# taz.de -- Ein Vereinsmuseum für den FC St. Pauli: Niederlagen hinter Glas | |
> Hall of Pain: Das von den Fans gestaltete Museum soll nicht Triumphe und | |
> Trophäen zeigen, sondern Misserfolge und stetiges Wiederaufstehen. | |
Bild: Flexen, schweißen und hämmern selber: die Fans | |
HAMBURG taz | Nackter Beton, unverkleidete Rohre. Kein Putz, überall liegen | |
Leitungen herum. Die Räume im Erdgeschoss des Stadions erinnern an den | |
Rohbau einer Tiefgarage – und nicht an ein Museum. Und doch soll hier bis | |
2018 ein solches entstehen. Insgesamt 900 Quadratmeter, davon 600 | |
Quadratmeter Ausstellungsfläche, müssen hergerichtet werden. Zeit ist | |
genug. Doch das dafür benötigte Geld ist nicht vorhanden. Noch nicht. | |
In den Katakomben der Gegengeraden des Millerntor-Stadions entsteht derzeit | |
ein Fußballmuseum, das einzigartig ist. Das FC-St.-Pauli-Museum. | |
Ungewöhnlich ist schon seine Geschichte. Denn ursprünglich sollte in die | |
Stadionräume die Stadionwache der Polizei einziehen. | |
Die Fans rebellierten gegen den „Polizeipalast im Piratenschiff“. Nannten | |
die geplante Wache, die größer sein sollte als die meisten ihrer Art in | |
anderen Stadien, „Goliathwache“ – in Anlehnung an die berühmte, nur einen | |
Steinwurf entfernte kleine Davidwache an der Reeperbahn. | |
Doch um die Wache zu verhindern, bedurfte es einer sinnvollen | |
Alternativnutzung für die der Polizei versprochenen Räume. Die Idee eines | |
Vereinsmuseums, bis dahin nur in den Köpfen weniger Club-Anhänger | |
verhaftet, bekam Konjunktur in der Fanszene. Die Fanproteste hatten Erfolg. | |
Die Wache wurde außerhalb des Stadions gebaut und ist inzwischen fertig. | |
Und das Museum wird kommen – das steht fest. | |
Besonders ist auch, dass nicht der Verein, sondern die Fans das Museum | |
gestalten, finanzieren und konzipieren. Christoph Nagel, einer der | |
Museumsaktivisten, spricht „von dem komplexesten Projekt, das jemals von | |
der Fanszene realisiert wurde“. 2012 wurde der gemeinnützige Verein „1910 … | |
Museum für den FC St. Pauli e. V.“ gegründet, um das ambitionierte Projekt | |
zu realisieren. Baupläne mussten erstellt, gefühlte tausend Genehmigungen | |
bei den verschiedensten Ämtern eingeholt, eine inhaltliche Konzeption | |
entwickelt, Ausstellungsstücke akquiriert und Finanzmittel eingeworben | |
werden. | |
## Trophäen gibt es kaum welche | |
All das funktioniert rein ehrenamtlich. Etwa einmal pro Woche trifft sich | |
die fünf- bis sechsköpfige Gruppe, die das sortiert und katalogisiert, was | |
einmal ausgestellt werden soll. 700 der bislang zusammengetragenen 4.000 | |
Fundstücke und Geschenke aus Fan-Nachlässen wurden so bislang | |
inventarisiert. Historische Trikots und Fußballschuhe, Presseartikel, ein | |
alter Kreidewagen, die mit alten Aufklebern „geschmückten“ Fenster des | |
alten Vereinsheims, das dem Stadionneubau weichen musste. | |
Trophäen gibt es hier kaum zu sehen – der Verein hat nie die Deutsche | |
Meisterschaft, den DFB-Pokal oder gar die Champions League gewonnen. Als er | |
im Dortmunder Vereinsmuseum an den Vitrinen mit den Schalen und Preisen | |
