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# taz.de -- Regisseur über Hass im Internet: „Ein Trainingscamp der Radikali…
> Der Theatermacher Arne Vogelgesang untersucht die Strukturen des
> Hate-Entertainments von Rechten und Dschihadisten im Netz – anhand
> ästhetischer Strategien.
Bild: Im Kontext radikaler Propaganda ist Arne Vogelgesang zurückhaltend mit F…
Enthauptungsvideos, Bilder von Angela Merkel auf dem Scheiterhaufen und vom
Waffeneinsatz gegen Geflüchtete – die sogenannten sozialen Medien sind voll
von Hass und Gewalt. Arne Vogelgesang, Mitbegründer der Performancegruppe
[1][internil], begann vor einigen Jahren mit Recherchen zum Terrornetzwerk
NSU und zum norwegischen Attentäter Anders Breivik, weitete seine
Beobachtungen dann auch auf die dschihadistische Szene aus. Für die taz
beschreibt er ästhetische Strategien der Mobilisierung durch Bilder von
Hass und Gewalt und die Wechselwirkungen von Online- und Offlinewelt.
taz: Herr Vogelgesang, Sie beobachten im Internet viele Formen von Hate
Entertainment. Welche Formate fallen Ihnen besonders auf?
Arne Vogelgesang: Der Begriff legt ja schon nahe, dass es um eine
Verschmelzung von menschenfeindlicher Propaganda mit Unterhaltungsformaten
geht. Das Spektrum ist groß und koppelt an die komplette Palette von
popkulturellem Entertainment an, die im Netz zur Verfügung steht. Es
beginnt bei Bildern und Memes oder simplen YouTube-Hassbotschaften
Einzelner, geht weiter über Mobilisierungstrailer bis hin zu größeren
Features, wie sie vor allem der IS produziert.
Welche Erzählstrategien werden benutzt?
Das ist schwer zu generalisieren. Ein wesentlicher Aspekt in der rechten
Szene ist es zum Beispiel, die Bürger-Position zu reklamieren. Da wird viel
mit Klarnamen, Gesichtern und Biografie operiert. Das soll suggerieren:
Hier sagt ein ganz normaler Bürger einfach seine Meinung. Das geht dann
schnell in eine Schwundform des Märtyrertums über. Denn je heftiger die
Hetzparolen werden, desto mehr kann der Einzelne auf Repression hoffen, die
wiederum zeigt, wie schlecht das System ist, gegen das er arbeitet. So kann
er sich etwas als Märtyrer fühlen.
Diese Schwundstufe von Märtyrertum ist interessant. In der
Dschihadistenszene gehört das echte Märtyrersein ja integral zum
Propaganda-Diskurs. Wo sehen Sie da die Unterschiede?
Bei den Dschihadisten gibt es eine spezielle Beziehung zu Krieg und zu Tod.
Es handelt sich dabei aber um einen realen Krieg und nicht um die typischen
rechtsradikalen Bürgerkriegsfantasien im eigenen Land. Generell ist das
Märtyrersein auf der virtuellen Ebene billiger zu haben. Wenn der eine
Account gelöscht ist, eröffnet man einfach einen neuen. Ich habe aber den
Eindruck, dass die Bereitschaft zur realen Selbstaufopferung auch bei den
westlichen Rechten steigt.
Welche Körperbilder fallen auf?
Bei den Dschihadisten ist es der männliche Körper; der weibliche darf ja
nicht auftauchen. Die einschlägigen Klischees werden offensiv bedient:
militärische oder religiöse Kluft, Waffe, Bart und in die Höhe gestreckter
Finger. Was ich interessant finde: Es sind in der Regel recht offene
Körper. Es wird viel gelächelt. Man hat das Gefühl, die Leute sind nicht
körperlich gepanzert gegen die Welt, sondern nur mental. Dschihadistische
Propaganda berauscht sich auch nicht so am Hass wie etwa Teile der Rechten.
In den zahlreichen Enthauptungsvideos steckt doch aber viel
Vernichtungsfreude?
Ja, es werden Menschen systematisch brutal getötet. Aber diese Videos sind
nicht über Hass aufgebaut, sondern über den Moment des Strafens. Das ist
eher technisch, wie bei Werbefilmen für Schusswaffen, in denen auch
permanent rumgeballert wird, ohne dass Hass im Spiel ist. Das ist sehr
bewusst und ästhetisch geführt. Die Bilder besorgter deutscher Patrioten,
auf denen Politiker am Galgen baumeln, funktionieren hingegen ganz klar
über Hassentladung.
Welche Körperbilder gibt es bei den Rechten?
