# taz.de -- Kolumne Hosen runter: Die mit der Angst | |
> Nachdem ich vor einer Woche über meine Angststörung geschrieben habe, | |
> fragten sich einige: Hätte man mich nicht schützen müssen? Nein. | |
Bild: Wie die anderen Leute einen sehen? Da steckt man nicht drin | |
Am vergangenen Wochenende [1][habe ich in der taz über meine Angststörung | |
geschrieben]. Es war ein sehr langer Text und eigentlich dachte ich, damit | |
wäre alles gesagt. Ist es natürlich nicht. | |
Ich habe unzählige großartige Nachrichten bekommen: Von KollegInnen, die | |
mir schrieben: „Ich hab das auch.“ Von TherapeutInnen, die den Text an ihre | |
PatientInnen weitergeben wollen. Von LeserInnen, die mir zu meinem Mut | |
gratulierten – was lustig ist, wenn man eine Angststörung hat – und | |
schrieben: „Das ist doch meine Geschichte!“ | |
Und dann gab es da ein paar KollegInnen, die sich fragten, ob man mich | |
nicht hätte schützen müssen. Davor, dass ich jetzt für immer die mit der | |
Angst bin, so wie Miriam Meckel für immer die mit dem Burn-out ist. Es ist | |
ein wichtiger und guter Reflex als Journalist, seine Protagonisten zu | |
schützen. Es ist ein wichtiger und guter Reflex als Mensch, andere Menschen | |
zu schützen. Ich bin froh, dass ich in einem Umfeld arbeite, in dem so | |
etwas zählt. Ich halte den Reflex trotzdem für ein Problem. | |
Wen schützt man? Jemanden, der schwach ist. Vor was schützt man jemanden? | |
Vor anderen, im Zweifel auch vor sich selbst. | |
Übersetzt heißt das: Wer ein psychisches Problem hat, ist schwach. Und muss | |
deshalb vor Menschen geschützt werden, die einen für verrückt halten. Oder | |
vor der eigenen Courage, die man vielleicht später bereut. | |
Genau so funktioniert unsere Gesellschaft. Und deshalb werden | |
Angststörungen immer noch stigmatisiert. | |
## Anonyme Masse ohne Gesicht | |
Ich bin 32 Jahre alt, also erwachsen. Ich habe die Entscheidung, ohne | |
Pseudonym über meine Angst zu schreiben, nicht leichtfertig getroffen. Mir | |
war relativ schnell klar, dass ich das Thema schreibend verarbeiten will, | |
sogar muss. Ich habe viel darüber gelesen, lauter Erfahrungsberichte, alle | |
anonym. Und dachte: Genau deshalb ist es immer noch ein Tabu. Vielleicht | |
wissen dank der vielen Texte mehr Menschen als früher, dass es | |
Angsterkrankungen gibt, aber betroffen sind immer die anderen. Nicht die | |
Nachbarin, nicht der Kollege, nicht der Partner. Sondern eine anonyme Masse | |
ohne Gesicht. | |
Ab da war für mich klar: Wenn ich diesen Text schreibe, dann unter meinem | |
Namen. Ich habe mit Freunden darüber gesprochen, mit meinen Eltern, mit | |
meinem Therapeuten. Ich habe drei Jahre immer wieder an dem Artikel | |
gearbeitet, hatte also viel Zeit, einen Rückzieher zu machen. Und am Ende | |
von diesem langen Prozess? Sorgen sich Menschen darum, ob ich mir das auch | |
gut überlegt habe. | |
Es bringt nichts, darauf zu warten, dass die Gesellschaft so weit ist, | |
einen als „normal“ anzuerkennen. Eine Gesellschaft passt sich Tatsachen an. | |
Tatsachen werden dadurch geschaffen, dass sich sehr viele Menschen so | |
zeigen, wie sie sind. Und irgendwann guckt niemand mehr doof, wenn Schwule | |
sich küssen, Frauen mit Kopftuch rumlaufen oder im Personalausweis ein | |
drittes Geschlecht steht. | |
Ob ich in Zukunft auf meine Angststörung reduziert werde? Kann sein. Meine | |
Freunde wissen es eh schon längst, meinem Freund hab ich es erzählt, bevor | |
es ernst wurde. Wer damit nicht umgehen kann, passt sowieso nicht zu mir. | |
Ja, ich bin die mit der Angst. Aber ich bin auch die, die ihren badischen | |
Dialekt vermutlich nie ganz loswird. Die, die was mit Mode studiert hat und | |
der das manchmal ein bisschen peinlich ist. Die, die Hip-Hop lieber mag als | |
Elektro. Die, die Lachanfälle bekommt, wenn sie müde ist. Oder, wie ein | |
Kollege vor ein paar Tagen sagte: „Für mich bleibst du immer die mit den | |
Locken.“ | |
19 Aug 2016 | |
## LINKS | |
[1] /Leben-mit-einer-Angststoerung/!5325096/ | |
## AUTOREN | |
Franziska Seyboldt | |
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