Introduction
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# taz.de -- Berliner Zeichner Fil: „Ich hatte nichts mehr zu sagen“
> Didi & Stulle, Berlins schweinerüsselige Loser, sind Geschichte, denn
> Zeichner Fil schreibt lieber Romane. Zum Glück gibt es jetzt die
> Gesamtausgabe.
Bild: Auch die Kanzlerin gehörte zum Didi-&-Stulle-Pandämonium. Oder nur jema…
taz: Fil, 18 Jahre lang ist Ihr Comic Didi & Stulle in der zitty
erschienen, letztes Jahr war Schluss. Fiel der Abschied schwer?
Fil: Überhaupt nicht. Alles, was man lange macht, verliert irgendwann
einmal den Drive. Also: Ich hatte schon ganz schön die Schnauze voll und
einfach nichts mehr zu sagen.
Wie sind Sie aus der Nummer raus gekommen?
Ich hatte schon lange Lust, mal ein Jahr lang Pause zu machen, aber ich hab
mich nie getraut. Weil ich das Gefühl nicht loswurde, dass die bei der
zitty unsicher waren, ob es wirklich gut ist, was ich da mache. Wenn die
ihre Leser gefragt haben, was raus soll, kam immer als erstes: „Didi &
Stulle!“ Wenn die aber gefragt wurden, warum sie zitty lesen, kam auch
immer als erstes: „Wegen Didi & Stulle!“ Also habe ich angefangen, ein Jahr
vorzuarbeiten, und zwei Jahre lang jeden Monat drei statt zwei Geschichten
gemacht. Und mir dann das Jahr genommen, um rauszufinden, ob mir etwas
fehlt. Und es fehlte mir null.
Da war für Sie alles klar?
Dann ist auch noch mein Redakteur in Rente gegangen, und die haben mir
gesagt, dass die zitty jetzt wöchentlich erscheint und ich weniger Geld
bekomme, aber am Ende des Monats mehr verdient habe, weil ich ja doppelt so
viel arbeite. Da habe ich gekündigt.
Haben Sie auch sonst vorgearbeitet?
Das war das einzige Mal, dass mir das gelungen ist.
Sie brauchen den Druck?
Absolut. Zum Glück bin ich da nicht allein. Mein Lieblingsbeispiel ist die
Band Slayer. Die hätten am 6.6.2006 ein Album veröffentlichen können. 666,
the number of the beast, Johannesevangelium, die Teufelsnummer, ja? Sie
hatten sich sogar genau 25 Jahre vor dem Tag gegründet. Aber dann haben
sie’s einfach nicht rechtzeitig geschafft.
Auch den Cliffhanger haben Sie neu definiert: Bei Didi & Stulle wusste man
nie, ob der aufgelöst wird, ob da eine Woche später überhaupt eine Pointe
draus wird.
Es fällt mir extrem schwer, mit einem Gag zu enden. In diesem Punkt war
mein Vorbild immer “Gaston“ von André Franquin. Diese Comics sind witzig
durch Gaston selbst, was der macht und wie der aussieht – und nicht über
einen Gag, der am Ende alles auflöst.
Der erste Band der Gesamtausgabe fängt mit den ganz alten Didi &
Stulle-Comics an, die Sie 1987 gezeichnet haben. Dann kommt ein großer
Zeitsprung – und plötzlich haben Sie einen eigenen, viel professionelleren
Stil. Was ist dazwischen passiert?
Ich bin Autodidakt, aber ich habe einfach unheimlich viel gezeichnet. Die
ganzen Jahre über habe ich jenseits von Didi & Stulle ein Album nach dem
anderen herausgebracht. Leider ohne jeden Erfolg. Okay, irgendwann habe ich
mal Aktzeichnen gelernt. Deshalb stehen meine Figuren ganz gut, sie haben
Schwere.
Und nun: drei Bände Didi & Stulle im Schmuckschuber für 99 Euro. Fast ein
Coffee Table Book. Gefällt Ihnen das?
