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# taz.de -- Bewegung und Gesundheit: Die wunderbare Welt der Muskelkraft
> Bewegte Muskeln schütten Botenstoffe aus und helfen so, Krankheiten
> vorzubeugen und zu heilen. Die Art der Bewegung ist egal.
Bild: Für die Gesundheit zählt jeder Schritt. Und wenn's dann noch Spaß mach…
Lange galt der Muskel als bloßer Erfüllungsgehilfe. Man glaubte, die Fasern
reagieren schlichtweg auf die Befehle aus der Kommandozentrale Gehirn und
hätten sonst keine Funktion. Doch dieses Bild wandelt sich. Immer
deutlicher wird, dass der Muskel ein eigenständiges Organsystem bildet, das
selbst zahlreiche Botenstoffe ausschüttet und so mit anderen Organen, der
Leber etwa, den Knochen, dem Herz-Kreislauf-System, dem Gehirn
kommuniziert. Erst dieses Netzwerk macht Bewegung zu einem wahren
Gesundheitselixier. Langes Sitzen gilt dagegen als Raubbau am Körper,
Couchpotatoes leben rund sieben Jahre kürzer als Sportliche.
So feit Leibesertüchtigung gegen Übergewicht, Diabetes,
Herz-Kreislauf-Krankheiten, Osteoporose, Depressionen, Alzheimer und
bestimmte Krebsarten. Auch bei bereits bestehenden Krankheiten wie
Brustkrebs oder Herzkrankheiten kann sportliche Aktivität anstatt des lange
Jahre beschworenen Schonens die Prognose verbessern. Auch Schwangere und
ältere Menschen profitieren von Sport.
Das Potenzial der Muskeln bestätigen fast täglich neue Studien.
Wissenschaftler haben etwa in der National Finrisk-Study 2.500 Personen ab
ihrem 65. Lebensjahr über 12 Jahre beobachtet und ihren Gesundheitszustand
notiert. Die Probanden teilte man je nach ihren sportlichen Ambitionen in
niedrige, moderate und hohe Aktivität ein. Das Ergebnis, das kürzlich
veröffentlicht wurde: Untätige hatten im Vergleich zu sich moderat
Bewegenden ein um 30 Prozent höheres Risiko für kardiovaskuläre
Erkrankungen und ein um 54 erhöhtes Risiko, früher zu sterben.
Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt daher mindestens 150 Minuten
wöchentlich moderate Tätigkeiten wie Gehen, Radfahren oder Gärtnern. Es
muss also kein Abo im Fitnessstudio sein: Bereits Alltagsaktivitäten haben
einen erheblichen gesundheitlichen Effekt, beispielsweise indem man mit dem
Fahrrad anstatt mit dem Auto zur Arbeit fährt. Das vermindert etwa den
systolischen Blutdruck um 4 mmHg.
„Viele Bluthochdruck-Medikamente sind auch nicht besser wirksam“, sagt
Herbert Löllgen, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und
Prävention. Wer sich mehr zumutet und anstrengende Gartenarbeiten
verrichtet, wandert, schwimmt, joggt, Yoga oder Ballspiele macht, dem
reichen theoretisch 75 Minuten pro Woche.
„Dabei hat Bewegung Auswirkung auf alle Zellen und Organe im Körper“, sagt
Claude Bouchard, US-Wissenschaftler an der Universität in Baton Rouge. Gut
verstanden sind bis dato aber nur die Effekte, die Sport auf das
sympathische Nervensystem und Neurotransmitter hat: So wird die Atmung
effizienter, der Blutfluss besser, der Muskel kräftiger, der
Energieverbrauch hochgefahren.
## Endokrine Organe
Aber Skelettmuskelzellen agieren auch als sogenannte endokrine Organe, sie
schütten ständig Proteine ins Blut, die Antworten auf Bewegung verändern.
Erst langsam verstehen die Forscher, welche vielfältigen Prozesse durch
Sport im Körper angeregt werden: Bewegung mobilisiert etwa aus dem
Knochenmark sogenannte Progenitorzellen, die helfen, Gefäß- aber auch
Gehirnzellen nach einem Schlaganfall zu regenerieren. Sport stimuliert auch
die Osteocalcin-Ausschüttung in den Knochen, was diese kräftigt. Umgekehrt
werden die Muskeln mit Osteocalcin 20 bis 30 Prozent leistungsfähiger, weil
die Muskelfasern mehr Glukose und Fettsäuren aufnehmen können.
Oder kürzlich wurde gezeigt, dass Muskeln schädliche Stoffe bunkern, damit
diese keinen Schaden anrichten, etwa zu depressiven Veränderungen im Gehirn
führen. Claude Bouchard glaubt, dass vor allem das Nerven- und das
Immunsystem eine besondere Rolle bei der Vermittlung von
Gesundheitseffekten spielt, denn: „Neuronen und Leukozyten sind im ganzen
Körper verteilt vorhanden und werden durch Bewegung beeinflusst.“
Immer deutlicher wird auch, dass nicht nur Ausdauersport gesundhält,
sondern auch Krafttraining. „Krafttraining verhindert etwa in gewissem Maße
den im Alter gefürchteten Muskelschwund“, so Löllgen. Beide Bewegungsformen
haben jedoch teils unterschiedliche Wirkungen. Eine kürzlich publizierte
Studie hat etwa aufgedeckt, dass moderater Ausdauersport und
Intervalltraining den Alterungsprozess der Zellen und damit
Herzerkrankungen ausbremsen. Krafttraining hatte diese Wirkung dagegen
nicht. Christine Graf, Wissenschaftlerin an der Sporthochschule Köln meint:
„Diejenige Sportart ist am besten, die man macht!“ Weniger wichtig also, ob
das Yoga, Fußball oder Marathon ist.
