| # taz.de -- Selbstmord des Terrorverdächtigen: „Fiasko!“, „Skandal!“, … | |
| > Linken-Chefin Kipping wirft der sächsischen Regierung totales Versagen | |
| > vor. Die Grünen-Politikerin Künast fordert einen Untersuchungsausschuss. | |
| Bild: Leipziger Justizvollzugsanstalt, wo Jaber al-Bakr inhaftiert war | |
| Berlin/Essen/Leipzig dpa/epd | Nach dem Suizid des Terrorverdächtigen | |
| Dschaber al-Bakr in einem Leipziger Gefängnis wirft Linken-Chefin Katja | |
| Kipping der sächsischen Regierung völliges Versagen vor. Es handele sich um | |
| ein totales Fiasko der Staatsregierung, sagte die Dresdner Politikerin der | |
| Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Die Vorsitzende des | |
| Bundestags-Rechtsausschusses, Renate Künast, pochte auf einen | |
| Untersuchungsausschuss wegen zahlreicher Ungereimtheiten bei dem Todesfall. | |
| Der als hochgefährlich eingestufte 22-jährige Syrer hatte sich am Mittwoch | |
| in seiner Zelle [1][mit seinem T-Shirt erhängt]. Laut Verfassungsschutz | |
| hatte der als Flüchtling eingereiste Islamist einen Sprengstoffanschlag auf | |
| einen Berliner Flughafen geplant. | |
| Parteiübergreifend wurde Kritik daran laut, dass die Verantwortlichen nicht | |
| erkannt hatten, dass er sich das Leben nehmen könnte. Er sei in Haft wie | |
| ein „Kleinkrimineller“ behandelt worden, kritisierte selbst Sachsens | |
| Vize-Ministerpräsident Martin Dulig (SPD). Justizminister Sebastian Gemkow | |
| (CDU) beteuerte hingegen, man habe alles unternommen, um einen Suizid zu | |
| verhindern. | |
| Kipping verlangte, Gemkow müsse zurücktreten. „Der Justizminister wiegelt | |
| ab und flüchtet sich in absurdeste Erklärungsversuche, anstatt einfach mal | |
| die Verantwortung zu übernehmen – und zu gehen“, sagte Kipping der dpa. Sie | |
| sagte, der Selbstmord verhindere die so wichtige Aufklärung über die | |
| möglichen Hintermänner des vermeintlichen Attentäters und seine Pläne und | |
| Ziele. „Die CDU-Sachsen redet immer von Recht und Ordnung, ist aber in | |
| Wahrheit ein Sicherheitsrisiko für das ganze Land.“ | |
| ## „Absoluter Skandal“ | |
| Die Pannenserie im Fall des syrischen Terrorverdächtigen sollte in Sachsen | |
| nach Ansicht von Politikwissenschaftler Hajo Funke auch politische | |
| Konsequenzen haben. „Da muss ein Besen her, der das alles aufräumt“, sagte | |
| Funke der Deutschen Presse-Agentur. Auf die Frage, wer dieser „Besen“ sein | |
| könnte, antwortete er: „In erster Linie der Innenausschuss des sächsischen | |
| Landtags.“ Es sei aber auch Aufgabe der Bundes-CDU, Druck auf die | |
| sächsischen Parteikollegen auszuüben, damit sich die Zustände im Freistaat | |
| änderten. Funke warf Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) vor, er habe | |
| sich in diesem „absoluten Skandal“ bislang weggeduckt. | |
| Die Grünen-Politikerin Künast sagte, es müsse eine unabhängige Aufklärung | |
| geben. „Es geht nicht, dass das die Landesregierung und die sächsische | |
| Justiz allein bestimmen“, [2][sagte sie in der Berliner Zeitung]. Aus ihrer | |
| Sicht gebe es nur zwei Möglichkeiten, um dies zu gewährleisten: „Entweder | |
| man setzt eine unabhängige Untersuchungskommission ein – oder gleich einen | |
| Untersuchungsausschuss.“ | |
| Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach klagte ebenso über mangelnde Sorgfalt | |
| bei der Bewachung in der Leipziger JVA. „Angesichts der Bedeutung des | |
| Tatvorwurfs und der gesamten Umstände wäre eine lückenlose Überwachung des | |
