist. Die Serienautoren | |
liefern manchmal bewusst, oft aber auch unbewusst ihre Vorstellung von der | |
Welt mit, in der sie leben. | |
Wikinger bei Wickie trinken und fluchen nicht mehr. Ist den Kindern das | |
Derbe nicht mehr zumutbar? | |
Die Buchvorlage für Wickie wurde in der ersten Serienfassung relativ | |
buchstabengetreu umgesetzt. Man hatte damals kein Problem mit | |
Beschimpfungen und Ohrfeigen. Auch das Geschlechterverhältnis erschien | |
nicht problematisch. Heute gehört es dazu, dass wir Kindern nicht | |
weismachen wollen, dass Trinken und Fluchen ein selbstverständliches | |
Verhalten von Männern ist. | |
Die Welt, in der die Helden der Neuauflagen leben, ist viel harmonischer | |
geworden. Brauchen Kinder wirklich rosarote Welten im Fernsehen? | |
Kinder wollen Harmonie. Aber es geht nicht um rosarote Welten. Es geht um | |
grundlegendere Dinge. Die alten Folgen von „Wickie“ und „Biene Maja“ wu… | |
von Leuten produziert, die im Geist der 68er groß geworden sind. Die Stoffe | |
haben den Machern auch deswegen gefallen, weil sie einen Widerstandsgeist | |
gegen bestehende gesellschaftliche Ordnungen transportierten. Man dachte | |
damals, dass man Vorschulkinder zu kleinen Revolutionären erziehen kann. | |
Auch in der neuen Fassung von „Wickie“ hatten zwei Männer die redaktionelle | |
Leitung. Aber sie hatten eine Frau über sich. Das Team diskutierte Fragen | |
über die Rolle der Mädchen und Frauen sehr intensiv. Wir wissen, dass sich | |
Kinder vor allem die Geschlechterdarstellungen aneignen. Da sollte man bei | |
der Darstellung schon sehr genau aufpassen. | |
In der neuen Auflage wirken Maja und Heidi mädchenhafter als in der alten. | |
Warum hat man sie so verniedlicht? | |
Die Figuren sind einfach jünger geworden. Sie waren seinerzeit für | |
Grundschulkinder gedacht und hatten Elemente, wie beispielsweise die Spinne | |
bei „Biene Maja“, die kleineren Kindern Angst machen. Aber es stimmt. | |
„Wickie“ ist gezielter für Jungen gestaltet worden, „Heidi“ und „Maj… | |
mädchenhafter. | |
Wie beurteilen Sie die Einteilung der Zielgruppe in „Jungen“ und „Mädche… | |
Ausgesprochen problematisch. Bei den genannten Formaten ist es noch ganz | |
gut gelungen. Die beiden weiblichen Figuren sind nicht sexualisiert | |
dargestellt. | |
Heidi lief in der alten Serie in Unterwäsche den Berg hinauf, weil es ihr | |
in ihren Klamotten zu heiß war. Fiel das unter Sexualisierung? | |
Nein. Das Problem der Sexualisierung gibt es bei Serien wie „Mia and Me“ | |
oder „Wings Club“. Diese Produktionen sind noch schlimmer als die Barbie. | |
Die haben eine Taille, wie sie in der Realität nicht vorkommen kann. Und | |
sie tragen alle äußerst kurze Röcke. Die Geschichte, in der Heidi sich der | |
schweren Last ihrer Kleidung entledigt, ist aber sehr wichtig. Heidi fühlt | |
sich in den Bergen befreiter als in der Stadt. Sie wirft alles weg, was sie | |
in den Bergen nicht braucht. Dass die Szene gestrichen wurde, ist sehr | |
schade. | |
Geht die Darstellung harmonischer Familien an der Realität von Kindern | |
vorbei? | |
Soweit wir das aus der Forschung wissen, hat sich der Umgang von Eltern und | |
Kindern gewandelt. Und auch der Umgang der Eltern miteinander. Kinder | |
wachsen heute in einer Welt auf, in der sich die Erwachsenen einigermaßen | |
verstehen. Wenn nicht, lassen sie sich scheiden. Das war in den 60er Jahren | |
nicht so. Die Realität der Familien ist also harmonischer geworden. | |
Maja und Wickie sind in der Neuauflage sehr viel niedlicher, netter und | |
haben wesentlich weniger Probleme, sich durchzusetzen. Wenn Kinder mit den | |
Serien lernen sollen, wie sie Problemen begegnen können, wieso entfernt man | |
dann alle Probleme aus den Serien? | |
Beide Figuren haben sehr wohl mit Herausforderungen zu kämpfen. Wie mit | |
Herausforderungen oder Problemen umzugehen ist, ist eine Frage, die Kinder | |
tatsächlich beschäftigt. Die Selbstzweifel kommen erst in der Pubertät. | |
Dann will man eigene Schwächen in den Griff kriegen. Kinder aber wollen | |
erst mal nur erwachsen und größer werden und fragen sich, wie das geht. | |
Können Kinder komplexe Charaktere verstehen? | |
So vielschichtig sind die Figuren in Kinderserien ja nicht angelegt. Wickie | |
ist clever und sorgt sich um seine Freunde. Die alten Folgen finden Kinder | |
heute oft ausgesprochen langweilig. Vor allem die Abhandlungen am Ende, in | |
denen eine Moralpredigt gehalten wird. Das sind die Momente, wo Kinder | |
heute abschalten. Kinder wollen keine Moralpredigt. | |
Müssen die Figuren der Serien in Gut und Böse klar unterschieden sein, | |
damit Kinder sich identifizieren können? | |
Schon. Kinder müssen die Dinge klar einschätzen können. Wickies Vater Halva | |
war früher ein guter Charakter, der gleichzeitig viele negative | |
Eigenschaften hatte. In den neuen Folgen ist Halva sehr viel eindeutiger | |
ein positiver Charakter, weil Kinder eine positive Elternfigur brauchen. | |
Haben die Verschärfungen des Jugendschutzgesetzes dazu beigetragen, dass | |
die Inhalte in Kinderserien verändert wurden? | |
Nein. Auch in den früheren Versionen waren die Darstellungen kein Fall für | |
das Jugendschutzgesetz. Dafür hätte es schon Tote, Verletzte, fragwürdiges | |
Verhalten oder Sex gebraucht. Gefährliche Situationen werden in | |
Kinderserien immer vermieden. Es gibt aber definitiv eine höhere | |
Sensibilisierung. Szenen wie der Tod von Bambis Mutter, die von einem Jäger | |
erschossen wird, werden heute nicht mehr gezeigt. Nicht weil sie das | |
Jugendschutzgesetz berühren, sondern weil sie auf Kinder verstörend wirken. | |
11 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Anastasia Hammerschmied | |
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