# taz.de -- Autor Haneef Shareef über Belutschistan: „Eine Bereicherung für… | |
> Der Schriftsteller und Regisseur Haneef Shareef setzt sich für die | |
> Unabhängigkeit Belutschistans von Pakistan ein. In seiner Heimat ist er | |
> vom Tode bedroht. | |
Bild: Obststand in Quetta, der Hauptstadt der pakistanischen Provinz Belutschis… | |
taz: Haneef Shareef, hierzulande ist Belutschistan den wenigsten Menschen | |
eine Begriff. Sie setzen sich für dessen Unabhängigkeit ein. Was ist die | |
Geschichte von Belutschistan? | |
Haneef Shareef: Belutschistan ist ein Land, das in drei Länder aufgespalten | |
wurde – in Iran, Afghanistan und Pakistan. Ich habe in Pakistan gelebt, | |
dort ist die Situation katastrophal. Der Ursprung des Problems reicht bis | |
in das Jahr 1947 zurück, als die Briten Belutschistan verließen und es zum | |
unabhängigen Staat erklärten. Denn kurz darauf, im März 1948, wurde | |
Belutschistan von Pakistan annektiert. Pakistan hatte keine Bodenschätze | |
und nur einen kleinen Meereszugang – Belutschistan macht jedoch über 40 | |
Prozent des heutigen pakistanischen Territoriums aus. Seither gab es immer | |
wieder Kriege, in denen die Belutschen gegen die Besetzung kämpften: 1948, | |
1958, aber auch in den 1960ern, 1970ern und in den 2000er Jahren. | |
Inwiefern werden die Belutschen in Pakistan unterdrückt? | |
Pakistan erschwert der belutschischen Bevölkerung den Zugang zu Bildung. Es | |
gibt lediglich eine Universität und eine Ingenieurschule, wir haben kaum | |
Trinkwasser, Elektrizität und Straßen. Einige Belutschen stellen sich gegen | |
Pakistan – ich beispielsweise, indem ich Bücher schreibe. Doch wer das | |
pakistanische Regime kritisiert, wird verhaftet, manchmal für zwei, | |
manchmal für sieben Jahre. Und manche Kritiker werden auch getötet. Es gibt | |
keine Verfahren und Prozesse, Rechtsstaatlichkeit wird nicht eingehalten. | |
Sie selbst saßen auch im Gefängnis? | |
Ich wurde im November 2005 verhaftet und war für neun Monate im Gefängnis. | |
Dort wurde ich gefoltert. Ohne Prozess, ohne Verfahren. Da ich in | |
Belutschistan einen kleinen Bekanntheitsstatus besitze und von vielen | |
Belutschen geschätzt werde, gab es viele Proteste für meine Freilassung – | |
von befreundeten Schriftstellern, Politikern und meiner Familie. Als ich | |
dann am 18. Juli 2006 aus der Haft entlassen wurde, sagte mir das Regime, | |
dass es mich töten würde, sofern ich irgendwas täte, was ihnen nicht | |
schmecken würde. | |
Wie ging es dann weiter? | |
Als ich dann zurückkam, hatte ich psychische Probleme: Ich sprach kaum, | |
wollte keine Leute treffen, hatte Angst. 2010 beschloss ich, in den Oman zu | |
gehen. Das wurde mir auch von vielen Freunden und der Familie empfohlen, da | |
die Situation in Pakistan für mich zu gefährlich wurde. Doch als ich im | |
Oman war, lief mein pakistanischer Pass ab und ich hatte einen ernst zu | |
nehmenden Hinweis bekommen, dass ich auf der roten Liste der pakistanischen | |
Botschaft stehe. Deshalb beschloss ich, irgendwohin zu gehen, wo ich den | |
pakistanischen Pass nicht bräuchte. | |
Haben Sie eigentlich Familie? | |
Ja, ich habe eine Frau und ein Kind. Meine Tochter habe ich das letzte Mal | |
gesehen, als sie unter einem Jahr alt war. Sie weiß nicht mal, wie ich | |
aussehe. Auch für meine Familie ist es in Pakistan gefährlich, da ich als | |
einflussreicher Schriftsteller gelte. Meine Frau und Tochter müssen deshalb | |
in regelmäßigen Abständen ihren Wohnort wechseln, weshalb meine Tochter | |
nicht zur Schule gehen kann. Mein Wunsch ist es, sie nach Deutschland zu | |
holen. | |
Haben Sie schon etwas in die Wege geleitet? | |
Ich bin Asylbewerber mit einem laufenden Asylanerkennungsverfahren. Ich | |
warte bereits seit über elf Monaten auf eine Anhörung und hoffe darauf, den | |
Status eines Asylberechtigten zu bekommen. Ich habe einen Anwalt | |
beauftragt, der dem Bundesamt für Migration schrieb, dass es für mich | |
wichtig sei, zur Anhörung eingeladen zu werden. Das Bundesamt hat daraufhin | |
geantwortet, dass es derzeit keine Zeit hätte. Sofern ich den Status des | |
anerkannten Asylberechtigten bekomme, besteht nach drei Jahren die | |
