# taz.de -- Die Wahrheit: Wohnen im Schwarzen Loch | |
> Erst treten nur kleinere Mängel in der neuen Behausung auf, dann wird das | |
> ganze Grundstück hineingezogen in ein gespenstisches Spektakel. | |
Bild: Perfekte „Bullshit“-Cocktails bestechen durch ihren angenehm milden K… | |
Oft stellen wir gravierende Makel am Wohnobjekt erst nach Einzug fest. In | |
unserem Fall waren die Mängel derart physisch komplex, dass es unsere | |
Fähigkeiten bei Weitem überstieg. | |
Zum einen war da die Sache mit den Türen. Gleich am ersten Tag bemerkten | |
wir ihr selbsttätiges Öffnen und Schließen im gesamten Haus. Es war, als | |
würden sie von Geisterhand bewegt. Tatsächlich fürchteten wir, unser neues | |
Heim sei besessen. Erst mein Freund Bernd verstand es, die seltsamen | |
Vorgänge richtig einzuordnen. | |
„Eine Quantenverschränkung!“, rief er, als ich von den gespenstischen Tür… | |
berichtete. Da ich nicht begriff, erklärte er: Es komme vor, dass Teilchen | |
unabhängig von ihrer Lokalität verbunden seien und miteinander | |
kommunizieren. In unserem Fall korrelierten die Türklinken offensichtlich | |
mit denen eines anderen Haushalts. Dass das seltene Spektakel ausgerechnet | |
bei uns stattfinde, sei „schierer Wahnsinn“, gluckste er euphorisch und | |
meinte, dass sich der paraphysisch verbundene Haushalt im Prinzip auf dem | |
gesamten Erdball befinden könne. | |
Ganz anders der Tischler. „Blödsinn, Verschränkung!“, blökte er, als ich | |
von Bernds Theorie erzählte, und rüttelte grob an den ruhelosen Klinken. | |
Schließlich tauschte er sie aus. So simpel diese Maßnahme auch erscheinen | |
mochte, löste sie doch das Problem. Geradezu erhaben wirkte der stumpfe | |
Pragmatismus des Tischlers im Anbetracht der abmontierten und hilflos am | |
Fußboden zuckenden Klinken, die er schnaufend in einen Sack stopfte. | |
Des Weiteren hatten wir mit der kosmischen Strahlung im Obergeschoss zu | |
kämpfen. Nach anfänglichem Glimmen nahm sie stetig zu und wuchs zu einem | |
grell leuchtenden Gewaber heran, das uns allnächtlich den Schlaf raubte. | |
Wenn es mir doch gelang, ein Auge zuzutun, schoss mir das unförmige Etwas | |
einen Teilchenschauer gegen den Schädel. Wir verlegten das Schlafzimmer ins | |
Erdgeschoss. | |
Am schlimmsten aber war die Raumzeitkrümmung im Gemüsegarten. Sie trat erst | |
nur als leichte Verzerrung auf, mit bloßem Auge kaum zu erkennen. Zwischen | |
Kürbissen und Lauch entstand ein sanfter Wirbel, der sich mit der Zeit zu | |
einer stolzen, sahnehaubenartigen Locke schraubte. Die Kinder freuten sich | |
und lachten, wie sich ihre Beine beim Herumtollen im Beet bogen und | |
krümmten. Wir dachten uns nicht viel dabei. Doch der Sog des Strudels wurde | |
stärker, dehnte sich auf den gesamten Garten aus und riss zu einem | |
schwarzen Loch auf, das erst das Gemüse verschlang und dann unser | |
Grundstück. Wir retteten uns in letzter Sekunde. | |
Was alldem folgte, war ein nervenzerrender Rechtsstreit. Durch mehrere | |
Instanzen stritten wir dafür, dass der Verkäufer für den Schaden haftete. | |
Leider erschwerte das restlose Verschwinden des Grundstücks die Beweislage | |
(aber war es denn nicht der beste Beweis von allen?). Wir verloren den | |
Prozess. Immerhin wurde wegen uns ein Zusatzparagraf über „Paranormale | |
Vorgänge am Verkaufsobjekt“ ins Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen. Er kam | |
nie wieder zur Anwendung. | |
4 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Leo Riegel | |
## TAGS | |
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