# taz.de -- Bürgerlicher Protest gegen Rassismus: Es fehlt eine gemeinsame Str… | |
> Eigentlich sind Bündnisse gegen rechts gesellschaftlich etabliert. Doch | |
> die Mobilisierung läuft schleppend. Eine Demo will die Gesellschaft | |
> wachrütteln. | |
Bild: Damit die Stimmung nicht allzu düster wird, braucht es mehr Engagement g… | |
BERLIN taz | Endlich mal wieder die Massen mobilisieren. Das Datum dafür | |
ist eigentlich gut gewählt: Einen Tag vor der Landtagswahl in | |
Mecklenburg-Vorpommern und zwei Wochen vor der | |
Abgeordnetenhauswahl in Berlin will das Bündnis Aufstehen gegen | |
Rassismus (AgR) mit einer bundesweiten Demonstration in der | |
Hauptstadt ein Zeichen setzen. Gegen Rechtspopulismus im | |
Allgemeinen und gegen die AfD im Besonderen, der in beiden | |
Bundesländern zweistellige Ergebnisse vorausgesagt werden. | |
Nur: Bisher gibt es wenig Anzeichen dafür, dass diese Demonstration | |
wirklich zu einem deutlichen Signal werden könnte, zu einer | |
Versammlung all jener, die den Gegenpol bilden zur rassistischen | |
Hetze. Die Mobilisierung läuft eher schleppend, „mehrere tausend | |
Teilnehmer“ würden erwartet, sagt die Bündnissprecherin – das ist | |
nicht viel für eine bundesweite Demonstration. | |
Dabei sind die Voraussetzungen nicht schlecht. Das im März | |
gegründete Bündnis ist breiter aufgestellt als bei | |
Gegen-rechts-Zusammenschlüssen üblich: Die Berliner SPD ist genauso | |
dabei wie die Antifa Oberhausen, dazu Gewerkschaften, | |
zivilgesellschaftliche Initiativen und eine Reihe prominenter | |
UnterstützerInnen. | |
Trotzdem: Eine breit getragene, auf der Straße sichtbare | |
Positionierung gegen Rassismus und Rechtspopulismus sucht man in | |
Deutschland momentan vergeblich. Trotz Hunderter Angriffe auf | |
Flüchtlingsheime, trotz der Wahlerfolge der AfD: Die, die gern als | |
Mitte der Gesellschaft bezeichnet werden, sehen anscheinend wenig | |
Anlass, auf die Straße zu gehen. | |
## Die Lichterketten der neunziger | |
Anfang der 1990er Jahre war das anders. Reagierte die Öffentlichkeit | |
auf das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen noch weitgehend fassungs- | |
und tatenlos, änderte sich das nach den rechtsextremen | |
Mordanschlägen von Mölln und Solingen: Hunderttausende | |
versammelten sich zu Lichterketten gegen Fremdenfeindlichkeit | |
oder öffentlichen Konzerten gegen rechts. | |
„Das gab damals ganz klar die Stimmung: Wir müssen jetzt alle | |
zusammenstehen, gemeinsam an einem Strang ziehen“, sagt Wolfgang | |
Niedecken. Niedecken ist Sänger der Kölschrockband BAP, die am 9. | |
November 1992 vor rund 100.000 Menschen gemeinsam mit anderen | |
Künstlern ein Konzert gegen rechte Gewalt spielte, „Arsch huh, Zäng | |
ussenander“ das deutliche Motto. „Wir wollten damit alle | |
ermutigen, die gegen diese rechte Hetze einstehen, egal wo“, sagt | |
Niedecken. | |
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt heute das Bündnis Aufstehen gegen | |
Rassismus, das mindestens bis zur Bundestagswahl 2017 eine | |
„bundesweite antirassistische Aufklärungskampagne“ | |
vorantreiben will. Die Demonstration am Samstag ist nur einer der | |
Bausteine dafür. | |
Ein wichtiger Hebel sollen dabei die Gewerkschaften sein. Sie haben | |
noch den Zugang in die Betriebe, den die Parteien oft längst | |
verloren haben. Zur ArbeiterInnenschaft – wo die AfD bei den letzten | |
Landtagswahlen besonders stark punkten konnte. Doch gerade hier | |
hapert es: Stellten die Gewerkschaften in den 1990er Jahren etwa unter | |
