# taz.de -- Jubiläen der Berliner Stadtmagazine: 1 Stadt, 2 Hefte, 7 Geschicht… | |
> Die Zitty wird 40, der tip 45 Jahre alt. Früher waren sie Gegenspieler, | |
> heute erscheinen sie im selben Verlag. Sieben Erinnerungen von | |
> Mitarbeiter/innen. | |
Die Kunst, kurz notiert | |
Fühlen sich alt an, die obersten Aktenordner im Regal. Ich muss auf die | |
Leiter steigen, um nach meinen ersten Texten für den tip zu suchen. Das | |
Stadtmagazin und die taz waren meine ersten Auftraggeber Mitte der 1980er | |
Jahre und sind das lange geblieben. 1983 kam ich nach Berlin und lernte | |
bald den Westteil kennen über die verstreuten Kunst- und Tanztheaterorte. | |
1986 begann ich mit kurzen Ausstellungsbesprechungen, ab 1989 (bis 2007) in | |
jeder tip-Ausgabe eine Seite mit drei oder vier „Kunstnotizen“, die anfangs | |
nicht mal mit meinen Autorennamen gekennzeichnet waren. 1.400 Ausstellungen | |
müsste ich in der Zeit etwa gesehen haben, wenn ich das jetzt überschlage. | |
Es gelang mir in den fast 20 Jahren nicht, unter den ständigen Mitarbeitern | |
im Impressum zu stehen. Das ärgerte mich schon. Auch, dass längere Texte | |
über große Ausstellungen immer zwei, drei Wochen vor Eröffnung geschrieben | |
werden sollten, um im Blatt zu sein, wenn es mit der Ausstellung losging. | |
Die Kuratoren, mit denen man Termine machte, empfanden das oft als Störung. | |
Und auch, wenn ihre Konzepte gut klangen, die Anschauung fehlte ja doch. | |
Irgendwann wollte ich das nicht mehr machen. Es blieben nur die kurzen | |
Texte. Bedauert habe ich das schon. Katrin Bettina Müller | |
Der Spaß beim Broterwerb | |
Dass ich 1988 ein Volontariat beim tip bekam, hatte ich Paul zu verdanken, | |
Alfred Holighaus’ Sohn, der kurz zuvor das Licht der Welt erblickt hatte. | |
Als jungem Vater leuchtete dem damaligen tip-Chef ein, dass Kinder von | |
etwas leben müssen und auch meine damals zweijährige Tochter eine Mutter | |
mit regelmäßigem Einkommen brauchte – mit Spaß bei ihrem Broterwerb. | |
Und Spaß hatte ich. Denn während die Film-Nerds, also die Mehrheit der | |
tip-Mitarbeiter, in der dunklen Welt der Kinos verschwanden und die übrigen | |
Redakteure ihre Netzwerke zu Regisseuren, Politikern oder Musikern | |
flochten, blieb für mich der große andere Rest: Die damals erwachende | |
Graffiti-Szene porträtierte ich in einer Story, dessen Titelbild es ein | |
Vierteljahrhundert später in die Backjumps-Ausstellung über Urban Art | |
schaffte, ich durfte über die großen Box-Fights zwischen Henry Maske und | |
Graciano Rocchigiani berichten. | |
Streetart, Sport oder Kindheit in der Großstadt: Sich nicht auf ein eng | |
umrissenes Gebiet festlegen zu müssen, das war und ist für mich der Reiz an | |
der Arbeit beim tip. 45 Jahre nach seinem Entstehen ist die Situation für | |
Verlage zwar sehr viel schwieriger geworden. Storys, die erzählt werden | |
wollen, gibt es jedoch mehr denn je. Eva Apraku | |
Fake News und Beißreflexe | |
Arbeiten beim tip war eine coole Sache. Man hatte nur zwei Wochen im Monat | |
wirklich was zu tun (die anderen beiden waren für die Kollegen von Zitty | |
reserviert) und die Menschen mochten einen. Warum wusste kein Mensch. | |
Wahrscheinlich, weil man ihnen half, ihre öde Freizeit zu organisieren. | |
