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# taz.de -- Dresden vor dem 3. Oktober: Bauzaun in den Köpfen
> In der Stadt gab es zuletzt zwei Sprengstoffanschläge. Nun wird in
> Dresden der Tag der Einheit gefeiert. Ein Besuch zwischen Brücken und
> Gittern.
Bild: Die schweren Betonklötze sollen einen Anschlag per LKW verhindern
Dresden taz | Wie die Stimmung in der Stadt ist? Ein Spaziergänger deutet
auf Legosteine. Große, graue, zwei Tonnen schwere Legosteine, die überall
in der Stadt verteilt sind. „Nizza-Blöcke“, so nennt sie die Polizei. Sie
sollen Wege sperren und Attentate durch Lkws wie in Nizza im Juli
verhindern. „Durchbruchshemmung“, so nennt die Polizei diesen gewünschten
Effekt.
Zwar geht man in Dresden derzeit überall unter aufgestellten Torbögen
durch, auf denen man aufgefordert wird, zum Tag der Deutschen Einheit
Brücken zu bauen, gleichzeitig ist die Stadt aber voller Polizeifahrzeuge
und Zäune. Statt Brücken werden Absperrungen gebaut. Nichts verdeutlich
besser die Gräben, die durch Dresden laufen.
Die offiziellen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit, ausgerechnet
in Dresden. Hier entstand Pegida, in der Nähe liegen Orte, die nur noch wie
Vorfälle klingen, Heidenau, Clausnitz, Bautzen, Freital.
Ausgerechnet Montag. Montag ist Pegida-Tag, immer noch kommen um die 2.000
Demonstranten wöchentlich. Und am vergangenen Montag wurde ein
Sprengstoffanschlag auf die Fatih-Moschee in Dresden-Cotta verübt. Die
Polizei geht von fremdenfeindlichen Motiven aus. Silvio Lang,
stellvertretender Stadtvorsitzender der Linkspartei sagt: „In Dresden
hatten wir schon Buttersäure, Böller und Molotowcocktails. Aber ein
Sprengstoffanschlag ist ein neues Eskalationsniveau.“
Und jetzt soll ausgerechnet in Dresden, ausgerechnet am Montag der Tag der
Deutschen Einheit gefeiert werden. Mit Gauck und Merkel und Festmeile.
Dem Grünen-Politiker Valentin Lippmann ist das ein bisschen zu viel
Symbolleserei. Dresden habe sich ja nicht darum beworben, den Tag der
Deutschen Einheit auszurichten, sondern sei turnusgemäß an der Reihe. Und
überhaupt: „Ich habe keine Lust mehr, Imagedebatten zu führen“, sagt
Lippmann. „Das Image von Sachsen alleine ist kein Wert an sich. Das, was
hier angegriffen wird – Mitmenschlichkeit, Menschenrechte und
Rechtsstaatlichkeit – das muss verteidigt werden.“
Valentin Lippmann sitzt in seinem Büro im Dresdner Landtag. Hinter ihm
blickt man aus dem Fenster auf das Kongresszentrum. Auch hier detonierte
ein Sprengsatz. Manche spekulieren, der oder die Täter wollten damit ein
Zeichen gegen den Tag der Deutschen Einheit setzen. Soll man hier noch
feiern?
## Einst verehrt, jetzt verhasst
Natürlich sollte man diesen Tag feiern, sagt Lippmann. Aber man sollte sich
darauf besinnen, wofür er steht: „Für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und
Durchsetzung der Menschenrechte.“
Valentin Lippmann, geboren 1991, parlamentarischer Geschäftsführer der
Grünen-Fraktion und deren innenpolitischer Sprecher, ist nicht der jüngste
Abgeordnete im Sächsischen Landtag, sondern der zweitjüngste. Er schlägt
extra im Volkshandbuch des Sächsischen Landtags nach, ja, Kollegin
Klotzbücher von der Linkspartei ist noch jünger. Lippmann kommt aus
Dresden. Auch für ihn ist es schwer, wenn alle mit dem Finger auf Sachsen
zeigen. „Aber man kann die Probleme ja nicht leugnen. Wir haben in Sachsen
ein starkes Problem mit Ausländerfeindlichkeit, Rechtsextremismus und
Rassismus. Sachsen hat sich seinen Ruf erarbeitet.“
Vor 16 Jahren richtete Sachsen schon einmal den Tag zur Deutschen Einheit
aus. Damals gab es Diskussionen und sogar Boykottandrohungen, weil Helmut
Kohl, verehrt als Kanzler der Einheit, zwei Jahre nach seiner Amtszeit
nicht beim Staatsakt reden durfte – laut Protokoll dürfen das nur Träger
eines Staatsamtes. Früher waren die Leute in Dresden stolz, wenn
Bundespolitiker kamen. Heute schreien manche Dresdner montags
„Volksverräter“. Was ist passiert?
Einer, der es wissen muss, ist Michael Sagurna. Über zehn Jahre lang war er
Sprecher des sächsischen CDU-Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf,
zusätzlich Vizechef der Staatskanzlei. Mit seinem damaligen Chef Thomas de
Maizière organisierte er den Tag der Deutschen Einheit vor 16 Jahren. Jetzt
sitzt er in einem Café in der Dresdner Neustadt und erzählt. „Es war total
harmonisch.“ Es gab keine Anschläge, kein Pegida. Überall standen Baukräne.
