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# taz.de -- Zeitabhängige Wirkung von Medikamenten: Den Takt gibt die innere U…
> Biorhythmen beeinflussen auch die Wirkungen von Arzneimitteln. Die
> Empfindlichkeit des Körpers für Medikamente ändert sich im Laufe eines
> Tages.
Bild: Das Räderwerk der Zeit verändert auch die Wirkungen von Arzneimittel.
Sabine hatte große Angst vor dem zweiten Zahnarztbesuch. Beim letzten Mal
am Morgen hatte sie ein lokales Schmerzmittel bekommen. Bereits nach zehn
Minuten verspürte Sabine starke Schmerzen. Dieses Mal war es Nachmittag.
Der Zahnarzt spritzte ihr das gleiche Schmerzmittel in derselben Dosierung.
Doch nach zehn Minuten empfand Sabine noch immer keine Schmerzen.
Dass dahinter eine „inner Uhr“ steckte, die alle Körperfunktionen des
Menschen nach einem strengen Zeitplan regelt, war weder dem Zahnarzt noch
Sabine bekannt.
„In der Medizin wird zumeist stillschweigend angenommen, dass die Wirkungen
eines Arzneimittels zu jedem beliebigen Zeitpunkt gleich sind“, erklärt
Björn Lemmer von der Rupprecht-Karl-Universität Heidelberg. „Dies ist
vielfach widerlegt worden. Noch immer wird der Chronopharmakologie zu wenig
Beachtung geschenkt.“
Der zentrale Taktgeber des Gehirns - genannt „Suprachiasmatischer Nucleus“
(SCN) - verändert seine Feuerrate im 24-Stunden-Rhythmus. Hierbei spielt
die Sonneneinstrahlung eine wichtige Rolle. Als „Tag-Tier“ ist der Mensch
tagsüber auf Kampf oder Flucht eingestellt, nachts auf Ruhe und Erholung.
Die Chronopharmakologie befasst sich mit der inneren Uhr des Körpers und
den Konsequenzen für die Arzneimitteltherapie. Hauptziel der
Chronopharmakologen ist die Optimierung einer Behandlung: die
höchstmögliche Steigerung der Medikamentenwirkung und die Verringerung der
Nebenwirkungen bis zum Minimum.
Einerseits verlaufen Aufnahme, Abbau und auch die Ausscheidung eines
Medikaments zeitabhängig. Andererseits zeigen zahlreiche Erkrankungen wie
Asthma, Bluthochdruck, Verengung der Herzkranzgefäße oder Krebs ausgeprägte
tagesrhythmische Schwankungen, die eine zeitlich abgestimmte Therapie
benötigen.
Mittlerweile ist beispielsweise bekannt, dass die sogenannten
H2-Antihistaminika zur Behandlung eines Magengeschwürs auf den Nachttisch
gehören: Ideal ist deren Einnahme in den Abendstunden. Denn die
Magensäuresekretion folgt einem Tag-Nacht-Rhythmus mit einem Maximum um 22
Uhr und einem Tiefststand um 8 Uhr. Daher erreicht man die größtmöglichste
Säurehemmung bei abendlicher Einnahme.
## Empfindliche Lungen
Auch die meisten Medikamente gegen Asthma sollten abends in höherer
Dosierung als morgens gegeben werden. Denn Asthmaanfälle treten häufig in
der Nacht auf. Mehrere Ursachen liegen zugrunde. In der Nacht ist die
Empfindlichkeit der Lunge auf Bronchien verengende Substanzen wie sich im
Hausstaub befindende Allergene erhöht.
Nachts ist zudem die Aktivität des Sympathikus gering, während die
Aktivität des Parasympathikus hoch ist. Während das sympathische
Nervensystem die Bronchien erweitert und die Atmung beschleunigt, verengt
der Parasympathikus die Bronchien.
