# taz.de -- Gestörter Biorhythmus: Wenn die innere Uhr den Takt verliert | |
> Schlafstörungen machen dick und krank. Bluthochdruck, Depressionen, | |
> Diabetes und auch Krebs können die Folgen von Schlafmangel sein. | |
Bild: taz.de wünscht Gute Nacht: Die Schlafqualität ist für die Gesundheit w… | |
MÜNCHEN taz | Als Thomas Edison die Glühbirne erfand, konnte er nicht | |
ahnen, welchen Einfluss diese Neuheit 150 Jahre später auf die Gesundheit | |
der Menschen haben sollte. Denn: Der Biorhythmus wird durch das künstliche | |
Licht gestört, mit der inneren Uhr verbundene Ess-, Schlaf und | |
Arbeitszeiten verändern sich. | |
So haben immer weniger Menschen einen geruhsamen Schlaf: Schlafstörungen | |
haben sich in den letzten 30 Jahren verdoppelt. Laut einer Studie des | |
[1][Dresdner Psychologen Hans-Ulrich Wittchen] leiden 9 Prozent der | |
EU-Bürger an klinisch relevanten Schlafstörungen. | |
Zudem gibt es immer mehr Schicht- und Nachtarbeit und nach einem geordneten | |
Tagesablauf kann und mag sich heute kaum mehr jemand richten. Abends und | |
nachts lockt der Fernseher oder das Internet zum Daddeln, Onlineshopping | |
oder Skypen. | |
Und dieser veränderte Lebenswandel könnte laut zahlreicher Studien für | |
diverse Volksleiden verantwortlich sein. Bei Schichtarbeitern zum Beispiel | |
ist das Risiko für Herzkrankheiten um 40 Prozent erhöht. Das Risiko für | |
Diabetes, Übergewicht, und Depressionen steigt auch. Schlafmangel gilt | |
mittlerweile als Mitverursacher von Übergewicht und Bluthochdruck. | |
## Brustkrebs und Schlafmangel | |
Eine aktuelle Studie deckte sogar auf: An Brustkrebs erkrankte Frauen | |
litten unter aggressiveren Tumoren, wenn sie vor dem Ausbruch der Krankheit | |
regelmäßig weniger als sechs Stunden schliefen. | |
Auch Kinder werden durch zu kurze Nächte beeinträchtigt. So brachte | |
kürzlich die [2][Idefics-Studie] ans Licht: Schlafen Pennäler weniger als 9 | |
Stunden pro Nacht, sind sie doppelt so anfällig für Übergewicht wie Kinder | |
mit 11 Stunden Schlaf. | |
Das könnte auch erklären, warum italienische Kinder europaweit die Hitliste | |
der Übergewichtigen anführen: Italienische Kinder verbringen nämlich am | |
wenigsten Zeit in ihren Betten, verglichen mit Altersgenossen in anderen | |
europäischen Ländern. Schlafmangel wird darum als mögliche Ursache für die | |
Adipositasepidemie diskutiert. | |
## Individuelles Schlafbedürfnis | |
Vergessen darf man dabei nicht, dass das Schlafbedürfnis individuell sehr | |
unterschiedlich ist. Es ist genetisch programmiert und liegt bei | |
Erwachsenen zwischen 6 und 10 Stunden. Dabei gibt es Kurzschläfer, die mit | |
5 Stunden auskommen und nicht krank werden. Wird das individuelle | |
Schlafbedürfnis jedoch dauerhaft ignoriert, dann steigt das | |
Krankheitsrisiko. Letztlich zählt auch weniger die Dauer, sondern vielmehr | |
die Schlafqualität. | |
Doch wie kommt es zu den diversen Malaisen? Gesichert ist, dass Menschen, | |
die schlecht oder zu kurz schlafen, am Tag mehr Kalorien zu sich nehmen als | |
sie auf der anderen Seite ihrer Energiebilanz wieder verbrennen. | |
Eine Studie der Mayo-Klinik in Rochester hat im vergangenen März | |
offengelegt: Verkürzt man die individuelle Schlafdauer eines Menschen um | |
zwei Drittel, wird am Tisch kräftiger zugelangt – bis zu 500 Kilokalorien | |
mehr am Tag, was etwa einer Tafel Schokolade entspricht. Beim | |
Energieverbrauch gab es jedoch keine nennenswerten Veränderungen. | |
