# taz.de -- Maßnahmen gegen russische Forscher: Jeder ist ein Agent | |
> Das russische Justizministerium hat Mitarbeiter des Lewada-Zentrums als | |
> Agenten eingestuft. Grund könnten Umfragen zu Wahlen sein. | |
Bild: Lewada-Direktor Lew Gudkow will die Entscheidung juristisch anfechten | |
MOSKAU taz | Völlig überrascht waren die Mitarbeiter des Lewada-Zentrums | |
nicht, als sie sich Anfang der Woche als „ausländische Agenten“ auf der | |
Website des Justizministeriums wiederfanden. Das soziologische | |
Forschungszentrum ist Russlands einziges unabhängiges Umfrageinstitut und | |
steht seit Langem unter Beschuss. | |
Russische Beobachter vermuten, das eilige Vorgehen der Justiz könne mit den | |
Dumawahlen in zwei Wochen in Verbindung stehen. Die erfolgsverwöhnte | |
Kremlpartei Einiges Russland (ER) schnitt in einer Lewada-Umfrage letzte | |
Woche mit einem Zuspruch von 31 Prozent der Stimmen eher kläglich ab. | |
Bemühungen, das Lewada-Institut lahmzulegen, reichen schon länger zurück. | |
2013 flatterte bereits die erste Aufforderung zur Registrierung als | |
„ausländischer Agent“ ins Haus. Das konnte aber noch abgewendet werden. | |
Auch diesmal hofft Direktor Lew Gudkow, gegen die Entscheidung juristisch | |
noch vorgehen zu können. Schlägt das fehl, wäre das Institut gezwungen, | |
sich gegenüber Auftraggebern und Ansprechpartnern jedes Mal als | |
„ausländischer Agent“ zu erkennen zu geben. Unter solchen Vorgaben wäre | |
wissenschaftliche Arbeit nicht mehr möglich. | |
## Agentengesetz wird immer restriktiver | |
Auch die Auslegung des Agentengesetzes von 2012 wird deutlich restriktiver: | |
Eine NGO gilt mittlerweile nicht mehr nur als Agent, wenn sie Geld von | |
ausländischen Organisationen erhält. Auch Honorare aus kommerzieller | |
Tätigkeit werden dazu gerechnet. So finanzierte Lewada soziologische | |
Umfragen vor allem aus Einnahmen, die aus Marketingaufträgen ausländischer | |
Firmen stammten. | |
Darüber hinaus wurde im Mai auch gesetzlich neu definiert, wann eine NGO | |
„politische Tätigkeit“ ausübt. Wer die öffentliche Meinung erforscht und | |
sich mit der „öffentlichen Darstellung von Ergebnissen“ befasst, ist | |
demnach bereits politisch aktiv. | |
Lew Gudkow hält jedoch nicht den Kreml für den Drahtzieher. Er vermutet | |
eher den „Groll der Sicherheitsministerien“. Gudkow betont: „Die mafiöse | |
Macht reagiert sehr gereizt auf die Veröffentlichung unserer | |
Korruptionsdaten.“ Für das in der Bevölkerung unumstößliche Bild korrupter | |
Machthaber gäben die Sicherheitsstrukturen den Soziologen die Schuld. | |
6 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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