Der Blutdruck schwankt ebenfalls im Tagesrhythmus. Beim Menschen ist jedoch
die zentrale Regulation der Blutdruckdynamik bisher kaum untersucht und die
Ursache des Bluthochdrucks noch unbekannt. Sicher ist der SCN für die
Rhythmik von Bedeutung. Bei Gesunden und bei Patienten mit einem
sogenannten primären Hochdruck kommt es zwischen 9 und 10 Uhr morgens zu
einem Gipfel. Mittags fällt der Blutdruck ab und vom Nachmittag bis zum
Abend steigt er wieder an.
## Nachts ist der Blutdruck niedriger
In der Nacht fällt der Blutdruck bei gesunden Personen um bis zu 15 Prozent
ab („Dipper“). Fehlt der nächtliche Blutdruckabfall, handelt es sich um
einen sogenannten Non-Dipper. Diese Patienten leiden zumeist unter einem
sekundären Hochdruck als Folge einer anderen Erkrankung, beispielsweise der
Niere.
Die Behandlung der Bluthochdruckpatienten muss an die entsprechenden
Rhythmen angepasst werden, um eine optimale Wirkung zu erzielen. So
verstärken beispielsweise ACE-Hemmer bei abendlicher Einnahme die
nächtliche Blutdrucksenkung, was bei Dippern zu einem Schlaganfall führen
kann. Bei Non-Dippern hingegen kann die abendliche Einnahme von ACE-Hemmern
den nächtlichen Bluthochdruck normalisieren.
Auf einer Verengung der Herzkranzgefäße beruhende Angina-pectoris-Anfälle
mit einem Gefühl der Enge auf der Brust treten tagsüber häufiger auf als
nachts. In mehreren Studien wurde ein erhöhtes Vorkommen von Herzinfarkten
in den frühen Morgenstunden nachgewiesen. Dies ist vor allem auf die
Erhöhung des Blutdrucks und der Herzfrequenz und den dadurch gesteigerten
Sauerstoffverbrauch des Herzens zurückzuführen. In der Therapie der Angina
pectoris hat sich zum Beispiel der Wirkstoff Propranolol, ein Beta-Blocker,
am effektivsten erwiesen, wenn es als morgendliche Einmaldosis gegen 8 Uhr
gegeben wird.
## Bessere Heilungsquote
Die therapeutische Anwendung von Zytostatika, die die Zellteilung
verhindern, ist durch deren hohe Toxizität begrenzt. In tierexperimentellen
Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass eine Chronotherapie mit
Zytostatika nicht nur deren schädigende Wirkung vermindern, sondern auch
die Heilungsquote bei Tumoren verbessern konnte. Dabei wurden die
Arzneistoffe nur zu bestimmten Tageszeiten oder eine unterschiedliche
Dosierung zu verschiedenen Tageszeiten gegeben.
Entscheidend ist oftmals, welcher Wirkstoff wann eingesetzt wird. So
brachte die Infusion des zur Krebsbehandlung eingesetzten Zytostatikums
Adriamycin beispielsweise günstigere Ergebnisse und wurde besser vertragen,
wenn die maximale Infusionsrate in den frühen Morgenstunden lag.
Umgekehrt verhält es sich bei dem Wirkstoff Cisplatin, das ebenfalls als
Zytostatikum eingesetzt wird. Bei dieser Substanz sollte die maximale
Infusionsrate am besten für 18 Uhr eingeplant sein.
„Die Chronotherapie mit Zytostatika verlängert das Überleben“, so Björn
Lemmer. „Allerdings bedürfen die Befunde einer Bestätigung durch weitere
Studien." Zurzeit laufen zahlreiche europäische Studien unter Leitung der
European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC), die
eine Chronotherapie mit Zytostatika bei verschiedenen Tumorerkrankungen mit
einer konventionellen Therapie vergleichen.
21 Apr 2013
## AUTOREN
Claudia Borchard-Tuch
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