| # taz.de -- Die Wahrheit: Gerüstgefährdung durch Kredite | |
| > Tagebuch einer Bankkundin: Es gibt viel zu viel billiges Geld in der | |
| > Welt. Das ist gefährlich. Jedenfalls wenn man an eingerüsteten Häusern | |
| > vorbeigeht. | |
| Mittlerweile habe ich ein Alter erreicht, das meine Bank veranlasst, mich | |
| zum Geburtstag mit einem Kafka-Zitat zu trösten: „Jeder, der sich die | |
| Fähigkeit erhält, Schönes zu erkennen, wird nie alt werden.“ Ich verstehe | |
| das als Ermunterung, unbesorgt weiter vor mich hin zu welken, während ich | |
| gleichzeitig innerlich dreizehneinhalb bleiben darf – solange ich meine | |
| Augen nicht vor den potenziellen Schönheiten meiner Umgebung verschließe. | |
| Normalerweise gratulieren Geldinstitute ja weniger ihren Kunden, sondern | |
| sich selbst, besonders wenn der Kunde gerade einen Kreditvertrag | |
| abgeschlossen hat. Zwar kassieren die Banken im Moment keine fies hohe | |
| Zinsen, freuen sich aber über eine rekordverdächtige Anzahl von | |
| Kreditgeschäften, was sich allerorten an reger Bautätigkeit beobachten | |
| lässt. | |
| Deretwegen hat man die Wahl, entweder – und das ist nur eine meiner | |
| zahlreichen Zwangsvorstellungen – unter plötzlich einstürzenden Baugerüsten | |
| sein Leben zu lassen oder beim vorsichtigen Umgehen derselben auf dem | |
| Bürgersteig von seltsamerweise nicht auf Fußgänger eingestellten | |
| Fahrradfahrern niedergemäht zu werden. Aufgrund der anhaltenden | |
| Niedrigzinspolitik war ich schon mehrmals kurz davor, bei der EZB | |
| Beschwerde wegen Gesundheitsgefährdung einzulegen, aber auf mich würde ja | |
| sowieso keiner hören. | |
| ## Aneinandergeschmiegte Stadtvillen | |
| Das Epizentrum der Kreditvergabe liegt übrigens eindeutig in Hamburg, wo | |
| ich neulich eine Straße nahe der schönen Alster entlangspazierte, in der | |
| sage und schreibe jedes Haus eingerüstet ist. Glücklicherweise verläuft die | |
| Straße an einem Kanal, so dass ich mich vom gegenüberliegenden Uferweg vor | |
| der Gefahr einstürzender Gerüste mit einem beherzten Sprung ins Wasser | |
| hätte retten können. | |
| In jeder der aneinandergeschmiegten Stadtvillen entstehen laut prominent | |
| platzierter Werbetafeln „exklusive Luxuswohnungen“. Ich zählte sechzehn | |
| Häuser mit je drei Stockwerken plus Dachgeschoss und Souterrain, also | |
| mindestens achtzig Wohnungen. Ich bin nicht ganz sicher, wie man im | |
| Luxussegement das Wort „exklusiv“ definiert, denn für mich hört sich | |
| achtzigmal dasselbe nicht gerade wahnsinnig außergewöhnlich an, aber ich | |
| nahm mir vor, das Resultat zu prüfen, wenn alles fertig und noch schöner | |
| sein würde und auf diese Weise meine innere Jugend zu pflegen, schon wegen | |
| Kafka. | |
| Am nächsten Tag las ich in der Hamburger Morgenpost, dass in der Veddel, | |
| einem sogenannten sozialen Brennpunkt, mittels Kulturförderung ein | |
| Mietshaus der stadteigenen Wohnungsbaugesellschaft vergoldet werden soll. | |
| Während die Idee des Quartierkünstlers noch kontrovers diskutiert wird, | |
| freut sich laut Morgenpost schon mal eine Nachbarin von gegenüber, auch mal | |
| auf was Schönes gucken zu dürfen. Möge sie dabei uralt werden und forever | |
| young bleiben! Kafka, der in weniger goldenen Zeiten lebte, bekam keine | |
| Glückwünsche von seiner Bank, sondern Tuberkulose und starb – innerlich wie | |
| äußerlich – jung. | |
| Seit 25 Jahren erscheint die Wahrheit als einzige Satireseite einer | |
| deutschen Zeitung. [1][Zeit, das zu feiern.] | |
| 10 Nov 2016 | |
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| ## AUTOREN | |
| Pia Frankenberg | |
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