# taz.de -- Berliner Olympionikin Betty Heidler: Der Wille, sich zu quälen | |
> In Rio de Janeiro beendet Betty Heidler ihre internationale Karriere, | |
> vielleicht nochmal mit Edelmetall. Das Zeug dazu hat die Hammerwerferin. | |
Bild: Wirft schweigend: Betty Heidler | |
Das Arbeitsgerät von Betty Heidler wiegt 3 Kilogramm, gefühlt sind es | |
deutlich mehr: eine gusseiserne Kugel an einem wenig flexiblen Draht. | |
Heidler zieht den Schutzhandschuh an und tritt in den Kreis. Die Senke ist | |
vom letzten Regen noch voll Wasser, aber Heidlers Blick sagt: Wer bis zu 9 | |
Kilo schwere Kugeln wirft, kümmert sich nicht darum, mit dünnen Schuhen in | |
Pfützen zu treten. Wenn das jetzt ein Olympiawurf wäre, was würde sie | |
denken? „Du musst auf so viel achten, du hast keine Zeit zum Denken.“ | |
Sie schwingt den Wurfhammer über dem Kopf, dreht sich mit der Kugel um die | |
eigene Achse, immer schneller, die Bewegungen sind präzise und | |
automatisiert. Den martialischen Tarzan-Gedächtnis-Schrei der männlichen | |
Hammerwerfer stößt sie nicht aus. Sie wirft schweigend. | |
Die Hammerwerferin Betty Heidler ist ein Star ihrer Disziplin: | |
Weltmeisterin 2007, Europameisterin 2010, mit einem Wurf von 79,42 Metern | |
ehemalige Weltrekordhalterin und in Deutschland seit zehn Jahren fast | |
ununterbrochen Serienmeisterin. Sie hat die toughe Ausstrahlung einer, die | |
fast alles gesehen und erlebt hat, und wenn in Rio die Olympischen Spiele | |
beginnen, soll es der Schlussakkord einer vierzehnjährigen Karriere werden: | |
ihr letztes großes Turnier. | |
Sie habe den Zeitpunkt selbst so gewählt, sagt sie: „Ich bin froh, dass ich | |
mir das Ende selbst bestimmen kann. Ich will nicht fremdbestimmt aus dem | |
Ring gehen.“ Sie sei erleichtert, die Mühle des Leistungssports bald hinter | |
sich zu lassen. „Das sind meine vierten Olympischen Spiele. Ich muss nicht | |
traurig sein, dass es keine fünften gibt.“ | |
## Eine der ersten Generation | |
Heidler repräsentiert den Hammerwurf der Frauen wie wenige andere | |
Athletinnen, denn ihre Karriere und die Sportart wuchsen gewissermaßen | |
nebeneinander her. Die Berlinerin gehört zur ersten Generation von Frauen, | |
die überhaupt auf der internationalen Bühne die Kugel werfen durften: Erst | |
seit den achtziger Jahren dürfen Frauen offiziell Hammerwurf betreiben, und | |
erst seit Sydney 2000 ist die Disziplin für Frauen bei Olympia zugelassen. | |
2004 nahm Betty Heidler zum ersten Mal an den Spielen teil. | |
Sie tritt mit diesem Pioniergeist an, den Nachwuchstalente ihrer Disziplin | |
oft nicht mehr verstehen, sie kämpft nicht nur um Medaillen, sondern auch | |
um Anerkennung für ihren Sport. „Die Wahrnehmung von Hammerwerferinnen hat | |
sich auch durch unsere Aktionen verbessert.“ | |
2012 in London etwa trug sie eine Plakette mit der Aufschrift „Support | |
Hammer Throw“; in Interviews warb sie um mehr Unterstützung für die | |
Disziplin. Auch ihre roten Haare seien hilfreich gewesen, sie bekannter zu | |
machen. Es ist eine Gratwanderung für Heidler und ihre Kolleginnen. Die | |
Hammerwerferin Susanne Keil etwa trat im Kleid an, um mehr Medienresonanz | |
zu bekommen. Was ist zu wenig, was zu viel Show? „Ich würde nichts machen, | |
was aufgesetzt ist, mir die Haare bunt färben oder mich krass tätowieren.“ | |
Entscheidend für Bekanntheit seien ja immer noch die Erfolge. Und die hatte | |
sie in ihrer Karriere reichlich: allein elf deutsche Meistertitel, davon | |
neun hintereinander. Heidlers Dominanz zeigt aber auch etwas anderes: Den | |
deutschen Hammerwerferinnen fehlt es an Klasse in der Breite. | |
Zwar befindet Betty Heidler, der Leistungsabstand zu anderen Athletinnen | |