Sagen wir, es gefällt mir gegen meinen Willen. Eigentlich wollte ich die
besten zusammensuchen und 300 Seiten Paperback machen, billig, fürs WG-Klo.
Das war für mich immer der Ritterschlag, wenn ich irgendwo zu Besuch war
und Didi & Stulle auf dem Klo gefunden habe. Aber es gefällt mir natürlich
trotzdem, wie es jetzt ist, weil es edel ist, weil es mich aufwertet.
Außerdem meinte mein Verleger, dass meine Fans ja auch dicker geworden
sind. Und damit hat er, fürchte ich, recht.
Wie würden Sie jemandem Didi & Stulle erklären, der sie tatsächlich bisher
nicht kennen sollte?
Die Grundidee ist: Didi & Stulle sind auch wer. Sie werden von der
Gesellschaft zum Verlierersein verdammt, aber sie wollen sich ums Verrecken
nicht so sehen. Im Grunde sind das auf eine traurige Weise total aktuelle
Figuren, jetzt, wo wir den großen Katzenjammer haben mit Trump und der AfD.
Würden die beiden AfD wählen?
Von der Struktur her wären sie fast AfD-Wähler. Aber das würden sie auch
wieder nicht machen, weil sie ja Individualisten sind: Sie haben mehr zu
bieten, sie sind ja nicht dumm. Also, dumm schon, aber …
Woher kennen Sie solche Typen?
Ich komme aus dem Märkischen Viertel, ich habe da 15 Jahre lang gewohnt,
mein Abi nachgemacht – und nicht studiert. Mit meinen alten Schulfreunden
hänge ich immer noch ab. Viele sind in miesen Jobs hängen geblieben; einer
von ihnen, ein alter Punker, sitzt jetzt im Rollstuhl und flucht über die
Flüchtlinge, die bei ihm um die Ecke angesiedelt werden, weil er vor ihnen
Angst hat. Aber wenn meine blöden Facebook-Freunde dann dauernd sagen, das
sind Faschos, Sexisten und Rassisten, wenn die sich da voll einen ablabern,
dann denke ich mir: „Ihr seid doch nicht besser.“ Ich meine: So wie wir
drei hier sitzen, gehören wir doch zu einer Art ungewollten Elite, eine
Brain- oder Toleranz-Elite. Wir können es uns leisten, nicht feindlich
gegenüber Neuerungen zu sein.
Im Gegensatz zu Didi ist der kleine Stulle ja ebenfalls eher ein Gutmensch.
Stulle ist ein schwieriger character. Ich habe ihn natürlich als den Guten
konzipiert und anfangs auch als heimliches Genie, bei dem man immer dachte,
er kann alles, nur Didi hält ihn zurück. Aber Didi ist eigentlich der
interessantere Typ, hochgradig versponnen; er hat zu allem seine komplett
absurde Meinung, er nimmt sich seinen Platz in der Welt. Ohne Didi ist nix
los. Zum Schluss wurde Didi immer mehr mein Held.
Er ist ein krasser Sadist!
Das stimmt, aber ich sehe diese Struktur immer in Freundschaften. Ich habe
ja jetzt zwei Bücher geschrieben und meine Freunde schreiben auch alle.
Jetzt könnte ich die anrufen und sagen: Boah, also mit meinen Büchern läuft
es total gut! Mache ich nicht, aber andere machen das, die quälen einen
gerne ein bisschen. Du definierst dich halt auch ein bisschen darüber, dass
du über deinem Freund stehst. In Beziehungen ist das auch ganz krass.
Irgendwie führen Didi & Stulle ja eine Art Beziehung, oder?
Liebe ist schon da, sexuelle Begierde eher bei Didi. Er hat schwule
Tendenzen, die er sich natürlich nicht eingesteht. Und was ich früher gar
nicht wusste, aber total Sinn macht: Das Sexualzentrum liegt im Hirn direkt
neben dem Aggressionszentrum. Diese ganze Wut, das Hauen, das ist natürlich
auch fehlgeleitete Sexualität.
