| # taz.de -- Die Wahrheit: Kalter Scheiß auf Eis | |
| > „Bullshit“-Cocktails sind die neuen Renner an der Bar. Der Erfolg dieses | |
| > bizarren Trendgetränks lässt sich in Deutschland nicht mehr aufhalten. | |
| Bild: Perfekte „Bullshit“-Cocktails bestechen durch ihren angenehm milden K… | |
| Außer Spesen nichts gewesen am Tresen? Zumindest für die deutsche | |
| Tresenlandschaft gilt dieser Satz in jüngster Zeit immer seltener. Nicht | |
| lange ist es her, da sorgten fleischhaltige Cocktails für Aufsehen, unter | |
| ihnen der „Bullshot“ – ein ungemein reizvoll morbider Mix aus | |
| Rinderbouillon, Tabasco und Wodka. | |
| Der neue „Bullshit“ klingt zwar ähnlich, setzt sich jedoch aus ganz anderen | |
| Bestandteilen zusammen. Das heißt: Meistens, ganz sicher sollte man sich da | |
| nie sein. Die Wahrheit hat den Berliner Gastronomen und Erfinder des | |
| „Bullshit“-Cocktails, Lars Gerber (35), aufgespürt. | |
| „Das war vor einem knappen Jahr“, erzählt der recht hibbelige Gerber in | |
| seinem Neuköllner Zuhause auf einer abgewetzten Wildledercouch. „Als ich | |
| völlig überdreht nach einer durchfeierten Nacht heimkam, musste ich mich | |
| irgendwie beschäftigen. Also fing ich an, das Gefrierfach abzutauen. Ich | |
| zog den Stecker vom Kühlschrank, räumte das Fach leer und hackte wie wild | |
| das Eis mit dem Brotmesser heraus.“ | |
| Gerber macht große blaue Augen beim Erzählen. Die Pupillen sind vor | |
| Begeisterung geweitet, auch Gerbers Mitbewohner und Partnergastronom | |
| Patrick Sahlmüller (32) strahlt. „Dann fiel mir ein, dass ich mit ein paar | |
| Freunden zum Grillen im Park verabredet war. Ich stürzte aus dem Haus. Kurz | |
| darauf kam Patrick nach Hause.“ Gerber rupft einen Lederfleck aus der | |
| Couch. | |
| ## Zum sofortigen Kotzen | |
| „Ich kam gerade von der Nachtschicht aus der Bar“, fährt sein Mitbewohner | |
| fort und fläzt sich auf der Couch. „Plötzlich war da das viele Eis, das | |
| Lars in einer Schale gesammelt hatte. ‚Yeah!‘, dachte ich, ‚crushed ice!�… | |
| Ich habe es gleich im Glas mit Wodka aufgegossen. Hätte ich gewusst, dass | |
| sich jahrelang Thunfischreste, Spinat und Waldbeeren im Eis gesammelt | |
| haben, hätte ich wohl nicht davon getrunken. Ich nahm einen großen Schluck | |
| und dieser herb-fischige, süßlich-brennende Geschmack breitete sich in | |
| meinem Mund aus. Ich musste sofort kotzen.“ | |
| Sahlmüller lacht heiser. „Aber da ich von Natur aus experimentierfreudig | |
| bin, gab ich einfach ein paar Minzblätter hinzu, Limettensaft und braunen | |
| Zucker, schüttelte alles durch und plötzlich schmeckte es gar nicht mehr | |
| übel – mit anderen Worten einfach scheiße.“ | |
| Lars Gerber nickt. „Mit den Zutaten kommt fast alles halbwegs annehmbar | |
| rüber“, weiß der Exilmünchner aus seiner jahrelangen Erfahrung als Barmann. | |
| Später am Tag kostete auch er von dem neuen Drink und staunte nicht | |
| schlecht: Es war die Geburtsstunde des „Bullshit“. | |
| Gerber und Sahlmüller wirken in ihrer Loftetage vergnügt, ja geradezu | |
| berauscht. Kein Wunder: Immerhin haben sie erst kürzlich die vierte | |
| Bullshit Lounge eröffnet, zwei weitere sind in Planung. Dort geht der | |
| angesagte Cocktail für nicht weniger als 18 Euro pro Kelch über die Theke. | |
| ## Total versiffte Eisschränke | |
| Gerber verteidigt den hohen Preis, während er nebenbei seinen Oberschenkel | |
| tätowiert: „Die Beschaffung des crushed ice ist ein Fulltime-Job. Tagsüber | |
| suchen wir nach Eisschränken, die Studenten-WGs und Rentner im Netz | |
| anbieten. Nur durch die jahre- und jahrzehntelange Aufnahme verschiedenster | |
| Geschmacksnoten erhält das Eis die nötige Reife für einen echten | |
| ‚Bullshit‘. Alles andere sind billige Imitate!“ | |
| Gerber berichtet uns erregt von Trittbrettfahrern, die ähnliche Drinks | |
| unter dem erfolgreichen Label anbieten. Gemeinsam mit seinem Kompagnon | |
| Sahlmüller, der mal ein Semester Jura studiert hat, geht er mittlerweile | |
| rechtlich gegen den Markenmissbrauch vor. | |
| „Was die da machen, hat rein gar nichts mit der Idee zu tun!“, poltert | |
| Letzterer, während er immer tiefer in der Wildledercouch versinkt. „Die | |
| mixen einfach irgendwas zusammen, was gerade da ist! Ich hab mal so ’nen | |
| Drink bestellt: Drei Tintenfischringe und ein halbes Bistro-Pizzabaguette | |
| schwammen im Glas – lächerlich! Bei einem echten ‚Bullshit‘ würde das n… | |
| passieren. Da ist höchstens mal ein Speckwürfel oder ein Champignon drin, | |
| mehr nicht.“ | |
| Auch Gerber wirkt weiterhin aufgebracht. Nervös kaut er auf einer | |
| Jazzplatte herum. Ein halbfertiger, Crack rauchender Spongebob ziert jetzt | |
| seinen haarigen Oberschenkel. | |
| „Jeder ‚Bullshit‘ ist ein Unikat, erzählt eine ganz eigene Geschichte. So | |
| wie das eine Mal, als wir einem Typen den Berliner Kühlschrank von Iggy Pop | |
| für 5.000 Euro abkauften. Wir mussten am Tresen dann 249 Euro pro Drink | |
| nehmen, um das Geld wieder reinzukriegen. So ist das eben: Man weiß nie, | |
| was passiert. Random Bullshit halt, zufällige Scheiße eben!“ | |
| Random Bullshit – die Lebenseinstellung der beiden Erfolgsgastronomen. | |
| Ihrer beider nächstes Ziel? „Eine Bullshit Lounge in London oder New York – | |
| das wär’s!“ | |
| Unsere finale Frage nach der Zukunft der beiden, sollte der „Bullshit“ nach | |
| einem anfänglichen Hype wieder in der Versenkung verschwinden, bleibt | |
| unbeantwortet. Gerber eilt zum Grillen in den Park. Sahlmüller verschwindet | |
| in der Versenkung der Couch. | |
| 12 Oct 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Leo Riegel | |
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