| # taz.de -- Kulturrevolution in China: Aus Trümmern zum Turbokapitalismus | |
| > Maos Bewegung prägt die chinesische Gesellschaft bis heute. Der Sinologe | |
| > Daniel Leese erklärt in seinem Büchlein ihre Ursachen und Folgen. | |
| Bild: Mao Zedongs sichtbarer Einfluss: Statue in Wuhan, China | |
| Die chinesische Kulturrevolution fand im Wortsinne vor den Augen der | |
| Weltöffentlichkeit statt, ohne jedoch den Blick hinter die Kulissen | |
| freizugeben. Ihr Bild wird bis heute dominiert von den Massenaufmärschen | |
| junger Schüler und Studenten zwischen 1966 und 1968, die im Auftrage Mao | |
| Zedongs diejenigen, „die den kapitalistischen Weg einschlugen“, aus ihren | |
| Ämtern vertreiben wollten. | |
| Die Kulturrevolution bekam das Image einer antibürokratischen | |
| Massenbewegung, die in einer Orgie von Denunziationen, gewalttätigen | |
| Volkstribunalen und bewaffneten Fraktionskämpfen endete. Die Unruhen | |
| dauerten bis zum Tode Maos 1976 an. Die Repression abseits der | |
| Öffentlichkeit in den ländlichen Regionen durch neu gebildete | |
| Revolutionskomitees nach 1968 forderte noch weit mehr Opfer als der | |
| spektakuläre städtische Terror der Roten Garden. Zwischen 1,5 und 1,8 | |
| Millionen Menschen wurden getötet, 22 bis 30 Millionen verfolgt. | |
| „Rebellion ist gerechtfertigt!“ Mit dieser für einen Kommunisten an der | |
| Macht unerhörten Parole hatte Mao die innerparteilichen Machtkämpfe auf die | |
| Straße getragen. Das Land hatte seit dem Zweiten Weltkrieg und Bürgerkrieg | |
| einige existenzielle Katastrophen durchlitten. | |
| Die Kampagne des „Großen Sprungs nach vorn“ 1958 bis 1961, die das | |
| Verhältnis von Stadt und Land in der größten Agrarwirtschaft der Erde | |
| umstürzen sollte, endete in der fürchterlichsten Hungersnot der | |
| Menschheitsgeschichte, bei der bis zu 40 Millionen Menschen umkamen. Die | |
| kommunistische Propaganda versuchte das Elend auf eine Kette von | |
| Naturkatastrophen zurückzuführen; aber in den Spitzen der Partei wurde Mao | |
| Zedong verantwortlich gemacht. | |
| ## „Ochsenmäuler und Schlangengezücht“ | |
| Mao begann ein politisches Hazardspiel. Die chinesische Kultur mit ihrer | |
| Verehrung für Alter, Tradition und Autorität machte er als Haupthindernis | |
| auf dem Weg zur klassenlosen Gesellschaft aus. Seine Kampagne begann mit | |
| einer Theaterkritik, führte zu Protesten gegen Autoritäten an Schulen und | |
| Hochschulen und richtete sich dann gegen missliebige Parteifunktionäre, die | |
| als „Ochsenmäuler und Schlangengezücht“ angeprangert wurden. Maos Strateg… | |
| hätte nicht die Jugend in Bewegung setzen können, wenn es nicht eine weit | |
| verbreitete Unzufriedenheit in der Gesellschaft gegeben hätte. | |
| Unzufrieden waren nicht nur die Jugendlichen in den hierarchischen | |
| Bildungsinstitutionen. Die ländliche Bevölkerung musste froh sein, wenn die | |
| eiserne Reisschüssel gefüllt war. Bildung war für sie unerreichbar. Das | |
| bekamen die rebellischen Studenten zu spüren, als sie nach 1968 zur | |
| Disziplinierung auf das Land abkommandiert wurden. | |
| Mao nannte sein Unternehmen „Große Proletarische Kulturrevolution“; doch | |
| als die Bewegung tatsächlich die Fabriken erreichte, drohten die Konflikte | |
| unter den Arbeitern in einen Bürgerkrieg umzuschlagen. Immer wieder musste | |
| die Armee, deren Kommandant Lin Biao den Personenkult um Mao auf die Spitze | |
| trieb, eingreifen. | |
| Dem Freiburger Sinologen Daniel Leese gelingt es auf 128 Seiten, die | |
| komplexen Geschehnisse der Kulturrevolution eindringlich vor Augen zu | |
| führen. Sicher kommen die Besonderheiten der chinesischen Kultur und des | |
| sinisierten Marxismus, ohne den der Maoismus nicht zu begreifen ist, etwas | |
| zu kurz. | |
| Nicht zu übersehen ist der Hinweis, dass die heutige Generation von | |
| Parteiführern in die unübersichtlichen Kämpfe der Roten Garden verwickelt | |
| war. Der chinesische Turbokapitalismus ist auf den politischen Trümmern der | |
| Kulturrevolution errichtet worden. | |
| 17 Aug 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Detlev Claussen | |
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