# taz.de -- EMtaz: Nach der Halbfinal-Niederlage: Was heißt hier „tolle Mann… | |
> Das EM-Fazit von Trainer Joachim Löw lautet: „eine tolle Mannschaft“. | |
> Dabei wird Deutschland doch gar nicht Europameister. Kann das also sein? | |
Bild: Antoine Griezmann erzielt das 2:0 nach einem Ballverlust der deutschen Ma… | |
MARSEILLE taz | Jetzt ist die Frage selbstverständlich: Woran hat's | |
gelegen? Joachim Löw ist der Meinung, dass es von Menschen unbeeinflussbare | |
Faktoren waren, [1][die in der Nacht von Marseille zum 0:2 gegen Gastgeber | |
Frankreich geführt hat]. Der Fußball-Bundestrainer besteht darauf, dass | |
sein Team im EM-Halbfinale „die bessere Mannschaft“ war, die Didier | |
Deschamps' Franzosen weitestgehend taktisch und körperlich beherrscht habe. | |
Für den Heimflug am Freitag hatte er mit seinem Trainerteam eine | |
Besprechung anberaumt, wann und wo man dieses Turnier analysieren werde. | |
Aber, sagte er noch in Marseille und versuchte dabei einen möglichst | |
entspannten Eindruck zu machen: „Insgesamt wird es eher eine kurze Analyse | |
geben: So viele Fehler habe ich nicht festgestellt bei diesem Turnier.“ | |
Fazit: „Eine tolle Mannschaft.“ | |
Damit ist die nächste Frage: Kommt er damit durch, werden sich Medien und | |
Öffentlichkeit bei ihren Analysen auch so kurz halten und dieser sehr | |
absolut daherkommenden Vorgabe anschließen? | |
Zunächst mal: Es war eine großartige Nacht in Marseille, aber eben am Ende | |
eine großartige französische Nacht. Aus Sicht von Selectionneur Deschamps | |
kann man den Spielverlauf ideal nennen, Konkret: Antoine Griezmanns | |
Führungstreffer per Handelfmeter in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit. | |
Nach einer französischen Ecke war Bastian Schweinsteiger der Ball an die | |
Hand geraten. „Das ist einfach auch Pech“, sagte Löw. War es auch. „Wenn | |
wir mit 0:0 in die Halbzeit gehen, passiert gar nichts“, behauptete | |
Torhüter Manuel Neuer. Selbst die französischen Spieler wie Olivier Giroud | |
sagen, dass „der Elfmeter das Spiel entscheidend verändert hat.“ Davor | |
waren die Deutschen klar in Kontrolle gewesen, das Tor spielte Frankreich | |
extrem in die Hände. | |
## Deutschland fehlt ein Antoine Griezmann | |
Wenn man nun fragt, warum das Team nicht in der Lage war, selbst ein Tor zu | |
schießen, dann betritt man ein weites Feld. Tja. „So ist es manchmal“, | |
sagte Schweinsteiger. Deschamps hatte trotz des Verzichts auf seinen | |
zentralen Mittelfeldspieler N’Golo Kanté alles andere als offensiv | |
gespielt, sondern sehr kompakt gestanden und versucht, die Deutschen in die | |
Falle zu locken und sie mit seinen Umschaltspielern auszukontern. | |
Frankreichs Abwehr ist doch besser, als sie ihre Kritiker gemacht haben. | |
Und die Deutschen mussten höllisch aufpassen. | |
Zum anderen waren die Möglichkeiten des ersatzgeschwächten Teams ohne | |
Khedira, Gomez und vor allem auch Hummels doch begrenzter als erhofft. Es | |
reichte für Dominanz mit breit aufgezogenem Ballbesitzspiel, aber nicht für | |
die Klasse, die es gebraucht hätte, einen Rückstand zu drehen. | |
Es fängt damit an, dass Hummels-Vertreter Benedikt Höwedes zwar gegen | |
Giroud das großartigste Tackling gelang, seit Frank de Boer 1998 im | |
WM-Halbfinale an gleicher Stelle gegen Brasiliens Ronaldo rettete. Aber mit | |
dem Ball ist der Schalker nicht zu gebrauchen. Um auf so engem Raum aus dem | |
Spiel heraus Tore zu schießen und gleichzeitig stabil bleiben zu können, | |
müssen sich herausragende Qualitäten so verknüpfen, dass eine Kette | |
entsteht. Und diese Kette entstand nicht. | |
Und dann sind die Deutschen in diesem Turnier eben auch nicht so effizient | |
vor dem Tor gewesen, wie das die Franzosen sind oder genauer gesagt, wie es | |
Antoine Griezmann ist. | |
## Abgehängte Traditionalisten argwöhnen | |
Der Stürmer von Atletico Madrid ist wirklich der herausragende | |
Offensivspieler dieses Turniers. Falls die Frage wirklich offen war, ob es | |
die EM von Dimitri Payet oder Griezmann würde. Sie hat sich erledigt. | |
Griezmann, 25, ist in seiner eigenen Klasse: Schnell, dribbelstark, großes | |
