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# taz.de -- Rechtspopulisten in Finnland: Im Land des Schönheitsschlafs
> Der Nachwuchs der Wahren Finnen hetzt gegen Flüchtlinge, allen voran:
> Sebastian Tynkkynen. Er sagt: „Make Finland Great Again“.
Bild: Wahres Finnland: Sebastian Tynkkynen, wie er sich selbst gern sieht. Das …
Oulu/Helsinki taz | Das Scheinwerferlicht ist auf Sebastian Tynkkynen
gerichtet. Er blinzelt, muss sich verteidigen, live, vor Hunderttausenden
Zuschauern. „Möchtest du dich entschuldigen?“, fragt der Moderator. „Aber
ich habe doch niemanden verletzt“, entgegnet Tynkkynen. „Doch, das hast
du“, sagt der Moderator. „Du hast die Friedensveranstaltung sabotiert und
die Trauerfeier für deinen Zweck instrumentalisiert.“
Es geht um die Demonstration am 24. September, die größte gegen Rassismus
in der Geschichte Finnlands. Sebastian Tynkkynen kam im Batman-Kostüm und
verteilte Trillerpfeifen mit dem Logo der Jungen Wahren Finnen. Dabei waren
politische Symbole bei dem Gedenkmarsch für Jimi Karttunen verboten. Der
28-Jährige war am 10. September in Helsinki von einem Neonazi schwer
verletzt worden und kurz darauf gestorben.
Er habe wie alle anderen ein Zeichen gegen Rassismus und Gewalt setzen
wollen, beteuert Tynkkynen. In den weißen Shorts und dem weißen Hemd sitzt
er auf der Bühne wie ein Heiliger, vom kühlen Studiolicht angestrahlt. Wäre
da nicht die blaue Cap mit der Aufschrift „Make Finland Great Again.“
Sebastian Tynkkynen ist Vorsitzender der Jungen Wahren Finnen, der
Jugendorganisation der Partei der Wahren Finnen, auch kurz „Die Finnen“
genannt, die wie viele andere rechtspopulistische Parteien in Europa neue
Akteure auf dem politischen Feld sind. Seit 2015 bilden sie mit zwei
konservativen Parteien die Regierung und setzen ihre
Anti-Einwanderungspolitik durch. So ist Flüchtlingen der Familiennachzug
mittlerweile nahezu ganz verwehrt und Afghanistan, Somalia und der Irak
sind als quasi sichere Herkunftsländer eingestuft.
## Der Moderator bohrt weiter
„Willst du dich entschuldigen?“, bohrt der Moderator noch einmal. Die
Kamera schwenkt auf Tynkkynens Unterstützer, die im Publikum sitzen.
Tynkkynen stockt. „Bei allen Angehörigen, die ich mit meinem Verhalten
verletzt habe, möchte ich um Entschuldigung bitten“, sagt er schließlich.
Die Lichter gehen aus.
In seiner Wohnung in Oulu hat Tynkkynen das kühle Weiß gegen T-Shirt und
Jeans getauscht. „Wir haben unsere Fingerabdrücke in der Politik
hinterlassen“, sagt er. Der 27-Jährige steht in der Küche und kocht,
Kohleintopf mit Reis und Gemüse, typisch finnisch. Privat wirkt er
freundlich und gelassen, erzählt von seinem Lehramtsstudium, spricht davon,
dass er bisexuell, Veganer und evangelischer Christ ist. Die Tonlage ändert
sich, wenn es um Flüchtlinge und Asylpolitik geht. Dann spricht er lauter,
schneller, aggressiver. Dabei kann er seine Ansichten gut erklären, die
Argumente für sich auslegen.