Haben Sie eigentlich mal Probleme bekommen wegen Beleidigung oder
Pornografie?
Das Verrückte ist: Mit Didi & Stulle nie. Mit meinen anderen Comics, auch
in der zitty, habe ich irrsinnig Ärger gehabt, bis hin zu Mord- und
Kastrationsdrohungen, aber mit Didi & Stulle hatte ich totale
Narrenfreiheit. Einmal, da war gerade mein Kind unterwegs, hab ich eine
Sequenz gezeichnet, wo Didi Stulle in den Bettkasten sperrt. Er bohrt ein
Loch hinein und dann fickt er dieses Loch. Du siehst den erigierten
Schwanz, und der spricht sogar, mit französischem Akzent. Ich habe das in
nackter Panik gemalt, weil ich dachte, mein Leben ist jetzt vorbei. Warum
die das durchgewunken haben, weiß ich bis heute nicht.
Sie haben die Grenzen des Humors ausgetestet?
Ich frage mich immer: Ist es lustig oder nicht? Nicht: Ist es korrekt oder
nicht? Außer bei Rassismus und Gewalt gegen Frauen. Einmal hab' ich bewusst
provoziert, da sagt Didi: „Wir waren arm, statt Internet hatten wir nur
einen Bottich mit Amselfotzen.“ Das macht natürlich überhaupt keinen Sinn.
Aber als dann gar nichts kam, hat mich das eher traurig gemacht. Ich
dachte: „Ich habe kein Korrektiv, ich werde immer schlechter werden!“ Wurde
ich auch. Wie die neue Metallica, die ich mir als alter Fan geholt habe. Zu
denen sagt halt auch keiner: „Das ist zu lang! Macht mal 'ne Melodie oder
so!“
Sie haben mal gesagt, Didi & Stulle seien von Bikern im Märkischen Viertel
inspiriert.
Ja, von Leuten, mit denen ich als Kind und Teenie abgehangen habe. Das
waren so Turnschuh-Biker, die hatten gar kein Motorrad, aber die sahen halt
aus wie die jungen Metallica. Ich hatte vor denen immer Respekt, auch wenn
die mir nie was Böses getan haben. Ich konnte immer zu denen sagen: „Ihr
seid zu fünft, ich bin allein“ – das haben sie eingesehen.
Und das hat Ihnen gefallen?
Die hatten so einen trockenen Berliner Humor und so eine Selbstsicherheit,
die wir als Punks oder Waver nicht hatten. Die hatten so eine enge Welt. Es
war ganz klar, was für ‘ne Mucke die hören und was für Freundinnen die
haben. So überkandidelten Frauen, die wir gut fanden, da haben die nur
gesagt: “Die spinnt.“
Ganz schön sexistische Typen auch. Was interessiert Sie am Sexismus?
Ich bin ja ein Kind der 80er, mit den ganzen Diskussionen, ob man einem
Mädchen die Tür aufhalten darf. Die Antwortet lautete natürlich: Nein, das
ist sexistisch. Wir haben uns nichts getraut. In den Neunzigern war es
wieder anders, da hatte man so eine Freude am politisch Unkorrekten, weil
man sich als Mann ein bisschen freigestrampelt hat aus diesem Korsett.
Warum kommen bei Didi & Stulle fast keine Migranten vor?
Das habe ich mir verkniffen: Ich will nichts machen, was eine Vorlage sein
könnte für Rassismus. Ich habe auch in Wedding und Moabit gewohnt, ich kann
nicht alle Migranten als freundliche, positive Typen darstellen. Nicht,
weil sie einer anderen „Rasse“ angehören würden, sondern weil viele die
Kinder von Bauern und ihre Eltern krass zu ihnen sind. Ich finde es ein
bisschen traurig, dass man in der linken Szene komplett blind ist auf
diesem Auge.
Jetzt wohnen Sie schon lange in Prenzlauer Berg. Wo haben Sie denn da Ihre
Didi & Stulle abgeholt?
