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# taz.de -- Athletenförderung in Berlin: Beistand auf dem Weg zum Gold
> Der Olympiastützpunkt Berlin fördert die Athleten-Elite von heute und
> morgen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die beiden Laufbahnberater.
Bild: Go for Gold – mit freundlicher Unterstützung aus dem Sportforum Hohens…
Der Wind weht unnachgiebig über das Gelände des Sportforums
Hohenschönhausen, streicht über die breiten Wege, um die Ecken der Hallen,
über die Sportplätze und schafft es, das Areal selbst bei warmem Wetter
ungemütlich wirken zu lassen. Das Sportforum ist kein Ort, der einlädt
stehen zu bleiben. Wer dennoch innehält, bekommt einiges zu sehen: Auf 45
Hektar erstreckt sich hier eine der wichtigsten Sportanlagen Deutschlands.
Viele der deutschen AthletInnen, die gerade in Rio um Siege und Medaillen
kämpfen, haben einen Großteil ihrer Trainingszeit im Osten Berlins
verbracht: Rund 12 Prozent aller Bundeskaderathleten trainieren am
Olympiastützpunkt Berlin (OSP), dem Hauptnutzer des Sportforums. Nicht alle
sind auf dem Hohenschönhausener Gelände aktiv: Ruderer oder Segler etwa
nutzen ihre eigenen Anlagen in Grünau oder am Müggelseedamm. Das Sportforum
aber ist das Herzstück der olympischen Sportförderung in Berlin.
Die Kommunikation mit dem OSP hat es in sich: Interviewanfragen müssen von
ganz oben bewilligt werden, Zitate aus Gesprächen werden doppelt und
dreifach auf unerwünschte Formulierungen durchsucht, und jeder Mensch mit
Entscheidungserlaubnis ist offenbar in Rio. Doch am unteren Ende der Kette,
im kastenförmigen Hauptgebäude des OSP Berlin in Hohenschönhausen, ist man
redefreudiger. Insgesamt rund 600 AthletInnen aus über 30 Sportarten werden
von hier aus betreut, und ganz oben im „Olympiazimmer“ mit Blick auf die
Tartanbahn sitzen zwei Leute, die sie fast alle kennen: Andreas Hülsen und
Cornelia Leukert sind Laufbahnberater und Umfeldmanager, ein wenig
bekannter, aber bedeutender Job. Sie begleiten die Athleten als Wanderer
zwischen Sportblase und Außenwelt.
„Unser Ziel ist es, Spitzensport zu ermöglichen, ohne das Berufliche
hintanzustellen“, sagt Hülsen. Anders gesagt: Die beiden helfen Athleten,
vor lauter Sport nicht das restliche Leben zu vergessen. „Unsere
Hauptaufgabe ist es, Träume wahr werden zu lassen“, so Hülsen. Eine
Top-Athletin möchte nebenher Architektur studieren? Hülsen und Leukert
versuchen, es möglich zu machen. Ein junger Sportler hat eine Mathearbeit
verhauen und braucht Nachhilfe? Hülsen und Leukert helfen bei der
Organisation. Es ist ein Drahtseilakt: Der Leistungssport verlangt viel,
und ein Beachvolleyballer, der sechs Monate im Jahr unterwegs ist, könne
kaum nebenher ein Studium mit Laborarbeit machen, erklärt Leukert. „Aber
wenn jemand das unbedingt will, versuchen wir, es zu organisieren.“
## Chaotische Jahre
In schwierigen Phasen treffen Leukert und Hülsen die Sportler mehrfach im
Monat. Die danken es ihnen mit Kontakt oft weit über das Karriereende
hinaus – und mit fleißigem Postkartenschreiben: Im Flur auf dem Weg zum
Olympiazimmer hängen hunderte, gesendet von den Olympischen Spielen, dem
großen Sehnsuchtsziel sich schindender Sportler.
Nicht immer war das Konzept der Sportförderung ganzheitlich angelegt.
Cornelia Leukert, seit 1992 als Laufbahnberaterin am Olympiastützpunkt
Berlin, erinnert sich an die chaotischen Neunziger: „Als ich hier anfing,
hatten Sportler Angst vor dem normalen Leben. Um sie herum ist alles
zusammengebrochen, die Eltern haben ihren Arbeitsplatz verloren, die
Fördersysteme der DDR waren kollabiert. Sie hatten Angst, mit dem Sport
aufzuhören.“ Heute gebe es solche Ängste nicht mehr.
Eine so intensive Begleitung geschieht nicht ganz selbstlos: Gerade bei
Randsportarten ist die Verbindung von Leistungssport und Beruf im
europäischen Ausland oft besser geregelt als in Deutschland, was sich
mitunter, etwa im Fechten, in den sportlichen Ergebnissen niederschlägt.