Mit einer Gruppe wurde der tip jedoch nie warm: den Berliner Hundehaltern. | |
Nach wiederholten Angriffen von unangeleinten Kampfhunden auf Kleinkinder | |
veröffentlichte die Redaktion Anfang 2000 verschiedene Vorschläge zur | |
sanften Hausschlachtung der Lieblinge im Beisein der Bezugsperson und | |
garnierte diese mit Rezepten und Bildern aus einem Standardkochbuch von | |
Brigitte mit leicht veränderter Zutatenfolge: Tafelspitz, Hot Dog und als | |
„Gourmet-Tipp“ Elsässer Schäferhundrücken mit Eierschwammerln. | |
Der Beißreflex folgte auf dem Fuße. Auf wütende Anrufe und eine Flut von | |
Hasskommentaren folgte eine Anzeige beim Staatsanwalt und die Bitte um Rüge | |
durch den Presserat – beides verlief im Sande. Den Höhepunkt bildete eine | |
Demo von Hundefreunden nebst Vierbeinern vor dem tip-Gebäude. Nun wussten | |
wir, dass man mit Fake News vorsichtig umgehen muss. Karl-Hermann Leukert | |
O-Ton vom Kanzler | |
Chefredakteur der Zitty zu sein war der coolste Job, den ich je hatte. Vor | |
allem deshalb, weil die Herausgeber mir als „Outsider“, als | |
US-Journalisten, viel Narrenfreiheit gaben. | |
Eines Tages hatten wir diese Story über den geplanten Transrapid-Zug von | |
Berlin nach Hamburg. Ich war nicht zufrieden mit der Geschichte, weil sie | |
sich wie ein Essay las. Also fragte ich, warum wir keine der handelnden | |
Figuren zu Wort kommen lassen. Die Antwort: Top-Politiker sprechen nicht | |
mit der Zitty. Ich sagte, das sei Quatsch – und ohne O-Töne könnten wir die | |
Story nicht bringen. Mir wurde klar: Um glaubwürdig zu bleiben, musste ich | |
sie schon selbst einholen. | |
Am nächsten Tag fuhr ich mit einem Spiderman-Fahrradtrikot zur Arbeit. Im | |
Brandt-Haus gab es ein SPD-Treffen. Ich ging hinein. Sie ließen mich zur | |
Pressekonferenz mit Kanzler Gerhard Schröder. Während der Fragerunde | |
meldete ich mich in meinem Spiderman-Dress, ganz hinten sitzend. Ich fragte | |
Schröder zum Transrapid und bekam das Zitat, das ich brauchte. Voller Stolz | |
und mit dem O-Ton im Gepäck ging ich ins Büro. Den anderen erzählte ich | |
nicht, dass ich als Superheld mein Zitat bekam. Kevin Cote | |
„Du bist OL?“ | |
2005, Anfang September, klingelte ich an der Tür der tip-Redaktion. Ich | |
wollte eine Anzeige für meine Party im Roadrunners-Club aufgeben: „50 Jahre | |
OL“. Die ganze Stadt sollte mitfeiern. „Du bist OL?“ Ein Mitarbeiter | |
umarmte mich, der Chefredakteur bot mir seinen Stuhl an. „Ja“, sagte ich, | |
„und wenn ihr wollt, kann ich auch für euch arbeiten.“ – „Aber du bist… | |
bei Zitty.“ Richtig, seit 1991 erschienen dort meine Strichmännchen. 1996 | |
war die Zitty wegen einem meiner Witze von Focus-Chef Helmut Markwort | |
verklagt worden. 1999 wurde sie an den Holtzbrinck-Verlag verkauft. Die | |
Mitarbeiterinnen der Anzeigenannahme trugen jetzt Dirndl, die neuen | |
Chefredakteure schrieben Editorials über ihre Baugruppenerfahrung und den | |
Ärger mit unzuverlässigen Handwerkern. Meine Cartoons wurden kaum noch | |
gedruckt. | |
„Wann kann ich anfangen?“ – „Sofort.“ Zehn Witze pro Ausgabe und der | |
„Cosmoprolet“, meine neue Serie – plötzlich war ich reich. Und für die | |
Zitty gestorben. Exkollegen wechselten die Straßenseite und spuckten aus, | |