Möglichkeit, meine Familie hierher zu bringen. | |
Ihr Eindruck ist, dass Ihr Asylverfahren sich hinzieht, weil die deutschen | |
Behörden mit dem Belutschistan-Konflikt nicht vertraut sind. Wie äußert | |
sich diese Unkenntnis? | |
Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Ich bin sehr froh, dass ich von | |
Deutschland aufgenommen wurde. Im Allgemeinen schätze ich es, hier zu | |
leben, die Freiheiten und so weiter. Aber deutsche Behörden halten uns für | |
pakistanisch, weshalb wir häufig gemeinsam mit Pakistanern auf Wohnungen | |
und Lager verteilt werden. Das ist problematisch, weil unter den | |
Flüchtlingen viele patriotische Pakistaner sind. Unlängst demonstrierten | |
wir beispielsweise für die Rechte der Belutschen in Düsseldorf. Vor Ort | |
waren Pakistaner, die uns fotografierten und drohten, die Fotos der | |
pakistanischen Botschaft zukommen zu lassen. | |
Handelt es sich in Belutschistan eigentlich um einen ethnischen oder um | |
einen religiösen Konflikt? | |
Es handelt sich um einen Freiheitskonflikt, da Belutschistan von Pakistan | |
annektiert wurde. Allerdings benutzt Pakistan alle Mittel: mal religiöse, | |
mal ethnische Gründe. Pakistan ist ein islamisch fundamentalistisches | |
Regime, das die Belutschen talibanisiert. | |
Wie kann man sich eine Talibanisierung vorstellen? | |
Sie etablieren überall Madrasa, islamische Schulen, mit Unterstützung von | |
Saudi-Arabien, weshalb eine kleine Zahl von Belutschen zu den Taliban | |
übergelaufen ist. Es wäre möglich, dass dasselbe passiert wie damals mit | |
Afghanistan: Dort bestanden die Taliban nahe zu ausschließlich aus | |
Paschtunen, die in Pakistan die Madrasa besucht haben und dort | |
talibanisiert wurden. Das Gleiche könnte sich mit den Belutschen | |
wiederholen. Doch derzeit ist die Mehrheit der Belutschen zum Glück säkular | |
und praktiziert einen liberalen Islam: Wir haben keine Probleme mit anderen | |
Religionen. Es ist egal, ob jemand Jude, Christ, Hindu oder was auch immer | |
ist – das ist dem pakistanischen Regime ein Dorn im Auge. Überhaupt machen | |
sie Stimmung gegen einen, sofern man sie in irgendeiner Form kritisiert. | |
Wenn ich beispielsweise einen Film mit Europäern, Amerikanern, Indern oder | |
Israel machen würde, würden sie mich sofort als Mossad-Spion bezeichnen. | |
Oder noch schlimmer, als RAW-Spion. | |
RAW ist der indische Geheimdienst. Sie als dessen Spion zu bezeichnen – das | |
ist also die schlimmste Verunglimpfung? | |
In Pakistan gibt es ein Schulfach, in dem Schüler gegen Indien eingestimmt | |
werden. Es existiert ein Buch, das muss jeder auswendig lernen. Darin | |
steht: Wir sind Muslime und die Inder sind die bösen Ungläubigen, die | |
barbarisch und gewalttätig gegen Pakistan gewesen sind. Es wird auch gegen | |
Israel gehetzt und die Belutschen werden im Zweifel als Verbündete der | |
besagten Erzfeinde angesehen. | |
Früher haben Sie vornehmlich Bücher geschrieben, heute gehen Ihre | |
künstlerischen Ambitionen darüber hinaus. Warum? | |
Die Schriftstellerei war letztlich der Grund, weshalb ich im Gefängnis war. | |
Als ich wieder freikam, wurde mir jedoch bewusst, dass ich mit meinen | |
Büchern nicht viele Leute erreiche, da viele Leute in Belutschistan keine | |
Bildung erfahren haben. Darum habe ich begonnen, Filme zu machen. Um einen | |
Film zu verstehen, braucht man keinen Doktortitel. Die Filme sind ja in | |
unserer Sprache – du siehst und verstehst! | |
Und wie sieht Ihres Erachtens eine Lösung in Belutschistan aus? | |
Die Lösung ist ganz einfach: Belutschistan braucht Freiheit. Das wäre eine | |
Bereicherung für die ganze Welt. Belutschistan ist ein säkulares Land, das | |
direkt zwischen fundamentalistischen Ländern liegt: Neben dem sunnitisch | |
fundamentalistischen Land Pakistan und dem schiitisch fundamentalistischen | |
Land Iran und auch neben Afghanistan. Territorial hätte es eine | |
strategische Relevanz wie Israel. Darüber hinaus verfügt Belutschistan über | |
Rohstoffe, wovon andere säkulare Staaten profitieren könnten: Öl, Gas, | |
Gold. | |
25 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Raffael Siegert | |
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