entlang schlenderte, hat Anhänger Nagel festgestellt: „Pokale ohne | |
Geschichte sind nur große Vasen – du siehst sie an und du fühlst nichts.“ | |
Doch ums Gefühl soll es im Museum des FC St. Pauli gehen: Um Geschichte und | |
ums Geschichtenerzählen. Es soll sich eine Beziehung zwischen dem | |
Ausgestellten und den Besuchern aufbauen. Der schmucklose Oddset-Pokal, der | |
lediglich zwischen Hamburger Amateurmannschaften ausgespielt wird, wird die | |
wichtigste Trophäe im St.-Pauli-Museum sein. Der Gewinn 2005 berechtigte | |
die Kiez-Kicker zur Teilnahme am DFB-Pokal, bei dem sie die vier viel | |
höherklassigen Teams – Burghausen, Bochum, Berlin und Bremen – rauswarfen | |
und durch die ungeplanten Millioneneinnahmen den vor der Insolvenz | |
stehenden Verein retteten. Die Erfolgsgeschichte, die dann begann und dem | |
Verein schließlich solide Finanzen und ein neues Stadion bescherte, wäre | |
ohne Oddset-Pokal nie möglich gewesen. Das ist eine der vielen Geschichten, | |
die es zu erzählen gilt. | |
## „Hall of Pain“ statt „Hall of Fame“ | |
Sie wollen nicht das „klassische Sporterfolgsmuseum“, sagt Nagel und fügt | |
hinzu: „Wie auch, ohne Titel?“ Während es etwa in Dortmund oder beim HSV | |
keine Hinweise auf verlorene Lokalderbys – hier gegen Schalke, da gegen St. | |
Pauli – gibt, sondern nur Titel und Triumphe, sollten am Millerntor | |
„Misserfolge sichtbar gemacht“ werden. | |
Neben der obligatorischen „Hall of Fame“, in der alle anderen Vereinsmuseen | |
die Cluberfolge zur Schau stellen, wird es im St.-Pauli-Museum auch eine | |
„Hall of Pain“ geben. „Es geht ums Wiederaufstehen nach Niederlagen und | |
Rückschlägen“, sagt Nagel. „Wir wollen kein Fußball-, sondern ein | |
Lebensmuseum werden.“ | |
So soll auch die enge Beziehung zwischen dem Verein und dem Stadtteil, nach | |
dem er benannt ist, sichtbar werden. Und die Ausstellung versucht eine | |
Antwort auf die Frage zu finden, „warum dieser Club ohne jeden großen Titel | |
europaweit so bekannt ist?“, sagt der St.-Pauli-Fan Nagel. | |
Wer das Museum betritt, solle ein Gefühl dafür bekommen, warum sich die | |
Fans gerade mit diesem Club so identifizieren, was den Mythos FC St. Pauli | |
ausmacht. Dazu gehören zudem die zahlreichen politischen und sozialen | |
Aktivitäten, die den Club bekannt gemacht haben: Sein konsequenter | |
Antifaschismus, sein Engagement für Flüchtlinge und Projekte wie „Viva con | |
Aqua“ oder die „Kiezhelden“, die hier ihren Anfang nahmen. | |
## Es fehlt noch Geld | |
Bis es so weit ist, werden noch zwei Jahre vergehen. Oder auch drei. Das | |
für die erste Ausbaustufe benötigte Geld, rund eine dreiviertel Million | |
Euro, ist durch Fundraising-Aktionen und Spenden fast eingespielt. Doch | |
eine weitere dreiviertel Million fehlt noch, um die kargen Betonräume in | |
ein lebendiges Museum zu verwandeln. | |
Im kommenden Jahr soll es aber bereits zwei provisorische Ausstellungen als | |
Vorgeschmack auf das Museum geben. Eine davon wird sich dem „FC St. Pauli | |
im Dritten Reich“ widmen. | |
25 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Marco Carini | |
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