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# taz.de -- Jubiläum in der Szene: „Fußball hat uns den Arsch gerettet“
> Am Wochenende blickt Hamburgs Musikklub „Knust“ auf 40 gute, schlechte
> und am Ende doch wieder gute Jahre zurück. Eine Begegnung
Bild: Klare Zuständigkeiten: Dirk Matze bucht die Bands, Karsten Schölermann …
HAMBURG taz | Im Innenhof steht das Schlagzeug. Die Bänke und Stühle sind
aufgestellt, die Boxen warten auf der flachen Bühne. Es ist Mittwochabend,
um 18 Uhr startet die Knust Acoustics Sommersession 2016. Umsonst und
draußen, den ganzen Sommer lang. „Die Nachbarn sind entspannt“, sagt
Karsten Schölermann, einer der Betreiber des Hamburger Musikklubs „Knust“
und zeigt auf die Bauten, die den Innenhof säumen. Agenturen und
Plattenlabels sitzen dort. Dass die Nachbarn so entspannt sind, liegt auch
daran, dass die Musiker erst um 17.30 Uhr ihre Instrumente stimmen, bis
dahin ist Ruhe. Ist das Wetter durchwachsen, kommen 300 bis 400 Gäste. Bei
Sonne sind es 1.000.
Karsten Schölermanns Knust-Leben beginnt 1977: Er ist 17 Jahre alt und
tritt regelmäßig mit einem Schulfreund im Knust auf. Sie spielen Boogie
Woogie. Eintritt wird nicht genommen. „Für einen Abend gab es 30 Mark, 20
für meinen Kumpel, zehn für mich.“ Sechs Jahre später steigt Schölermann …
den Laden ein: „Der damalige Besitzer hat zu mir gesagt: ‚Du bist ein
schlechter Sänger, aber ein guter Promoter‘ – was nicht von der Hand zu
weisen war.“
Schölermann holt frische Talente ins Haus. Fury in the Slaughterhouse haben
im Knust einer ihrer ersten Auftritte, die Walkabouts schauen vorbei. Björk
Gudmundsdottir tritt auf, mit ihrer damaligen Band Kukl. „Wir mussten sie
pünktlich um 22 Uhr ins Hotel geleiten, sie war ja erst 16 Jahre alt“, sagt
Schölermann. Irgendwann steht das Finanzamt vor der Tür, will die
Unterlagen prüfen. Danach ist das Knust seine Konzession los.
Doch es gibt noch den Mietvertrag für das Souterrain in dem
wuchtig-hanseatischen Haus an der Brandstwiete, gleich beim Hamburger
Hafen. Aber was tun, wenn man keine Konzerte veranstalten kann? Die
Antwort: Engtanzfeten. „Ich kannte das aus der Schuldisco: drei schnelle
Stücke, drei langsame Stücke, immer abwechselnd“, sagt Schölermann. Diese
Feten kommen ganz gut an. Der NDR berichtet und die Engtanzfeten werden
weit über Hamburg hinaus das Markenzeichen des einstigen Konzertladens.
Zwei Jahre gibt es nur Engtanz, dann sind die Steuerschulden abgezahlt, die
ersten Konzerte können wieder veranstaltet werden. Der Klub taucht in
ruhiges Fahrwasser ein. Bis das Gebäude abgerissen werden soll. Am 31. 12.
2001 ist Schluss.
Fast anderthalb Jahre ist Schölermann unterwegs, schaut sich diverse
Räumlichkeiten an. Schließlich bietet man ihm und seinen Mitstreitern die
Räume in dem sanierten Teil des Hamburger Schlachthofs im Stadtteil St.
Pauli an. „Da hatten sich schon drei Leute dran versucht, mit einem
Restaurant, mit einem Technoklub, und waren pleite gegangen.“ Schölermann
und sein Team schlagen zu.
78.000 Euro gibt von der Stadt als Umzugshilfe. Die sind binnen Wochen
aufgebraucht: Parkplätze, Fluchtwege, Toiletten für die Mitarbeiter. Immer,
wenn es so aussieht, als seien die Auflagen erfüllt, entdecken die Behörden
eine neue Bauvorschrift. Bis Schölermann eine Art Brandbrief schreibt und
den Widerspruch zwischen städtisch gewünschter Klubkultur und behördlicher
Erschwerungspolitik thematisiert. „Heute gehen die Politiker anders mit uns
um.“
Finanziell geht es mal gut, mal nicht so gut. Und als es mal wieder gar
nicht so gut geht, kommt man auf eine ähnlich geniale Idee wie die mit den
Engtanzfeten Anfang der 80er: 2004 ist Europameisterschaft und der
benachbarte FC St. Pauli stabilisiert sich nach Krisen über Krisen wieder.