## Einfluss auf Hungerhormon | |
Allerdings liegt das wohl nicht nur daran, dass Menschen mit geringer | |
Nachtruhe einfach mehr Zeit zum Speisen haben. Auch ihr Hormonhaushalt | |
gerät durcheinander: So steigt die Konzentration des Hungerhormons Ghrelin | |
um 30 Prozent – bereits nach zwei kurzen oder unruhigen Nächten. Dagegen | |
findet man im Blut von Menschen mit Schlafstörungen weniger Leptin, ein | |
Hormon, das in Fettzellen gebildet wird und dem Gehirn Sattheit meldet. | |
Normalerweise sorgt Leptin dafür, dass wir nachts keinen Hunger haben, wenn | |
man wach ist, wird die Leptinproduktion jedoch zurückgefahren. Zudem | |
schaltet ein regelmäßig übernächtigter Organismus auf Reserve: So geben | |
Probanden nach mehreren Tagen Schlafentzug tags weniger Körperwärme ab. Die | |
Folge des veränderten Energiestoffwechsels: ständiger Hunger, ein Zustand, | |
der jegliche Diät konterkariert. | |
Kürzlich hat eine Studie der Harvard University eindrucksvoll bestätigt, | |
warum auch das Diabetesrisiko stark ansteigt: 21 Nachtschichtarbeiter und | |
Vielflieger wurden über sechs Wochen verschiedenen Schlaf- und Essrhythmen | |
ausgesetzt. | |
## Insulinproduktion wird gedrosselt | |
Unter anderem zeigte der Mediziner | |
[3][//sleep.med.harvard.edu/people/faculty/237/Orfeu+M+Buxton+PhD:Orfeu | |
Buxton], dass die Bauchspeicheldrüse durch unregelmäßige Schlaf- und | |
Esszeiten weniger Insulin bildet und sich in der Folge Zucker im Blut | |
ansammelt. Dabei war der Glukosespiegel nach sechs Wochen Studiendauer | |
teilweise so hoch wie bei einem Prädiabetes. | |
Mittlerweile gibt es auch zahlreiche Studien, die die Mechanismen | |
aufdecken, wie Schlafmangel dem Herzen zusetzt. So wird das sympathische | |
Nervensystem aktiviert, der Stresshormonspiegel und Entzündungsmarker | |
steigen. Diese „Fight-or-flight“-Antwort führt zu Glukoseintoleranz, | |
Diabetes, Hypertonie und hoher Pulsfrequenz. | |
Wer regelmäßig weniger als 6 Stunden täglich schläft, verdoppelt darum sein | |
Risiko für Herzkrankheiten und Schlaganfall, hat kürzlich der Mediziner | |
Rohit Arora von der Chicago Medical School in einer Studie mit rund 3.000 | |
Probanden aufgedeckt. | |
## Im Schlaf abnehmen | |
Heißt das, dass „Schlank im Schlaf“ tatsächlich wirkt? Das ist noch nicht | |
belegt, die Forscher sind darum vorsichtig. „Übergewicht ist eine komplexe | |
Krankheit“, meint Jean-Philippe Chaput, Präventivmediziner am Children’s | |
Hospital in Ottawa. „Einfach mehr zu schlafen ist nicht unbedingt die | |
Lösung für Abnehmwillige.“ | |
Erste Hinweise, dass geruhsamere Nächte helfen, gibt es jedoch. Eine | |
aktuelle Studie von Chaput selbst belegt, dass der Stoffwechsel durchaus | |
von einer Extramütze Schlaf profitiert. | |
Dafür hat der kanadische Wissenschaftler übergewichtige Erwachsene 14 Tage | |
auf eine moderate Diät gesetzt. Eine Gruppe schlief 8,5 Stunden, die andere | |
nur 5,5. Die Teilnehmer verloren im Schnitt 3 Kilo Gewicht, aber bei der | |
Langschläfer-Gruppe wurden 50 Prozent davon als Fett abgebaut, während bei | |
den Wenigschläfern nur 25 Prozent als Fett abgebaut wurden. | |
Chaput empfiehlt darum: „Nicht nur Sport und Diät, auch Schlaf sollte in | |
einem Abnehmpaket enthalten sein.“ | |
8 Nov 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.psychologie.tu-dresden.de/i2/klinische/mitarbeiter/wittchen.html | |
[2] http://www.idefics.eu/Idefics/ | |
[3] http://https | |
## AUTOREN | |
Kathrin Burger | |
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