Wer ihn voreilig als Rassisten abstempelt, den überhäuft er mit einem Berg
von Erklärungen, Beispielen und seiner Lebenserfahrung. Als Pastorensohn
habe er als Kind und Jugendlicher Kontakt zu Flüchtlingen gehabt, die im
Haus der Familie unterkamen. Das waren Menschen aus unterschiedlichen
afrikanischen und arabischen Ländern, er kenne ihre Kultur und ihr Wesen.
## „Ich liebe Ausländer“
Sein Kindheitsfreund kommt aus dem Sudan. „Ich liebe Ausländer“, beteuert
er. „Aber wenn es um Politik geht, muss man das tun, was weise ist. Sonst
haben wir bald ganz Afrika und den Nahen Osten hier sitzen.“ Er wirkt
verzweifelt, dass niemand ihn versteht, weder die Medien noch andere
Politiker. Vielleicht ist das seine Masche.
Die Jugendorganisation ist sein Projekt, und er ihr schillerndes
Aushängeschild. Die anderen Mitglieder scheuen die Öffentlichkeit eher.
„Ich habe ein dickes Fell“, sagt Tynkkynen. Und dafür bewundern ihn seine
Anhänger. Er weiß, wie man redet, spricht aus, dass der Islam mit der
finnischen Kultur unvereinbar sei. Doch er verstrickt sich dabei vor
laufender Kamera in Widersprüche.
Im Netz hagelt es dafür Beleidigungen und Kritik. Die steckt er weg.
Vielleicht kommt die Provokationsmasche bei den anderen Jungen Wahren
Finnen so gut an, weil in der konsensorientierten finnischen
Diskussionskultur das Thema Flüchtlinge lange totgeschwiegen wurde. Die
Wahren Finnen brachen das Tabu und Tynkkynen hält die Debatte am Laufen.
## Ein Star durch Big Brother
2011 wurde er durch die Reality-Serie Big Brother finnlandweit bekannt. Er
spielt mit den Medien, mal umarmt er Journalisten beim Zeitungsinterview –
„wir Menschen berühren uns viel zu selten“ –, mal liefert er sich hitzige
Wortgefechte mit ihnen, doch auch mit der Mutterpartei. Big Brother hat
Spuren hinterlassen. Außerdem ist er ein Wutschreiber, der im Netz gegen
den Islam hetzt.
In einem Facebook-Post verglich er den Islam mit dem Nationalsozialismus,
den Propheten Mohammed mit Hitler. Einige Tage zuvor war Jimi Karttunen
seinen Verletzungen erlegen. Dies habe er sarkastisch gemeint, sagt
Tynkkynen. Eigentlich sei er das Opfer, das den Rassismus-Stempel verpasst
bekommen habe. Gegen ihn läuft jetzt wegen dieses Posts ein Verfahren wegen
des Verdachts auf Volksverhetzung. Er begreift nicht, warum. Tynkkynen hält
kurz inne, als erwarte er Verständnis.
In einem abgedunkelten Burger-Lokal in der Innenstadt von Helsinki sitzen
acht junge Leute am Tisch. Auf dem Flachbildschirm läuft Fußball, im
Hintergrund spielt eine Jukebox. Allmählich trudeln weitere Besucher ein.
Die Gespräche drehen sich um Studium und Arbeit. Es scheint, als verbinde
die Gruppe eine langjährige Freundschaft, dabei eint sie vor allem eins:
Sie glauben, dass Flüchtlinge in Finnland nichts zu suchen haben und dass
man Angst vor muslimischen Männern haben muss.
## Die einzige Frau
„Multikulturalität funktioniert hier nicht“, sagt Juha Karjalainen in
sicherem Deutsch. Der 26-Jährige hat ein Semester in Berlin studiert. Er
bezeichnet sich als „konservativen, einwanderungskritischen Nationalisten“.
Die einzige Frau in der Runde fürchtet sich vor den Ausländern in ihrem
Viertel. Die Frauen trügen Burkas, die Männer lungerten in Gruppen herum
und sprächen laut in einer fremden Sprache, die irgendwie aggressiv klinge.
