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# taz.de -- Nachruf auf Schimon Peres: Immer der Zweite
> Peres stammte noch aus einer Welt ohne den Staat Israel. Am Mittwoch ist
> der Politiker und Nobelpreisträger im Alter von 93 Jahren verstorben.
Bild: Schimon Peres 2014
Jerusalem taz | Israel nimmt Abschied von dem letzten der Gründerväter.
Schimon Peres war einer von denen, die aus der Diaspora kamen und ihr Leben
lang Hebräisch mit Akzent sprachen. Er gehörte zu den Zionisten, die den
Traum vom eigenen Staat für die Juden von der ersten Stunde an
mitgestaltete.
Es gibt kein wichtiges Regierungsamt, das Peres nicht irgendwann besetzt
hätte. Er war Regierungschef, Staatspräsident und Nobelpreisträger. Seinen
Traum vom Frieden mit den Palästinensern konnte er sich nicht erfüllen. „Es
gibt noch immer eine Welt zu heilen“, sagte Peres in seiner Abschiedsrede
vor zwei Jahren als Staatspräsident. Der 93jährige erlag am frühen Mittwoch
morgen den Folgen eines schweren Schlaganfalls.
Am 2. August 1923 erblickte er als Sohn der Eheleute Persky im heute
weissrussischen Wischnewa, einem jüdisches Shtetl mit nur 1500 Einwohnern,
das Licht der Welt. In seinen 1995 auf deutsch erschienenen Memoiren mit
dem Titel „Shalom“ („Frieden“) erinnert sich Peres an das Talmudstudium…
seinem Großvater und die frühe Erkenntnis, „dass nichts auf der Welt nur
eine Seite hat“. Das Kind war gottesfürchtig und stritt heftig mit seinen
Eltern, als sie ausgerechnet an einem Sabbat ihren eben erstandenen
„Radioapparat“ anschalteten. Den erwachsenen Peres konnte man allenfalls
auf Beerdigungen mit einer Kipa (Kopfbedeckung frommer Juden) sehen oder
bei Besuchen in der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem.
Mit dem Zug bis nach Istanbul und weiter auf einem polnischen Dampfer
erreichte Peres als elfjähriger Tel Aviv, besuchte dort das Gymnasium und
ging anschließend auf ein landwirtschaftliches Internat in Ben Schemen.
Kühe melken, Weizen aussähen und ernten stand auf dem Lernprogramm und wie
man mit einer Pistole umgeht. In Ben Schemen lernte Peres, Verantwortung zu
übernehmen, für das Kollektiv zu denken, er las das Kapital von Karl Marx
und traf seine spätere Frau Sonia, mit der er eine Tochter und zwei Söhne
haben sollte. Der fromme Shtetl-Jude entpuppte sich zu einem zionistischen
Sozialdemokraten.
## Schwieriges Verhältnis zu Rabin
David Ben-Gurion, Israels erster Regierungschef, wurde auf den jungen
Parteigenossen von der Mapai (Vorläufer der Arbeitspartei) aufmerksam, der
inzwischen aus dem polnischen Persky ein hebräisches Peres gemacht hat, und
nahm ihn unter seine Fittiche. Die beiden Männer verstanden sich auf Anhieb
und ein Leben lang, was nicht unbedingt typisch für Peres ist. Mit Golda
Meir, die Jahre später Regierungschefin wurde, und auch mit Izchak Rabin
war sein Verhältnis schwieriger. Einen „ewigen Intriganten“ schimpfte Rabin
einst seinen Parteigenossen, mit dem er jahrzehntelang Machtkämpfe
ausfocht.
Eine der ersten Aufgaben des jungen Peres war die Waffenbeschaffung. Er
selbst war zwar nie ein großartiger Soldat, aber er verstand sich darauf,
Israels Sicherheitspolitik vom Schreibtisch aus voranzutreiben.
Paradoxalerweise hinterließ der Politiker, dem wie keinem anderen der Ruf
anhing, um Versöhnung mit den arabischen Nachbarn zu ringen, seine tiefsten
Spuren in der Zeit als Staatssekretär und Minister für Verteidung. Peres
gilt als Vater des israelischen Atomwaffenprogramms. „Die Araber sind nicht
unsere Feinde, aber die Politik des Mordes ist es“, rechtfertigte er Jahre
später seine Haltung zur israelischen Sicherheitspolitik.
Ob es die militärischen Orden waren, die Peres nicht bieten konnte oder
seine Selbstüberschätzung, dass er Kampagnen nicht nötig habe – Tatsache
ist, dass er sich bei Wahlen nur ein einziges Mal durchsetzen konnte. Erst
2007 ernannte ihn das Parlament zum Staatspräsidenten. Schon sieben Jahre
zuvor hatte Peres für das höchste Amt im Staat kandidiert und den Kürzeren
ziehen müssen. Die Abgeordneten entschieden sich damals überraschend für
den wenig charismatischen Mosche Katzaw vom Likud.