Das ist tatsächlich eine Diskrepanz und auch ein Grund, warum es sich ein
bisschen erschöpft hat. Irgendwann habe ich aber auch gedacht, ich könnte
hervorragende Comics über die Hipster und Touristen machen …
Also nur noch Bühnenshows und Bücher?
Comiczeichnen ist für mich persönlich ein bisschen vorbei. In der letzten
Zeit wurden ja Graphic Novels so gehypt, also Comics mit ernsten Themen,
von Leuten, die gar nicht gut Comics zeichnen können, die das wie ein
Storyboard auffassen. Die ganze Szene ist so lahm geworden, nicht mehr so
Undergroundtypen wie früher, wie Seyfried oder Ralf König oder Walter
Moers. Das waren alles Dropouts, und das waren meine Helden. Und Leute wie
OL oder ©Tom und ich, wir haben alle keine Ausbildung, wir sind Schluffis
gewesen, Spontis. Jetzt sind das alles Hochschulabsolventen.
Anarchie in den Literaturbetrieb reinbringen ist ja auch nicht gerade eine
kleine Mission.
Nee. Aber ich mache das. Und nicht nur Anarchie, sondern auch die Freude am
Genre. Ich werde Horrorgeschichten schreiben oder fantastischen Realismus.
Dass der Held Superkräfte entwickelt und fliegen kann. Das hat in
Deutschland nie funktioniert, aber ich werde der sein, der das macht. Jetzt
noch nicht, jetzt habe ich zwei superkonventionelle Bücher geschrieben über
meine Jugend in den 80er Jahren, was jeder Depp macht, aber das ist nur …
… zum Anwärmen.
Genau.
Und der Erfolg?
Der gibt mir recht.
Leute wie der Ärzte-Sänger Farin Urlaub sagen über Sie: Der Fil könnte so
berühmt sein, der könnte reich sein …
Ja, reich wäre gut.
Berühmt nicht?
Ich sage meiner Tochter immer: Das beschissenste Leben hat Brad Pitt. Der
kann ja nicht mal Einkaufen gehen. Ich finde andere Sachen geil. Im Urlaub
in Spanien habe ich mal aus Steinen ein riesiges AC/DC-Zeichen gebaut,
riesengroß, aus mannshohen Lettern, genau in der Schrift, mit dem Blitz in
der Mitte. Keiner wusste, wer es gemacht hat, aber alle haben gestaunt. Das
ist eigentlich einer meiner größten Erfolge.
Sie wollen gar nicht erfolgreich sein?
Motörhead waren immer meine Vorbilder, weil sie gesagt haben: Wir sind die
Größten von den Kleinen. Das bin ich auch. Von den Erfolglosen bin ich der
erfolgreichste. So kann man auch happy sein.
Wirklich?
Ich könnte bestimmt berühmter sein, ich habe auch vom Fernsehen immer
wieder Angebote bekommen. Aber dann lebt man in dieser äußeren Welt, und
das Privatleben wird dünn. Da hätte ich keinen Bock drauf. Man muss in
seinem persönlichen Leben ein Held sein. Auch, wenn das irgendwie moralisch
klingt.
Könnte es sein, dass Didi & Stulle irgendwann wiederauferstehen?
Ist nicht auszuschließen. Ich würde mich freuen, wenn ich mal wieder
anfangen würde zu zeichnen. Das mache ja jetzt seit zwei Jahren nicht mehr.
Aber der Mensch ist auch faul, und Zeichnen ist irre anstrengend – was man
gar nicht denkt, weil man Comics so schnell liest. Egal: Ich würde gern
wieder mit denen anfangen, es dann aber von einer anderen Seite angehen.
Ich weiß nur noch nicht, von welcher. Man müsste vielleicht stärker an die
Gegenwart andocken, sie noch besser in Berlin verorten. Aber jetzt
verkaufen wir erstmal diesen Schuber.
25 Nov 2016
## AUTOREN
Claudius Prößer
Susanne Messmer
## TAGS
Comic
Witze
Schwerpunkt LGBTQIA
Dialekt
Stadtmagazin
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