Die Leute haben ihr Dresden vorgezeigt. Und am Tag der offenen Tür gingen
sie mit den Staatsgästen zum Festessen ins Dresdner Schloss, das noch lange
nicht wiederaufgebaut war, die Wände entkernt, die Zimmer gefegt.
Sagurna fühlt sich wohl in Dresden und es ist ihm wichtig, davon zu
erzählen. Er ist „Aufbaubeamter“, wie er selbst sagt. Stammt aus Westfalen,
studierte in Bonn, arbeitete als Journalist in Berlin und Hamburg. 1991 kam
er nach Dresden. Und sagt heute: „Es ist die schönste Stadt Deutschlands.
Sie hat alles, was man als Bürgerlicher braucht.“ Zum Beispiel
Anspruchsdenken: Wenn man hier sein Kind zum Klavierunterricht schickt und
der Lehrer fragt, warum soll das Kind Klavier spielen, sagt man im Westen:
Na ja, Musik ist wichtig und vielleicht machen wir mal Hausmusik. In
Dresden sagen die Lehrer: Ne, Freunde. Wenn ich Unterricht gebe, dann nicht
wegen ein bisschen Hausmusik, sondern ordentlich. So erzählt er es.
## „Immun“ gegen Rechtsextremismus
Auf Dresden wird im Osten am meisten geguckt, sagt Sagurna. Und die
Maßstäbe sind strenger. Hauptstadt, Kulturstadt, das älteste durchgehend
spielende Symphonieorchester der Welt. Neulich war Tante Marie da, die sich
sonst nicht sonderlich für Kultur interessiert, und wollte natürlich in die
Oper, richtig hinein. Es gibt einen hohen Anspruch an Dresden. Und dann so
was wie Pegida. „Das Gefälle ist stark“, sagt Sagurna.
Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf sagte einmal, dass die
Sachsen „immun“ gegen Rechtsextremismus seien. Sagurna, über zehn Jahre
lang Biedenkopfs Sprecher, meint: „Das war gut gemeint, aber unglücklich.“
Was ist schiefgelaufen in den letzten 16 Jahren? „Wir, die wir damals aus
dem Westen nach Sachsen gekommen sind, haben uns nicht genügend gekümmert,
das westliche System zu erklären. Nicht nur, wie es ist, sondern warum es
so ist. Das war ein Kardinalfehler. Wir haben zum Beispiel nicht
widersprochen, wenn einer gesagt hat, Föderalismus ist Kleinstaaterei. Aber
der Föderalismus ist ein Grund, warum wir in Dresden so ein
Weltklassesymphonieorchester haben.“
Trotzdem ist Sagurna optimistisch, was Sachsen, Pegida und die AfD angeht.
Das wird vorbeigehen, sagt er. In den 60er Jahren erzählten ihm die
Erwachsenen in Westfalen auch, mit den Italienern darfst du nicht spielen.
Das Gleiche passiert jetzt in Sachsen: „Was in den 60er Jahren im
Ruhrgebiet möglich war, mit der Gewöhnung an Menschen aus anderen Ländern,
das wird auch hier passieren. Sachsen muss da alleine durch. Aber das wird
Sachsen schaffen.“
Wir schaffen das. Und das sagt ein CDU-Mann.
Draußen am Elbufer glänzen Residenzschloss und Semperoper in der Sonne.
Dresden sieht an diesem Tag aus wie Italien mit Bauzäunen. Eine alte
Dampflok fährt vorbei und vom Nordufer weht klassische Musik herüber. Eine
Gruppe von Wachleuten leitet Autos um.
## Immer ist jemand schuld
Einer von ihnen erzählt. Er ist ein überaus freundlicher Mensch, zahlreiche
Anfeindungen von genervten Dresdner Autofahrern haben ihn milde gestimmt.
„Jeder Vierte hat Verständnis“, sagt er. Er sagt nicht etwa: „Drei von v…
haben kein Verständnis.“ Es liegt eine große Beleidigtheit und Sturheit
über der Stadt, sagt er. Immer ist irgendjemand schuld. Merkel. Oder die
Amerikaner. „Die Amis, die sind hier sogar am Wetter schuld“, sagt er.
Und dann erzählt er von den Gräben in der Stadt, davon, was die Bauzäune
der Staatsfeier mit Pegida zu tun haben. Neulich habe er einen Parkplatz
bewacht, der für Anwohner abgesperrt werden musste. Eine Frau kam vorbei
und er sagte, sie könne hier nicht parken. Die Frau regte sich furchtbar
auf.
Er sagte: „Dafür kann ich nichts. Rufen Sie doch den Innenminister an und
beschweren sich.“ Und die Frau sagte: „Wissen Sie, bisher bin ich Montag
bei Pegida nie mitgelaufen. Nächste Woche werde ich es machen.“ Wegen eines
Parkplatzes.
2 Oct 2016
## AUTOREN
Philipp Daum
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
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