Die Olympiastützpunkte legen also im eigenen Interesse nach. „Die Angebote
für Karriereplanung wurden immer weiter ausgebaut“, so Leukert. Seit drei
Jahren sei in Berlin jeder Sportler, der in einen C-Kader aufgenommen wird,
zu einem Erstgespräch mit den Beratern verpflichtet. Da hätten sich aber
die meisten sowieso schon für die Sportkarriere entschieden, ergänzt
Andreas Hülsen: „In dieser Phase bricht man nicht ab.“ Zu mühsam war der
Kampf nach oben, zu groß die Hoffnung auf Ruhm und Edelmetall.
Dieser Weg nach oben aber verläuft in den meisten olympischen Sportarten
völlig anders als etwa in einem Fußballverein. Während dort Scouts nach
Talenten suchen, werden diese im Sportforum meist von ihren Trainern
entdeckt. Wer eignet sich für den Spitzensport und wer fällt durch? Es ist
eine harte Auslese, und sie findet je nach Sportart in unterschiedlichen
Altersklassen statt. „Die meisten Turner, die zu uns kommen, sind erst 13
oder 14 Jahre alt, viele Segler hingegen schon volljährig“, so Leukert.
## Kühle Währung Edelmetall
Insgesamt 23 Sportarten sind in Berlin als Schwerpunktsportarten definiert.
Jeder Olympiastützpunkt in Deutschland hat seine eigenen Schwerpunkte,
entsprechend dem Know-how und bisherigen Erfolgen. Unveränderlich sind sie
nicht: Alle vier Jahre, immer nach den Olympischen Spielen, werden die
Schwerpunktsportarten neu definiert. Die Währung fürs Weitermachen ist
kühl: Edelmetall im Wettkampf. Wenn Erfolge ausbleiben, kann der Rang als
Bundesstützpunkt entzogen werden. Wie zum Beispiel beim Boxen und
Gewichtheben, die sich, so erzählen sie beim OSP, ihren Platz erst wieder
neu erarbeiten mussten. Wer also eine gesicherte Zukunft haben will, sollte
am besten in Sachen Medaillen gute Zahlen vorlegen können.
Martin Wondra ist Herr über diese Zahlen. Er ist Verwaltungsleiter beim OSP
Berlin und hat die Übersicht über die Erfolge der letzten Jahre. „Ist ja
kein Geheimnis“, sagt er. Seine Tabelle macht sie sichtbar, die
gravierenden Unterschiede zwischen den Schwerpunktsportarten: Im Volleyball
etwa fielen für die Athleten des OSP zwischen 2012 und 2015 gerade mal zwei
Medaillen in Wettkämpfen ab – beim Rudern hingegen, einer der Berliner
Parade-Sportarten, waren es im selben Zeitraum 34. Insgesamt holten
BerlinerInnen in den letzten vier Jahren 216 Medaillen in olympischen und
74 Medaillen in paralympischen Sportarten. Bei den aktuellen Olympischen
Spielen kam zwischenzeitlich jede vierte Medaille aus Berlin – damit
schmückt sich auch Sportsenator Frank Henkel gern.
Den Erfolg lassen sich Land und Bund einiges kosten. Im Jahr 2016 habe der
Olympiastützpunkt Berlin Zuwendungen in Höhe von 4,9 Millionen Euro
erhalten, so Wondra. „Daraus werden unter anderem die Gehälter der
Mitarbeiter, Sachausgaben, Mittel für Projekte und OSP-Trainer finanziert.“
Mit 4,22 Millionen Euro trägt der Bund den größten Anteil, das Land Berlin
steuert rund 680.000 Euro bei. Zusätzlich stellt das Land Büro- und
Trainingsflächen kostenfrei zur Verfügung. Davon profitieren
OSP-Angestellte wie die Laufbahnberater im Sportforum.
## Team statt Traum
Cornelia Leukert und Andreas Hülsen kennen sie alle: Die, deren Laufbahn
sich in viele Stücke Edelmetall in Wondras Tabelle verwandelt hat. Und die,
die es trotz allen Einsatzes zu nichts Zählbarem brachten. „Irgendwann
kommt eine Bilanzierungsphase“, so Hülsen, „und dann merken einige: Ich
werde jetzt nicht mehr Olympiasieger, ich schaffe meinen Traum nicht.“ Doch
die gescheiterten Athleten würden etwas mitnehmen. „Unsere Sportler sind
viel reifer und strukturierter als die meisten Altersgenossen“, so Leukert.
„Sie sind teamfähig und sie geben nicht direkt nach der ersten Niederlage
auf. Das erkennen zunehmend auch die Firmen.“
Wirklich abgerutscht sei nach der Karriere keiner. Hat jemand die
Entscheidung zur Sportkarriere bereut? Die verpasste Freizeit, die
Schinderei? Leukert und Hülsen beteuern, niemanden zu kennen. Es sei die
Erfahrung, die zähle. „Es geht nicht nur um Medaillen“, sagt Andreas
Hülsen. „Auch wenn unser System danach abrechnet.“
18 Aug 2016
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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