# taz.de -- Nach dem Türkei-Russland-Gipfel: Erdoğan, Eroberer von Moskau | |
> Die Medien am Bosporus bejubeln das Treffen mit Putin. Dabei war eine | |
> Annäherung für die Türkei überfällig: Zu Hause verfaulten die Tomaten. | |
Bild: Die zwei in St. Petersburg | |
ISTANBUL taz | Die regierungsfreundlichen Medien in der Türkei verbreiten | |
nach dem Gipfel der Autokraten regelrechte Jubelstimmung. Von „großer | |
Freundschaft“ ist die Rede, davon, dass sich nun zwischen Moskau und Ankara | |
alles, aber auch alles zum Guten wenden wird. Die freundlichen Worte der | |
Präsidenten Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan, der vom „werten Freund | |
Wladimir“ spricht, werden am Tag nach dem Gipfel in St. Petersburg | |
ausführlich zitiert. | |
Die Zeitung Yeni Akit feiert Erdoğangar als „Eroberer von Moskau“. Es ist | |
noch keine neun Monate her, dass Russland für Erdoğan und seine | |
Einpeitscher als Inkarnation des Bösen galt. Die Türkei hatte im November | |
vergangenen Jahres ein russisches Militärflugzeug im syrisch-türkischen | |
Grenzgebiet abgeschossen. Der damalige Ministerpräsident Ahmet | |
Davutoğlurühmte sich sogar damit, persönlich den Abschussbefehl erteilt zu | |
haben. Das Säbelrasseln war gedacht als Drohung gegen die russische | |
Syrienpolitik, die Assad unterstützt, während die Türkei ihr freundliche | |
gesinnte dschihadistische Bewegungen bewaffnete. | |
Die Sanktionen, die Russland nach dem Abschuss des Kriegsflugzeuges | |
verhängte, waren schmerzhaft für die türkische Ökonomie. Russland war für | |
die Türkei zweitwichtigstes Exportland. Nun verfaulten die türkischen | |
Tomaten, weil Russland den Import von Lebensmitteln untersagte. Rund vier | |
Millionen russische Touristen jährlich blieben weg, weil Putin die | |
Charterurlaube an den türkischen Küsten untersagte. Ein Rückgang des | |
Handelsvolumens um 40 Prozent war die Folge. | |
Zudem wurden riesige Investitionen wie das von den Russen gebaute | |
Atomkraftwerk Akkuyu an der Mittelmeerküste in der Provinz Mersin auf Eis | |
gelegt, ebenso wie millionenschwere Aufträge türkischer Bauunternehmen in | |
Russland. | |
## Visafreiheit, Charterflüge und Embargoende | |
Erdoğans Annäherung an Putin war nur eine Frage der Zeit. Der Putschversuch | |
in der Türkei und Erdoğans internationale Isolierung haben den Prozess | |
beschleunigt. Aus den Goodwill-Bekundungen Putins und Erdoğans ist | |
absehbar, dass bereits in Kürze konkrete Schritte folgen werden. Schnell | |
sollen weitere bilaterale Abkommen geschlossen werden. Dazu gehört die | |
Wiedereinführung der Visafreiheit für russische und türkische | |
Staatsangehörige, die Zulassung von Charterflügen für russische Touristen | |
in die Türkei wie die Aufhebung des Embargos für türkische Lebensmittel. | |
Dem Weiterbau von Akkuyu steht nichts mehr im Wege. Der Grundstein für das | |
25 Milliarden US-Dollar teure Projekt war im April 2015 gelegt worden. | |
Dabei kritisieren Umweltschützer das AKW, weil es in einer Erdbebenzone | |
steht. Welchen Preis Erdoğan tatsächlich zahlt, vermag man daran erkennen, | |
dass er zusätzlich staatliche Subventionen garantierte – bei einem Vertrag, | |
der bereits unter Dach und Fach ist. Für die Pipeline Turkish Stream, die | |
Erdgas in die Türkei transportieren soll, gibt es schon konkrete | |
Jahreszahlen: 2019 könne die erste Pipeline errichtet werden, so der | |
russische Energieminister. | |
Doch all das hat seinen Preis: „Die Russen haben noch nicht mal eine Grenze | |
zur Türkei. Was mischen sie sich in Syrien ein?“, sagte Erdoğan im Oktober | |
vergangenen Jahres. Nach dem Gipfel sagte er: „Beim Friedensprozess in | |
Syrien ist Russland der wichtigste Akteur.“ Die Annäherung geht weiter. | |
Schon am heutigen Donnerstag reisen türkische Diplomaten, Militärs und | |
Geheimdienstler nach Moskau, um über eine gemeinsame Syrien-Strategie zu | |
beraten. | |
10 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Ömer Erzeren | |
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