| # taz.de -- Flüchtlinge in Clausnitz: Die neue Freundlichkeit | |
| > Wie geht es den Flüchtlingen in Clausnitz? In dem Erzgebirgsort hatte vor | |
| > sechs Monaten ein Mob gegen Flüchtlinge gehetzt. | |
| Bild: Im Februar 2016: Banner vor einer Asylunterkunft in Clausnitz | |
| Clausnitz taz | Polizisten zerren einen verängstigten Jungen aus einem Bus | |
| und bringen ihn in die Flüchtlingsunterkunft. [1][Draußen belagert ein Mob | |
| den Bus, blockiert ihn mit Autos und einem Traktor]. Ein Handyvideo mit | |
| dieser Szene erregte im Februar dieses Jahres die Republik. Ort der Attacke | |
| war der idyllische Ortsteil Clausnitz der Erzgebirgsgemeinde | |
| Rechenberg-Bienenmühle. Ein halbes Jahr danach weiß erstaunlicherweise | |
| niemand Bescheid über den aktuellen Stand in Clausnitz. Gibt es dort noch | |
| Flüchtlinge? Wenn ja, wer kümmert sich um sie? | |
| Das Integrationsministerium Sachsen verweist auf einen gewissen Marc | |
| Lalonde, Frankokanadier und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU | |
| Dresden. Er habe in der Nähe ein Wochenendhäuschen und helfe nach Kräften, | |
| heißt es. | |
| Was Lalonde beim Treffen in Clausnitz berichtet, verblüfft angesichts der | |
| erinnerlichen Bilder: „Die meisten Flüchtlinge sagen zwar, dass der Bus | |
| schrecklich war. Aber das ist Geschichte. Jetzt möchten sie am liebsten gar | |
| nicht darüber reden, denn es gibt so viele Helfer, so viele liebe | |
| Menschen.“ | |
| In drei Häusern am Ortsrand wohnen neun Flüchtlingsfamilien. Sadegh | |
| Ranjbar, ein junger Vater aus dem Iran mit dem acht Monate jungen Babak auf | |
| dem Arm, saß damals zusammen mit seiner weinenden Frau und dem kranken Sohn | |
| im Bus. „Bus – nicht gut, aber Marc – gut!“, kratzt er sein Anfängerde… | |
| zusammen. Er fühlt sich im Dorf inzwischen gut angenommen, spricht vom | |
| Fußball, von Dorf- und Kinderfesten. | |
| Etwa ein Dutzend Dorfbewohner betreuen die Familien, auch auswärtige Helfer | |
| schauen gelegentlich vorbei. Nachbar Lothar Wunderlich repariert, wenn | |
| „alle zwei Wochen ein Fahrrad zu Schrott gefahren wird“. Der Rentner sorgt | |
| sich nur um das sorglose Verhalten der radelnden Kinder im Straßenverkehr. | |
| „Das könnte Clausnitz gerade noch brauchen, wenn hier ein Kind zu Schaden | |
| käme!“ Auf die Busattacken hat er seine eigene Sicht. „Ist doch ganz | |
| normal, dass die Clausnitzer gucken wollten, wenn da ein Bus aus fremden | |
| Kulturen ankommt. So viele Events haben wir hier am Ort nicht“, leugnet er | |
| die aggressive Stimmung vom Februar. | |
| Die Ermittlungen gegen die blockierenden Auto- und Traktorfahrer laufen | |
| noch bei der Staatsanwaltschaft Chemnitz. Nicht weiter verfolgt werden die | |
| Anzeigen gegen [2][rabiate Polizisten wegen Körperverletzung]. Seit Februar | |
| gab es keinerlei Vorkommnisse, bestätigt Nachbar Wunderlich. Befürchtungen | |
| hätten sich nicht bewahrheitet. Man müsse sich nur an die verschiedenen | |
| Lebensweisen, an den oft in die Nacht verschobenen Tagesrhythmus der | |