wenn sie mich sahen. Einmal brannte ein Auto, es war nicht meins. Lang her, | |
längst vergessen. Inzwischen arbeite ich für den tip fast so lange wie | |
zuvor für die Zitty. Ich bin zu alt, um nochmal zu wechseln. Wohin auch? | |
(Gibt’s den Prinz eigentlich noch?) OL | |
Pointen-Ping-Pong | |
Schon lange sang man Requiems auf die Stadtmagazine dieser Welt, als ich | |
2014 mein Praktikum bei der Zitty begann. Gerade war die Redaktion zur | |
Agentur Raufeld nach Kreuzberg umgezogen, zum Herausgeber der einstigen | |
Konkurrenz vom tip. Aber mein Pessimismus reichte nie, um den Trauerflor | |
anzulegen. Im Gegenteil – mich elektrisierte, was ich bei der Zitty fand: | |
Eine journalistische Heimat mit geduldigen Eltern, die mich hineinschubsten | |
ins Tagesgeschäft dieser irren Stadt. Mit Geschwistern, die mich mit ihrer | |
Leidenschaft fürs Schreiben und Recherchieren ansteckten. Und mit Onkeln, | |
deren stetes Pointen-Ping-Pong am Schreibtisch meiner Produktivität so ab- | |
wie der Kulturbildung zuträglich war. | |
Auf mein Praktikum folgten ein Volontariat und eine Stelle als Redakteurin, | |
ich erlebte Relaunches und Kursänderungen. Seit Anfang 2016 teilt sich die | |
Zitty-Belegschaft nun die Redaktion mit den Kolleginnen und Kollegen des | |
tip – und der einzige Kampf, der hier nunmehr stattfindet, ist der | |
Wettstreit meines geschätzten Gegenübers und mir um die katastrophalste | |
Schreibtischordnung. Manchmal höre ich sie noch, die Requiems. Aber dann | |
stelle ich mich einfach auf die Dachterrasse, rauche und lasse mich vom | |
Kreuzberger Lärm umspülen. Julia Lorenz | |
Ihr seht alle toll aus! | |
Anfangs kostete der Job mich einige Überwindung. Seit etwa Mitte der | |
Nullerjahre bin ich für die Zitty-Rubrik „Wie war's?“ zuständig. Ich muss | |
also Konzertbesucher nach den Auftritten fragen, wie sie es denn so fanden. | |
Anfangs war mir dabei unbehaglich zumute. Denn während der Rest des | |
Publikums sich also vom Bühnengeschehen im besten Falle euphorisieren ließ, | |
sollte ich nach dem Konzert wildfremden Menschen etwas aus der Nase ziehen | |
und sie zudem mit einem erbarmungslosen Blitzlicht erschrecken. | |
Mittlerweile ist dieser Job mein Lieblingsjob – nicht nur, weil ich | |
regelmäßig Konzert gucken darf. Und das Publikum in den meisten Fällen viel | |
zugänglicher ist als der Berliner sonst so. Sondern auch, weil man als | |
jemand, der sich professionell mit Popmusik beschäftigt, leicht eine ganz | |
eigene, oft etwas verquere Perspektive auf Themen und ihre mögliche | |
Verwertung bekommt. Zu erleben, mit welcher Leidenschaft und wie viel | |
klugen, schrägen, lustigen Beobachtungen Konzertbesucher das Erlebte | |
kommentieren, ist ein schönes Gegengift, etwa zur Diskussionskultur im | |
Internet. Mit der Zeit lernte ich, wie man verschwitzten, müden Menschen, | |
die eigentlich nur schnell zur Garderobe wollen, mehr als nur ein „war | |
geil“ entlockt. | |
Nur bei den Fotos stellen sich viele nach wie vor an. Dabei seht Ihr doch | |
alle toll aus! Geradezu niedlich, wie sich auch die abgebrühteste Type sich | |
freut, wenn ich ihm oder ihr das dann mal sage. Sollte ich öfter tun. | |
Stephanie Grimm | |
1 Apr 2017 | |
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