Schölermann beginnt damit, im Innenhof kostenlos Fußball zu übertragen.
„Der Fußball hat uns den Arsch gerettet“, sagt er. Seitdem gehören die
Übertragungen der Auswärtsspiele des Klubs nicht nur zum finanziellen
Fundament, sondern sind in ihrer Schlichtheit auch Garant des heutigen
Knust-Lifestyle: „Früher haben die Leute gesagt: ‚Wie – dazu nur Bratwur…
und Bier?‘, heute sagen sie: ‚Ey cool – Bratwurst und Bier!‘.“ So geh…
So sind sie gut durch die vergangenen Jahre gekommen. Und die Arbeit geht
ja nicht aus: Neue Stars sind zu entdecken und zu fördern – wie der
Flensburger Tom Klose, der anfangs im Innenhof vor 20 Leuten spielte und im
September den Saal mit bis zu 500 Leuten füllen wird. Wie das Hamburger Duo
Liza & Kay, das auf einem ähnlichen guten Weg sei, den das Geschwisterduo
Boy bei ihnen gegangen sei. Auch die alten Recken schauen oft vorbei, wie
demnächst The Buzzcocks, wirkliches Punkurgestein.
Gerade erst trat der viel beachtete Yello Biafra auf, der Sänger der
legendären The Dead Kennedys. Wurde voll, war ausverkauft, war auch ein
gutes Konzert. Aber das Publikum! Dirk Matzke, der Booker des Hauses, kommt
hinzu, setzt sich, zeigt auf das Aufnahmegerät, bitte mal kurz ausschalten.
Er erzählt, was das für ein Publikum war. Nur so viel: Es gebe so Leute,
die ziehen sich einmal im Jahr wieder ihre Lederjacke an. Matzke schnaubt
durch die Nase.
Okay, das nervt vielleicht, aber das macht ihnen keine Sorgen. Sorgen macht
ihnen schon eher der Nachwuchs. „Die wertkonservative Schülerkapelle mit
Schlagzeug, Bass, Klavier und Gitarre, die sich mal vor Publikum
ausprobieren will, ist weniger geworden. Die Leute wollen gleich in
Sendungen wie ‚Sing my song‘“, sagt Schölermann. Daher sind sie beim Knu…
gefordert, immer neue Formate zu erproben. „Ein Klub wie der unsrige kann
sich nicht auf eine Musikfarbe konzentrieren.“
Und klar, dass sei hier St. Pauli. Nicht Reeperbahn, aber mittendrin. Mit
allen Chancen und Problemen. Neulich mussten sie im Innenhof eine
Absperrung aufbauen. Für oder besser gegen die Pfandsammler. „Es geht
nicht, dass die Pfandsammler den Leuten ihre Becher vom Mund wegnehmen“,
sagt Schölermann. Die Becher werden mit einem Euro beliehen, das ist schon
eine andere Nummer als eine Pfandflasche für acht oder auch für 15 Cent.
Was denn die Höhepunkte in den 40 Jahren Knust waren? „Bei mir gibt’s
vieles“, will Dirk Matzke sich nicht festlegen. Schölermann geht zurück in
die frühen 80er. Nennt die Band Die Da: „Weitaus besser als Nena, bessere
Songs, bessere Texte.“ Haben sich nicht durchgesetzt, ihr Sänger Andreas
Müller, der als Radiomann Karriere gemacht hat, ist vor einem Monat
gestorben. Und die beiden Projekte Tim und Die Bietels von Jon Flemming
Olsen fallen ihm ein. Und dann neulich, also ist schon etwas länger her,
bei dem Konzert von Johannes Oerding, als Ina Müller zu ihm auf die Bühne
kam und die beiden „De Klock is dree“ gesungen haben: „Ich habe erst Tage
hinterher begriffen, was das für ein besonderer, einmaliger Konzertmoment
gewesen ist“, sagt Schölermann.
So könnten sie jetzt Stunden erzählen und sich in ihren Einschätzungen
einig oder nicht einig sein. Aber es ist ja noch was vorzubereiten,
draußen, das Konzert. Eine Stunde noch, dann geht es los. Schölermann und
Matzke gehen nach draußen, für ein Foto, schauen in den grauen Himmel. Kann
sein, dass es regnet. Kann sein, dass nicht.
5 Aug 2016
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Szene
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Pop
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St. Pauli.
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