# taz.de -- Verfassungsreferendum in Italien: Stresstest für die EU | |
> Italien soll leichter zu regieren sein. Aber die anstehende Abstimmung | |
> schürt Ängste vor einer Abwärtsspirale – nicht nur ökonomisch. | |
Bild: Augen zu und durch: Matteo Renzi vor der großen Entscheidung | |
Rom taz | Droht Europa mit dem italienischen Verfassungsreferendum am | |
Sonntag ein neuer Schock, gar der Italexit, das Ausscheiden des Landes aus | |
dem Euro – und damit doch der Zusammenbruch der Gemeinschaftswährung? Diese | |
Frage ist derzeit quer durch den Kontinent zu hören. | |
Dabei geht es bei der Volksabstimmung gar nicht um den Euro. Entscheiden | |
sollen die Italiener vor allem darüber, ob in Zukunft nur noch das | |
Abgeordnetenhaus das Sagen hat, während der Senat weitgehend entmachtet | |
wird. Auch ein Sieg des Nein würde erst einmal bloß alles beim Alten lassen | |
– bei der Verfassung von 1948. | |
Ministerpräsident Matteo Renzi wiegelt denn auch ab. „Am 5. Dezember kommen | |
nicht die Heuschrecken“, teilte er mit, die Bürger könnten „gelassen“ an | |
die Urne gehen. | |
Doch ganz so einfach ist es nicht. Längst ist Italien das wahre Sorgenkind | |
der Eurozone. Ein staatlicher Schuldenberg von 133 Prozent der | |
Wirtschaftsleistung, drei Millionen Arbeitslose, seit Jahren stagnierende | |
Produktivität, dazu miserable Wachstumsraten und Banken, die auf | |
uneinbringlichen Krediten von über 200 Milliarden Euro sitzen: Externe | |
politische Schocks wie ein Nein beim Referendum haben durchaus das Zeug, | |
das fragile Gleichgewicht zu erschüttern. | |
Ein Ja zur Verfassungsänderung, predigt der Regierungschef, verheiße | |
Italien goldene Horizonte: Zur „Lokomotive Europas“ könne es werden. Aber: | |
Renzi regiert seit Februar 2014, und immer wieder versprach er den | |
schnellen Aufschwung. Im laufenden Jahr wächst Italien um gerade einmal 0,8 | |
Prozent und gehört damit zu den Schlusslichtern in der EU, fürs nächste | |
Jahr prognostiziert der Internationale Währungsfonds 0,9 Prozent, in der | |
Eurozone fallen die Prognosen nur für Finnland schlechter aus. | |
## Die faulen Kredite explodieren | |
Auch seine Bankenkrise wäre Italien nicht los. In der Woche nach dem | |
Referendum will das krisengeschüttelte Institut Monte dei Paschi di Siena | |
eine Kapitalerhöhung von 2,5 Milliarden Euro durchziehen, die den Neustart | |
ermöglichen und die Abwicklung abwenden soll. Aber selbst wenn das gelingen | |
sollte, würde sich am Grundproblem nichts ändern: Die Menge der faulen | |
Kredite in den Büchern vieler Banken ist explodiert, weil die | |
Realwirtschaft abstürzte. Erst ein neuer Aufschwung könnte die Wende | |
bringen – doch der kommt auch deshalb nicht in Gang, weil die notleidenden | |
Banken bei ihrer Kreditvergabe an die Unternehmen wiederum äußerst | |
restriktiv vorgehen. | |
Ob Ja oder Nein beim Referendum: Die Kernprobleme Italiens blieben also die | |
gleichen. Alles egal also? Nicht ganz. Nicht umsonst stieg der Spread – der | |
Abstand der Zinsen auf italienische Staatsanleihen zu denen auf deutsche – | |
in den letzten Wochen schon von gut 1 auf knapp 2 Prozent. | |
Dabei beschäftigt die Finanzmärkte mehr die Sorge um die politische | |
Stabilität und die Angst vor Beppe Grillo. Renzis Niederlage bei der | |
Abstimmung brächte Grillos Protestbewegung der Fünf Sterne kräftigen | |
Aufwind. Schon jetzt liegen die „Grillini“, die mit einem Austritt Italiens | |
aus dem Euro kokettieren, in Umfragen bei 30 Prozent – mit besten Chancen, | |
nach einem Scheitern Renzis zur stärksten Partei Italiens aufzusteigen. | |
Doch wenn Renzi tatsächlich scheitert, gibt es wahrscheinlichere Szenarien | |
als schnelle Neuwahlen: vorneweg eine Übergangsregierung, die den Auftrag | |
hätte, ein neues Wahlrecht auszuarbeiten. Vermutlich werden die Märkte | |
zunächst abwarten, was aus Italien wird – und Renzi wird wenigstens mit | |
seiner Nachwahlprognose recht behalten: Am 5. Dezember kommen die | |
Heuschrecken nicht. | |
29 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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