## Vermittler, nicht Führer
„Ich bin ein Versager?“, rief Peres im Mai 1997 von der Bühne vor dem
Parteitag. „Jaaa!“, antworteten die Genossen im Chor. Peres war der ewige
Zweite, auch in den Reihen der eigenen Partei. Als Nummer zwei
funktionierte Peres besser, vor allem unter Izchak Rabin, der seinem
Außenminister freie Hand ließ bei den geheimen Verhandlungen mit der PLO
(Palästinensische Befreiungsorganisation).
Im September 1993 reichten PLO-Chef Jassir Arafat und Israels
Regierungschef Rabin einander zum ersten Mal die Hand. Sie vereinbarten die
Osloer Prinzipienerklärung über das gemeinsame Streben nach zwei Staaten
für die zwei Völker. Arafat, Rabin und Peres sind kurz darauf mit dem
Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Rabin zahlte mit seinem Leben.
Nur wenige Monate nach dem Mordanschlag blieb die Arbeitspartei unter
Peres, der die Nachfolge Rabins antrat, bei den Parlamentswahlen knapp
hinter dem Likud unter Benjamin Netanjahu. Peres hat sich die schwindende
Popularität im Volk und in der Partei selbst zuzuschreiben. Kaum ein halbes
Jahr lag zwischen dem Tod Rabins und Neuwahlen. Zeit genug für ihn, um zwei
fatale Fehler zu begehen.
Er gab dem Drängen der Geheimdienste nach, die eine Gelegenheit erkannten,
um den damals meistgesuchten Terroristen Jachije Ajasch zu exekutieren.
Peres signalisierte Grünes Licht. Eine im Telefonhörer versteckte
Sprengstoffladung riß dem berüchteten Ajasch kurz darauf den Kopf von den
Schultern. Die Hamas rächte sich mit einer Serie von Terrorattentaten.
Dutzende Zivilisten, darunter viele Kinder, starben bei
Sprengstoffexplosionen in Tel Aviv und Jerusalem. Jede Bombe trieb Israels
Wähler weiter nach rechts in die Arme des konservativen
Likud-Spitzenkandidaten Benjamin Netanjahu, der mit dem Versprechen für
mehr Sicherheit lockte. Die Friedensverhandlungen mit den Palästinensern
lagen auf Eis.
## Umstrittene Friedenstaube
Beinah noch schlimmer war die Fehlentscheidung über die Operation „Früchte
des Zorns“ und die Angriffe auch auf zivile Ziele im Libanon. Bei einem
fehlgeleiteten israelischen Luftangriff auf das Dorf Kana im Südlibanon
starben über hundert Zivilisten. „Uns treibt weder Blut noch Abenteuer“,
kommertierte er damals sichtlich erschüttert. Die Stimmen der
arabisch-israelischen Staatsbürger hatte Peres verspielt. Die Araber
boykottierten den Urnengang. Manch einer hat es ihm bis heute nicht
verziehen.
Einen „Tyrannen“ schimpfte ihn der Abgeordnete Basel Ghattas von der
antizionistischen Vereinten Liste. Peres sei „für Kriegsverbrechen
verantwortlich“. Noch während Israel um die Gesundheit des Ex-Präsidenten
bangte, ließ der arabisch-israelische Abgeordnete seinem Zorn freien Lauf.
Peres habe den Palästinensern großen Schaden zugefügt und es all dem zum
Trotz geschafft, „sich selbst als Friedenstaube zu portraitieren“.
Im Ausland mehr als unter den eigenen Landsleuten genoß Peres, der
Bücherwurm, der stets ein passendes Zitat oder eine Volksweisheit parat
hielt, als Visionär des Neuen Nahen Ostens großes Ansehen. Wenn Peres von
der Notwendigkeit sprach, Israel als jüdischen Staat zu definieren, klang
es eben anders, als aus dem Munde eines Netanjahus – vor allem in den Ohren
seiner bei der Sozialistischen Internationale gewonnenen zahllosen Freunde.
Peres liebte die Anerkennung und genoß es, im Mittelpunkt zu stehen. Seinen
90. Geburtstag feierte er großartig im Beisein von hunderten geladenen
Gästen, darunter Ex-US-Präsident Bill Clinton, Robert de Niro und Barbara
Streisand.
In den sieben Jahren als Staatspräsident gewann Peres auch unter seinen
Landsleuten an Sympathie. Eine seiner letzten wichtigen Amtshandlungen war
die Unterschrift als Präsident unter die Begnadigung von über eintausend
Palästinensern, die Israel im Geiselaustausch für den entführten Soldaten
Gilad Shalit aus der Haft entließ. Ohne politische Lösung, werde ein
Frieden niemals möglich sein. Peres warnte stets davor, die Arabische
Initative zu ignorieren. Am Ende müsse Israel Seite an Seite mit dem
„arabischen Staat Palästina“ existieren. Das noch zu Lebzeiten gegründete
Schimon-Peres-Friedenszentrum in Tel Aviv soll seine Arbeit solange
fortsetzen, bis dieses Ziel erreicht ist.
28 Sep 2016
## AUTOREN
Susanne Knaul
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