| Häftlings nicht unverhältnismäßig gewesen“, sagte er der Passauer Neuen | |
| Presse. | |
| ## Kriminologe ist „entsetzt“ | |
| Der Kriminologe Christian Pfeiffer aus Niedersachsen äußerte sich | |
| „entsetzt“ über die Zustände bei Polizei und Justiz in Sachsen. Zu Al-Bakr | |
| sagte er der Neuen Presse: „Eigentlich wollte er einen Heldentod sterben. | |
| So einer ist hochgradig selbstmordgefährdet.“ Dies hätte klar erkannt | |
| werden müssen. | |
| Der Vize-Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, forderte eine | |
| permanente Überwachung mutmaßlicher Selbstmordattentäter durch Videokameras | |
| oder Sitzwachen in Haftanstalten. „Nicht nur die Polizei, alle | |
| Sicherheitsbehörden müssen sich stärker auf die Denkweise eines | |
| Selbstmordattentäters einstellen“, sagte Radek der „Rheinischen Post“. �… | |
| müssen verinnerlichen, dass dieser Tätertypus sich selbst aufgegeben hat.“ | |
| Al-Bakr wurde offenbar nach seiner Überstellung an die | |
| Justizvollzugsanstalt Leipzig nicht mehr von den Strafverfolgungsbehörden | |
| vernommen. Das berichten die Zeitungen des RedaktionsNetzwerks Deutschland | |
| unter Berufung auf Sicherheitskreise. Demnach durften die sächsischen | |
| Strafverfolger den Syrer nicht mehr vernehmen, nachdem der | |
| Generalbundesanwalt das Verfahren an sich gezogen hatte. Die | |
| Bundesanwaltschaft selbst gab demnach allerdings kein Verhör mehr in | |
| Auftrag. | |
| ## 67 Häftlinge nahmen sich 2015 das Leben | |
| Die Zahl der Suizide in deutschen Gefängnissen ist in den vergangenen zwei | |
| Jahren gestiegen: Während die Bundesländer 2013 noch 48 Selbsttötungen in | |
| Justizvollzugsanstalten zählten, waren es im folgenden Jahr bereits 55 und | |
| im Jahr 2015 bundesweit 67 Fälle. Wie die Zeitungen der Funke Mediengruppe | |
| unter Berufung auf die Bundesarbeitsgruppe Suizidprävention im | |
| Justizvollzug berichteten, nahmen sich in den Jahren zwischen 2000 und 2015 | |
| insgesamt 1.189 Häftlinge das Leben. Das höchste Suizidrisiko besteht | |
| demnach in den ersten 14 Tagen einer Untersuchungshaft. | |
| Generell sei die Suizidhäufigkeit im Verhältnis zur Zahl der Inhaftierten | |
| in den vergangenen Jahren allerdings zurückgegangen, sagte Katharina | |
| Bennefeld-Kersten, Leiterin der Bundesarbeitsgruppe, den Funke-Zeitungen. | |
| Ein Grund seien erfolgreiche Präventionsprogramme der Länder: „Die | |
| Bundesländer haben in den vergangenen Jahren viel in Suizid-Prävention im | |
| Justizvollzug investiert.“ Sachsen sei in diesem Punkt sogar Vorreiter. | |
| Mit Blick auf den Suizid des terrorverdächtigen Syrers Dschaber al-Bakr am | |
| Mittwochabend in der JVA Leipzig warnte Bennefeld-Kersten vor überzogenen | |
| Erwartungen an die Möglichkeiten, eine Selbsttötung zu verhindern: „Wenn | |
| jemand es darauf anlegt, dann schafft er es auch.“ Ähnlich äußerte sich | |
| Bennefeld-Kersten [3][in einem Interview mit der taz]. Die | |
| Bundesarbeitsgruppe Suizidprävention im Justizvollzug ist Teil des | |
| Nationalen Suizidpräventionsprogramms. Die Arbeitsgruppe besteht aus | |
| Mitarbeitern des Strafvollzugs und Experten. | |
| 14 Oct 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Terrorverdaechtiger-von-Chemnitz/!5348456 | |
| [2] http://www.berliner-zeitung.de/kuenast-will-untersuchungsausschuss-zu-fall-… | |
| [3] /Psychologin-ueber-Haeftlingssuizid/!5348525 | |
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