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# taz.de -- Gabriels Reaktion auf rechte Pöbler: Stinkefinger mit Stil
> Sigmar Gabriel macht eine obszöne Geste, als ihn Rechtsextreme
> beschimpfen. Verdammt sympathisch. Aber darf ein Vizekanzler das?
Bild: Gegen das Sommerloch: Gabriels Mittelfinger wird zum viralen Hit
Berlin taz | Sigmar Gabriel hat Pöblern den Mittelfinger gezeigt. Wow.
Einatmen. Ausatmen. Das Sommerloch gebiert ein weiteres Megathema, die
sozialen Netzwerke sind in Aufruhr. Darf der das, so als Vizekanzler und
SPD-Vorsitzender?
Um es gleich zu sagen: Mir ist Gabriel in den wenigen Sekunden, [1][die auf
einem Video dokumentiert sind], verdammt sympathisch. Und das kommt nicht
häufig vor.
Eine Gruppe vermummter Männer pöbelte ihn bei einem Spaziergang durch
Salzgitter an. Sie tragen Kapuzenpullis, schwarz-rot-goldene Masken und
skandieren „Volksverräter.“ Es sind Rechtsextreme, das Video wurde zuerst
auf der Facebook-Seite der Jungen Nationaldemokraten Braunschweig
veröffentlicht. Das ist eine Ortsgruppe der Jugendorganisation der
rechtsextremen NPD.
„Mensch, dein Vater hat sein Land geliebt“, brüllt einer der Rechten. „U…
was machst du? Du zerstörst es.“ Gabriel winkt erst müde lächelnd ab, dann
zeigt er den Neonazis den Stinkefinger und dreht sich weg.
## Wollen wir kontrollierte Roboter in der Politik?
Dazu muss man wissen: Gabriels Vater, ein Vertriebener aus Schlesien, war
ein überzeugter Nationalsozialist. Seine Kindheit verbrachte Gabriel bei
einem in Wut und Hass erstarrten Mann, bis die Mutter das Sorgerecht bekam.
Der Nazi in Salzgitter zielte also auf einen schmerzhaften Punkt. Da ist
ein Mittelfinger doch eine spontane, nachvollziehbare Reaktion, oder?
Sicher, Gabriel hätte den Rechten kein Podium gegeben, wenn er cool
geblieben wäre. Die Szene wurde ja nur wegen des Stinkefingers zum viralen
Hit. Gabriel ist Vizekanzler, Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzender, im
kommenden Jahr will er wahrscheinlich Bundeskanzler werden. Contenance und
Selbstkontrolle sind Voraussetzungen für dieses Amt.
Aber die Lappalie so hoch zu hängen, wäre albern. Denn es geht auch um eine
einfache Frage: Wollen wir eigentlich überkontrollierte Roboter in der
Politik, denen alles Menschliche fremd ist? Helmut Kohl hat sich mal auf
Demonstranten gestürzt, die ihn mit Eiern beworfen hatten. So falsch Kohls
Politik war – die Urgewalt dieses Moments, die hatte was.
Wenn Politiker angefasst sind, spontan werden, die Kontrolle verlieren,
dann zeigt sich die verlogene Ambivalenz der Mediengesellschaft. Einerseits
wünschen wir uns kantige, ehrliche Köpfe in der Politik, gleichzeitig wird
jede kleinste Regelverletzung zum Skandal aufgeblasen.
## Klare Linie gegen Rechts
Peer Steinbrück, ein Freund starker Worte und bekanntlich ebenfalls
Stinkefinger-Fan, bekam das beim Bundestagswahlkampf 2013 zu spüren. Es
spricht nicht wirklich für die deutsche Diskurskultur, dass der damalige
SPD-Kanzlerkandidat vor allem an seiner Vorliebe für teuren Weißwein
gemessen wurde.
Gabriel wird Sprunghaftigkeit vorgeworfen, aber wenn er irgendwo eine klare
Linie verfolgt, dann beim Kampf gegen Rechts. Er versuchte (erfolglos)
Thilo Sarrazin aus der SPD zu drängen, er fand ein treffendes Wort für die
Nazi-Kader, die in Heidenau Proteste vor einer Flüchtlingsunterkunft
organisierten: „Pack“. Mit solch rustikalen Begriffen begebe sich der
SPDler auf die Ebene der rechten Pöbler, kritisierten danach konservative
Medien.
Aber das ist unpräzise. Gabriel verachtet Neonazis, aber eben nicht all
jene ängstlichen Leute, die mit dem Gedanken spielen, AfD zu wählen. Denen,
das wiederholt er immer wieder, müsse die Politik Angebote machen. Und er
versucht ihnen pointiert klar zu machen, wer die wirklich Bösen sind.
Man muss Kraftausdrücke und obszöne Gesten nicht mögen, aber der Gedanke
dahinter ist nicht ganz dumm. Und jetzt bitte: weitermachen.
17 Aug 2016
## LINKS
[1] https://www.facebook.com/antifakampfausbildung/videos/vb.933332503379246/11…
## AUTOREN
Ulrich Schulte
## TAGS
Sigmar Gabriel
Rechte
Peer Steinbrück
Antifaschismus
AfD Niedersachsen
Schwerpunkt TTIP
Sigmar Gabriel
SPD
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