## WHO-Empfehlung ist umstritten
Unbestritten ist, dass die Empfehlungen der WHO eher konservativ sind. Erst
kürzlich hat ein Forscherteam um Hmwe Kyu von der University of Washington
gezeigt, dass die Menschen mehr Sport als die bislang empfohlenen 150
Minuten moderate Bewegung treiben müssten, damit sich die Zahl der
Krankheitsfälle auf Bevölkerungsebene wesentlich verringert. „Klar, das
wissen wir“, gibt Bouchard zu. Trotzdem hält er die WHO-Empfehlungen für
ausreichend. „Sie sind eine gute Mischung aus erreichbarer Dosis und
Benefit.“ Wer mehr trainiert, verbessert zwar seine Leistungsfähigkeit, die
präventive Wirkung wird jedoch nicht gleichermaßen gesteigert.
Zudem ist es bekanntermaßen schwierig, Menschen aus ihrer Komfortzone
herauszulotsen. Sportfans sind nun mal eher in der Minderzahl. Dabei ist
der Mensch auf Bewegung tariert. Schätzungsweise 40 bis 50 Kilometer legte
ein Steinzeitmensch zurück. Dabei ist der Homo sapiens ein schlechter
Sprinter, dafür ein guter Langläufer: Zwei trainierte Läufer konnten in
Graslandschaften ein Reh in die Erschöpfung treiben und erlegen. Aber der
Steinzeitmensch hat nicht nur gejagt und Früchte gesammelt, auch beim Bau
von Unterständen und Hütten, bei der Abwehr von Feinden oder der Invasion
in fremde Gebiete wurden Muskeln gebraucht.
## Zuviel Sport
Ob es ein Zuviel an Sport gibt, ist jedoch umstritten. Diskutiert wird, ob
Sport auf Profiniveau zu einer krankhaften Vergrößerung der Herzkammern
führt, wie einige frühere Studien nahelegten. Eine aktuelle Studie der
Universität des Saarlandes sieht hier jedoch keinen solchen Zusammenhang.
Ein Zuviel gibt es auch, wenn ein Sportmuffel plötzlich kilometerweite
Läufe absolviert: Dann hakt es bald in den Gelenken.
Nicht belegt ist, dass Sport alleine Pfunde schmelzen lässt. Denn Bewegung
verbraucht weniger Kalorien, als man bislang annahm. „Zum Beispiel muss man
500 Schritte machen, um einen Würfelzucker zu verbrennen“, sagt Graf.
Möglich wäre zudem, dass Bewegung einige Menschen dazu verleitet, über
ihren Hunger zu essen.
Auch bei Kindern sind Abnehmprogramme, die nur auf Sport setzen,
fehlgeschlagen. „Trotzdem ist Bewegung in jedem Alter hochgradig
gesundheitsförderlich“, so Graf. „Auch Selbstwertgefühl und Denkvermögen
werden verbessert.“ Bewegung von Kindesbeinen an schützt auch noch
effektiver vor Herzkrankheiten oder Brustkrebs im höheren Lebensalter.
## Genetische Dispositionen
Zwar kann Bewegungsförderung hierbei helfen, doch auch die Gene haben ihre
Finger im Spiel. So gibt es Besonderheiten im Erbgut, die Menschen generell
aktiver und damit auch gesünder machen. Auf der anderen Seite gibt es
einige Menschen, die nur teilweise von Sport profitieren. Beispielsweise
kommt es bei rund 10 bis 20 Prozent der Erwachsenen nicht zu einer
Verbesserung des Blutdrucks, bei einigen steigt er sogar an. „Diese
Menschen haben aber dafür vielleicht deutliche Effekte auf ihre
Blutfettwerte oder den Blutzucker“, erklärt Bouchard. Weil die Macht des
Muskels und seiner Botenstoffe so groß ist, profitiert also jeder Mensch
insgesamt betrachtet von mehr Bewegung.
Doch gerade wegen der vielen Stellschrauben, an denen Laufen, Schwimmen und
Schwitzen drehen, bezweifelt der US-Wissenschaftler Bouchard, dass es
irgendwann eine Pille geben könnte, mit der man dem Körper Bewegung
vorgaukeln kann, ohne sich aus dem Sessel zu rühren. Tatsächlich basteln
einige Arbeitsgruppen an einer solchen Tablette. Irisin ist zum Beispiel so
ein Stoff. Er kann weißes Fettgewebe in braunes, aktives Gewebe umwandeln.
Studien mit Pillen konnten bislang jedoch keine schlankmachenden Effekte
bei Menschen feststellen. Auch Resveratrol, ein Stoff aus Rotwein und
Schokolade, gilt als lebensverlängernd und als idealer Sportersatz. Doch
auch hierzu sind Studien bislang eher mit mäßigem Erfolg gelaufen.
Christina Graf ist überzeugt: „Eine Sport-Pille wird es nicht geben.“
24 Sep 2016
## AUTOREN
Kathrin Burger
## TAGS
Schwerpunkt Sport trotz Corona
Bewegung
Gesundheit
Muskeln
Übergewicht
Gesundheit
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