dem Motto „Mach meinen Kumpel nicht an!“ eigene Kampagnen gegen | |
rechts auf die Beine, halten sie sich momentan auffällig zurück. | |
## Gewerkschaftsarbeit in einer Krise | |
Romin Khan ist migrationspolitischer Referent bei Verdi, | |
engagiert sich beim Bündnis AgR und kann ein paar Gründe für diese | |
Zaghaftigkeit nennen: Insgesamt befinde sich die politische | |
Gewerkschaftsarbeit in einer Krise, die Mobilisierung der eigenen | |
Mitglieder falle immer schwerer. In Sachen AfD komme noch etwas | |
anderes hinzu: „Die Gewerkschaften verstehen sich immer noch nicht | |
ausreichend als Vertreter der migrantischen Bevölkerungsteile“, | |
sagt er. „Die Erkenntnis, dass die rassistische, aber auch die | |
antifeministische Politik der AfD die Gewerkschaften | |
unmittelbar betrifft, weil sie deren eigene Mitglieder angreift, | |
hat sich noch nicht genug durchgesetzt.“ | |
Khan zufolge liegt das auch an der internen Struktur der | |
Gewerkschaften. Auf deren Entscheiderposten fänden sich immer noch | |
zu wenige MigrantInnen. Und: In den Gewerkschaften herrsche | |
Unsicherheit darüber, ob man mit zu klaren Positionierungen gegen | |
die AfD nicht auch Mitglieder verprellen könnte, sagt Khan. | |
Der Mangel an sichtbarer gesellschaftlicher Formierung gegen die | |
AfD lässt sich aber auch mit Konflikten über die richtige Strategie | |
erklären. So ist es in der außerparlamentarischen Linken hoch | |
umstritten, ob man gemeinsam mit SPD und Grünen gegen die | |
RechtspopulistInnen ins Feld ziehen sollte – sehen viele doch in den | |
Asylrechtsverschärfungen, die diese Parteien durchgesetzt haben, | |
zugleich Zugeständnis an und Futter für die Parolen der AfD. | |
## Mordanschläge rütteln auf | |
Klar: Die Situation ist nicht wie 1992. Die Anschläge haben bisher | |
keine Todesopfer gefordert – das mag zynisch klingen, aber wirklich | |
wachgerüttelt wurde die Zivilgesellschaft auch damals erst nach den | |
Mordanschlägen. Und: Ein wichtiger Adressat der Proteste war damals | |
die Regierung Kohl – heute aber ziehen unter dem Motto „Merkel muss | |
weg“ Rechtsextreme durch Berlin und fordern eine rigorose | |
Abschottungspolitik. Das verkleinert den Spielraum für | |
Regierungskritik von links. | |
Trotzdem gibt es auch jetzt Beispiele für öffentlichkeitswirksames | |
Engagement gegen rechts. Die Band Feine Sahne Fischfilet tourt | |
gerade unter dem Motto „Noch nicht komplett im Arsch“ durch ihr | |
Heimatbundesland Mecklenburg-Vorpommern. Sie will vor der | |
Landtagswahl allen, die sich nicht mit AfD und NPD abfinden wollen, | |
den Rücken stärken. Nur: Dass eine linksradikale Punkband als | |
Beispiel für zivilgesellschaftliches, öffentlichkeitswirksames | |
Engagement herangezogen werden muss, spricht nicht nur für die | |
Band, sondern auch gegen ebendiese Zivilgesellschaft. | |
In Berlin gibt es am kommenden Samstag nun die Gelegenheit, doch noch | |
ein sichtbares Fanal gegen die rechte Hetze zu setzen. Niedecken, dem | |
die aktuellen politischen Entwicklungen „immer wieder die Haare | |
zu Berge stehen lassen“, gibt die Hoffnung darauf nicht auf. „Die Leute | |
sind ja da, das hat doch die Willkommenskultur gezeigt. Es | |
engagieren sich so viele, so viele wollen mit der AfD nichts zu tun | |
haben.“ Das AgR-Bündnis will diesen Pol der Gesellschaft sichtbar | |
machen – spätestens bis zur Wahl im kommenden Jahr. | |
31 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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