„Hier wird niemand schief angeguckt, wenn er seine Meinung ausspricht“,
sagt ein kräftig gebauter Mann, der die Abende organisiert. Er zupft das
Pappschild vor sich auf dem Tisch zurecht. „Ryhtiliike“ steht darauf. So
nennen die Jungen Wahren Finnen ihren Stammtisch. Übersetzt heißt das
„Haltungsbewegung“ und spielt auf eine Volksinitiative der fünfziger Jahre
an. Damals wollte der finnische Staat seine Bürger zu mehr Sport animieren
und ihr Benehmen verbessern. Auch die Jungen Wahren Finnen verstehen sich
als Bewegung, die für eine andere Haltung steht.
Doch was macht einen „Wahren Finnen“ aus? Die jungen Menschen schauen sich
an. „Wir haben dieselben Werte“, sagt einer. Gleichberechtigung von Mann
und Frau, Trennung von Staat und Religion, Selbstbestimmung,
Meinungsfreiheit. Und wie steht es um die Religionsfreiheit? Auch die gibt
es im Weltbild der Wahren Finnen, aber mit Einschränkungen. Denn der Islam
benachteilige Frauen und Homosexuelle. Natürlich könne man das nicht
pauschalisieren, aber ein Kampf der Kulturen sei unvermeidbar. Die
Segregation sei schließlich auch in Finnland in vollem Gange.
## Ein Gesetz soll das Asylverfahren erschweren
32.000 Flüchtlinge sind 2015 nach Finnland gekommen mit seinen 5,4
Millionen Einwohnern. Viele reisten über die schwedische Grenze in Lappland
ein oder nahmen die Fähre aus Stockholm. Auch nutzten die Flüchtlinge die
russische Grenze zur Einreise. Der finnische Wohlfahrtsstaat reagierte so
lange offen, bis die Wahren Finnen nach der Parlamentswahl im Mai 2015 in
die Regierung eintraten.
Die Partei stellt 37 der insgesamt 200 Abgeordneten im finnischen Reichstag
und ist zweitstärkste Kraft. Derzeit diskutiert die Mitte-rechts-Regierung
unter Ministerpräsident Juha Sipilä von der Zentrumspartei über einen
Gesetzentwurf, der den rechtlichen Beistand für Flüchtlinge bei der ersten
Anhörung im Asylverfahren streichen soll.
Doch auch die finnische Zivilgesellschaft bewegt sich. Allein zum
Gedenkmarsch für Jimi Karttunen kamen in Helsinki 15.000 Menschen. Auch in
anderen Städten wurde protestiert. Andere politische Jugendorganisationen,
wie die Grüne Jugend, legen Gesetzesentwürfe für eine strengere Ahndung von
organisiertem Rassismus vor. Finnland ist aus seinem politischen
Schönheitsschlaf erwacht.
## Finnische Qualitäten
Die Jungen Wahren Finnen diskutieren bei ihrem Stammtisch erneut über
Flüchtlinge. Ein hagerer Mann mit Brille und Ziegenbart kaut nervös an
einem Burger. Für ihn seien die Muslime nicht nur Fremde, sondern Wilde,
die sich ungebändigt vermehren. „Wir Finnen legen eben mehr Wert auf
Qualität als auf Quantität. Auch beim Kindermachen“, sagt er. Die Runde
blickt irritiert, Gelächter bricht aus. Juha Karjalainen, der
Deutschland-Fan, versucht, zu beschwichtigen. Keine Chance, der Ziegenbart
wettert weiter.
Der stämmige Organisator lehnt sich zurück. Dann nimmt er einen großen
Schluck von seinem Bier und sagt: „Hier wird niemand schief angeguckt.“ Er
lächelt.
12 Nov 2016
## AUTOREN
Jasmin Sarwoko
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Finnland
Rechtspopulisten
Zensur
Rechtsextremismus
Finnland
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