Raumgefühl und dann wirklich klinisch vor dem Torwart. „Eiskalt“ nannte | |
Neuer das. Nicht nur beim Strafstoß, sondern auch beim 2:0 (72.), als er | |
sich genau an die Stelle schlich, an der eine Fehlerkette der Deutschen den | |
Ball landen ließ. | |
Joachim Löw hat die Deutschen nicht nur seit 2006 jedes Mal mindestens ins | |
Halbfinale der großen Turniere geführt. Er hat den deutschen | |
Verbandsfußball transformiert und vor allem die kollektive Idee, wie dieser | |
zu sein habe. Hässlich, aber am Ende siegreich. Seit Löw begründen die | |
Deutschen ihren Fußball mit Ästhetik und Moderne – und gewinnen. Jedenfalls | |
meistens. Und doch oder genau deshalb wird Löw immer noch beargwöhnt, vor | |
allem von den abgehängten Traditionalisten. | |
Er hat es im Verlauf der EM immer wieder geschafft, Probleme zu lösen, | |
personell-positionelle Defizite zu kompensieren und erfolgreiche | |
Variationen seines Spielstils für den entsprechenden Gegner zu finden. | |
Philipp Lahm fehlt, ja. Aber der Witz an Lahm ist nun mal, dass er ein | |
solitärer Spieler ist. Löw hat auch keinen Klose mehr, und er hat Mario | |
Gomez als eine Variante recycelt, und Gomez war eine effektive. (Götze | |
weniger.) Er hat keinen Superdribbler, und Draxler ist das Nächstbeste. Er | |
hat sich vom aktionistischen Flankenschlagen nur wenig anstecken lassen. Er | |
hat die Mühen der Höhe im Griff. In der Regel. | |
## Für Löw ist das Spiel der Franzosen zum Kotzen | |
Die naheliegende Erklärung lautet also, dass im Halbfinale von Marseille | |
einfach zu viel Probleme zusammen kamen. Eine andere Erklärung wäre, dass | |
die permanente Entwicklung des Teams mit dem WM-Titel 2014 an ein Ende | |
gekommen ist oder sogar rückläufig ist. In der Qualifikation war das Team | |
nicht so souverän und spektakulär wie in den Jahren zuvor. Auf der anderen | |
Seite sind die Deutschen in Löws ersten Jahren von Spanien noch klar | |
dominiert worden. Inzwischen wollen sie jedes Spiel dominieren und tun das | |
auch. Und die anderen stehen hinten drin. | |
Löws Hoffnung, dass ab dem EM-Achtelfinale offener Fußball gespielt würde, | |
hat sich nicht erfüllt. Deschamps hatte sich sehr genau überlegt, wie er | |
dem deutschen Dominanzspiel begegnen würde. Und am Ende konnte Toni Kroos | |
keinen entscheidenden Ball durchstecken und Mesut Özil auch nicht. Und die | |
Chancen war auch längst nicht so groß, wie Löw tat. | |
Aber dass selbst die Franzosen nach einer Viertelstunde so tief wie die | |
üblichen Verdächtigen verteidigten, mag ein Grund sein, warum der | |
Bundestrainer bei allem Respekt für Deschamps und dem Wissen, dass Tore | |
zählen, doch ständig insistiert, das bessere Team gehabt zu haben. Er kann | |
so einen Fußball einfach nicht ab. Es erscheint ihm – so war der Eindruck | |
in Marseille – als zu akzeptierender Teil der Unkalkulierbarkeit des | |
Spiels. Aber gleichzeitig könnte er kotzen. | |
Die Deutschen seien immer noch die Besten, sagt Deschamps. Aber nach Paris | |
fahren die Franzosen und die Portugiesen und man wird sehen, wer sich am | |
Sonntag tiefer hinten reinstellt. Durch die Erweiterung auf 24 Teams hat | |
diese EM europäische Teilhabe von bisher ausgeschlossenen Teams und | |
Fußballgesellschaften hergestellt. Der Preis ist, dass das Turnier die | |
Fußballmoderne nicht definiert. Um es mal freundlich zu sagen. | |
Es gab aber auch großartige Spiele. Eines war das 2:0 von Contes Italien | |
über die Spanier. Und das andere war das deutsche 1:1 gegen Italien im | |
Viertelfinale. Das war der Höhepunkt von Löws bisherigem Schaffen. Eine | |
dermaßen reife Leistung hätte man dem Team nicht zugetraut. Das war besser | |
als das 7:1 von Rio 2014, das ihm in den Schoß fiel. Anders als nun gegen | |
Frankreich dominierten die Deutschen die Italiener strategisch auf der | |
ganzen Linie und agierten makellos. | |
Da war wirklich alles am richtigen Platz. Abgesehen von Boatengs Hand. | |
8 Jul 2016 | |
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## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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