sei gar nicht so groß. Doch auch sie gesteht ein, dass nach ihrem | |
Karriereende die Hammerwerferinnen ein Nachwuchsproblem haben werden: „Es | |
ist heute schwer, Mädchen für Hammerwurf zu begeistern.“ Als sie selbst mit | |
15 Jahren durch Zufall zur Disziplin kam, war sie für eine Karriere | |
eigentlich schon zu spät dran. Doch Heidler kompensierte durch Ehrgeiz und | |
Hingabe, was an Erfahrung fehlte. | |
Sie zog in Berlin ins Sportinternat, dann mit gerade 18 Jahren gegen den | |
Willen der Eltern ins 600 Kilometer entfernte Frankfurt/Main. „So jung so | |
weit von zu Hause weg zu gehen war nicht leicht, und es war nicht schön.“ | |
Die heutigen Talente seien oft nicht mehr bereit, so viel zu opfern: „Es | |
fehlt der Wille, sich zu quälen.“ | |
## Nichts für Ballerinas | |
Denn Hammerwurf ist in vielerlei Hinsicht eine anspruchsvolle Disziplin. | |
„Wir trainieren im Kraftraum wie ein Gewichtheber und im Stadion wie ein | |
Sprinter, und dazu trainieren wir Hammerwurf im Ring“, sagt Heidler. Das | |
gehe nicht mit der Figur einer Ballerina. „Mir ist ein Mädchen in | |
Erinnerung, die gesagt hat: Ich will nicht Hammerwerferin werden, wenn ich | |
später so aussehe wie Betty Heidler“, erzählt sie. Das hat sie getroffen. | |
„Natürlich bin ich nicht schmal, ich bin kräftig. Aber das gehört zum | |
Hammerwurf dazu.“ | |
Rational kann sie es nachvollziehen, dass vielen jungen Frauen ihre Figur | |
wichtig sei. Sie selbst aber habe sich darüber wenige Gedanken gemacht. | |
„Der Hammerwurf hat mir so viel gegeben, mein Leben so bereichert. Ich habe | |
es nie bereut.“ | |
In Rio soll der letzte Höhepunkt folgen, nach Möglichkeit mit Medaille. Ein | |
neuer Weltrekord sei theoretisch drin, so Heidler, aber sie wolle sich da | |
nicht unter Druck setzen. „Ich will einfach den Wettkampf genießen.“ Danach | |
noch eine Saison in Deutschland, dann ist Schluss. Betty Heidler will ihr | |
Jurastudium weitermachen und parallel bei der Bundespolizei arbeiten. Und | |
sie freut sich darauf, zum ersten Mal seit Jahren Freizeit zu haben. Den | |
Hammer wird sie wohl nicht mal mehr als Hobby werfen. | |
2 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Olympische Spiele 2021 | |
Schwerpunkt Olympische Spiele 2021 | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Olympische Spiele 2021 | |
Basketball | |
Schwerpunkt Olympische Spiele 2021 | |
Rio de Janeiro | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Athletenförderung in Berlin: Beistand auf dem Weg zum Gold | |
Der Olympiastützpunkt Berlin fördert die Athleten-Elite von heute und | |
morgen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die beiden Laufbahnberater. | |
Kommentar Flüchtlingsteam bei Olympia: Hoffentlich mehr als Kitsch | |
Das IOC lässt in Rio erstmals ein „Flüchtlingsteam“ antreten – eine sch… | |
Geste, um Aufmerksamkeit zu schaffen. Es fehlt an Konsequenzen. | |
Flüchtlingsteam bei Olympia: Im warmen Licht der Wohltat | |
Das IOC stellt zwei Tage vor Beginn der Sommerspiele das Team Refugee vor. | |
Die Flüchtlinge sollen helfen, das angeschlagene Image aufzubessern. | |
Kolumne American Pie: Verloren in der Tiefe | |
Die Ausnahmebasketballspielerin Candace Parker wurde nicht für die | |
Olympischen Spiele in Rio nominiert. Das befördert Verschwörungstheorien. | |
Verdreckte olympische Sportstätte: Voll die Seuche | |
In der Guanabarabucht, einer Müllkippe im Meer, segeln bald Athleten um | |
Medaillen. Umweltaktivisten beklagen das Versagen der Stadtregierung. | |
Vor den Spielen in Rio de Janeiro: Aktionstage gegen Olympia starten | |
Im Zentrum der Kritik stehen die hohen Kosten und | |
Menschenrechtsverletzungen bei der Vorbereitung. Auch während der Spiele | |
selbst sind Demos angekündigt. |