Das Feld ist aufgesplittert. Die „identitäre Bewegung“ versucht den
Hipster-Körper zu instrumentalisieren und zu martialisieren. Man sitzt
offen mit dem Macbook herum, klettert auch mal aufs Burgtheater, um da ein
Transparent zu entrollen, und filmt sich dabei mit der GoPro. Das ist ein
Spiel mit der Ästhetik der Linken – wie überhaupt die Rechte diskursiv und
ästhetisch viel von der Linken gelernt hat. Dieser hippe Guerilla-Körper
wird dann allerdings mit Flaggen in den Demo-Zug eingeordnet und so im
Identitäts-Kollektiv organisiert.
Eher am Bild des Berserkers orientieren sich Leute aus dem Neonazi-,
Hooligan- und Rocker-Milieu. Sie sind bereit, mit dem Baseballschläger
zuzuschlagen. Das gilt für Männer wie Frauen. Da ist eine große Panzerung.
Bei Pegida wiederum herrscht der deutsche Durchschnittskörper. Das sind
meist etwas ältere Männer und Frauen. Symptomatisch ist eine gewisse
Verschlossenheit und Lustlosigkeit.
Welche Zukunftsbilder zeichnen die einzelnen Szenen?
Bei den Dschihadisten natürlich das globale Kalifat. Beim „Islamischen
Staat“ kippt das aber in eine Endzeitstimmung. Zukunft erschöpft sich
darin, dass sich die Kräfte des Lichts und der Finsternis in einem kleinen
Dorf eine Schlacht liefern und am Ende alle tot sind.
Statt Erlösung also Arma geddon, Weltuntergang?
Das ist eine Form der Erlösung. Auch im Christentum bedeutet Armageddon ja
die Befreiung der Seelen aus den Körpern, das Erreichen einer neuen Ebene.
Da unterscheidet sich der IS gar nicht so viel von den christlichen
Endzeitsekten oder den rechten Esoterikern. Das eigene Ablaufdatum ist
Teil des ideologischen Prinzips.
Bei der „normalen“ patriotischen Rechten hingegen gibt es eine Mischung aus
revolutionärer Dynamik und konservativem Gehalt. Emblematisch ist der Sturm
auf den Reichstag, der wieder abgebrannt wird. Was danach kommen soll,
wissen die Leute allerdings nicht so genau. Es soll alles nur so werden,
wie es früher mal war, früher in den 50er Jahren.
Da wird also im Netz die Prä-Internet-Ära herbeifantasiert. Wie korrelieren
diese virtuellen Fantasien mit realen politischen Dynamiken?
Im Netz wird das Soziale repräsentiert und damit auch modelliert. Viele
dieser virtuellen Strukturen sind eine Art Trainingscamp. Man kann
bestimmte Argumentationen durch dauernde Wiederholung regelrecht einüben.
Das Teilen von Bildern etwa, die die Bundeskanzlerin auf dem Scheiterhaufen
zeigen oder auf denen, als läge man in Großvaters Schützengraben, Feinde
mit Waffen „abgewehrt“ werden, geht vielen sehr leicht von der Hand. Denn
dafür bekommt man Likes in der Peergroup wie andere für Katzenvideos. In
diesen Bildern steckt aber eben auch ein Handlungsvorschlag.
Wie lange sind Akteure zunächst in diesem virtuellen Echoraum unterwegs,
bevor sie gewalttätige Aktionen in der Offlinewelt unternehmen?
Das ist eine Geheimdienstfrage. Eine generelle Antwort gibt es nicht. Nicht
jeder, der großen Spaß daran hat, Bilder von Merkel auf dem Scheiterhaufen
zu posten, würde auch hingehen und das Feuer entfachen. Aber vielleicht
würde er hingehen und applaudieren. Nicht jeder, der Spaß an der Produktion
solcher Waffenbilder hat, schießt auf Unterkünfte von Geflüchteten. Hetzer
und Ausführer sind oft verschiedene Typen.
Ein Effekt ist aber immer, dass diese Bilder sich verbreiten und normaler
werden. Das bedeutet auch, dass man nicht mehr sagen kann, dass es sich,
wenn Einzelne jemanden abknallen, nur um einsame Wölfe handle. Die sind
aufgehoben in einem Kontext. Und ihre gewalttätige Aktion funktioniert für
die anderen wiederum als Beweis, wie schlimm das schon in der Gesellschaft
geworden ist, dass Einzelne das wirklich machen. So schließt sich der
Kreis.
Haben Sie bei sich aufgrund Ihrer täglichen Streifzüge in diesen virtuellen
Hass-Territorien schon Veränderungen festgestellt?
Natürlich beeinflusst es mich. Das landet ja alles im eigenen System. Ich
verarbeite das aber künstlerisch. Und manchmal hilft der Realitätsabgleich
mit der Offlinewelt. Da sieht man dann, dass viele Leute immer noch
freundlich und zivil unterwegs sind, während es sich online anfühlt, als
würde schon der Bürgerkrieg toben.
12 Jul 2016
## LINKS
[1] http://www.internil.net/
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
Internet
Hass
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