| Ausländer gewöhnen. Gute Nachbarschaft liege ihm am Herzen. „Beide Seiten | |
| müssen etwas dazulernen – das war auch für uns neu.“ Vor allem aber müss… | |
| die Ausländer lernen, „wie wir Deutschen ticken“. | |
| Der für die Flüchtlinge so wichtige Internetzugang war das einzige Problem | |
| der vergangenen Monate. Marc Lalonde und Freunde hatten Spenden für freies | |
| WLAN gesammelt und diesen Anschluss mit der Betreibergesellschaft GSQ des | |
| Landkreises Mittelsachsen vereinbart. Anfang Juli herrschte aber plötzlich | |
| Funkstille. Rechtliche Haftungsfragen seien offen, hieß es. | |
| Lalonde machte daraufhin Druck auf die GSQ und den Bürgermeister. Er drohte | |
| mit einer Protestdemonstration, auf die sich die Medien im Sommerloch | |
| gewiss stürzen würden. „Es hat keine 24 Stunden gedauert, und das WLAN war | |
| wieder da“, freut sich der Mittdreißiger über den gelungenen Schachzug. | |
| ## Ein Gewöhnungsproblem | |
| Drei Kilometer entfernt, im Rathaus der Gemeinde Rechenberg-Bienenmühle, | |
| ist der parteilose Bürgermeister Michael Funke zu einem Gespräch bereit. | |
| Seine entschiedene schriftliche Distanzierung von den Attacken im Ortsteil | |
| Clausnitz wurde damals wenig beachtet. Auch heute nimmt er seine | |
| Clausnitzer nicht in Schutz, erklärt aber Hintergründe. Die Gemeinde im | |
| äußersten Zipfel des Landkreises ist nicht gerade reich, hat mit | |
| Abwanderung, dem drohenden Verlust des Bahnanschlusses und der Schließung | |
| des Schwimmbads zu kämpfen. „Mit Ausländern hatten wir praktisch noch nie | |
| zu tun“, sagt Funke. Die tschechischen Nachbarn in der grenzübergreifenden | |
| Ski- und Wanderregion gelten ihm offenbar nicht als solche. | |
| Ein Gewöhnungsproblem also. Aber auch Funke hält es für wesentlich, den | |
| Ankömmlingen „unsere Werte zu erklären“. Warum er den gegenseitigen | |
| Lernprozess inzwischen nicht offensiver kommuniziert habe? „Die | |
| Berührungsängste, die Vorbehalte sind nicht verschwunden“, räumt er ein. Zu | |
| lautes Trommeln wäre unklug gewesen. Der Bürgermeister ist schon zufrieden, | |
| dass die Gästezahlen sich nach einem kurzen Imageschock wieder erholt | |
| haben. | |
| In den drei Flüchtlingshäusern von Clausnitz stehen Helfer und Flüchtlinge | |
| mittlerweile vor den typischen Integrationsproblemen. Sadegh Ranjbar, der | |
| Iraner, hat nach neun Monaten in Deutschland noch nicht einmal sein | |
| Anhörungsgespräch gehabt. Er möchte arbeiten und darf nicht, er möchte | |
| Deutsch lernen und bleibt auf die ehrenamtlichen Helfer angewiesen. Männer, | |
| die beim Bau eines Radweges mithelfen wollten, zogen sich allerdings | |
| zurück, als sie vom Stundenlohn von 1,05 Euro erfuhren. | |
| Die freundliche Randlage des Quartiers hat ihre Kehrseiten. Entfernungen zu | |
| öffentlichen Verkehrsmitteln oder zum Supermarkt betragen mindestens drei | |
| Kilometer. Dennoch: „Hier möchte ich ein ruhiges Leben haben“, sagt Sadegh | |
| Ranjibar. | |
| 15 Sep 2016 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Bartsch | |
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