# taz.de -- Argentiniens Präsident in Deutschland: Der Unternehmerversteher | |
> Arbeitslosigkeit, Verarmung, Inflation und viele Versprechen: Das ist die | |
> Bilanz Mauricio Macris nach gut einem halben Jahr im Amt. | |
Bild: Lage katastrophal, Präsident beliebt: Mauricio Macri | |
Buenos AirES taz | Argentiniens Präsident Mauricio Macri ist auf Werbetour. | |
Diesen Dienstag trifft er Bundeskanzlerin Kanzlerin Angela Merkel bei einem | |
Arbeitsessen im Kanzleramt. Während die beiden speisen, wird sein | |
Finanzminister potentiellen deutschen Investoren die neue Rechtssicherheit | |
und Finanzierungsbedingungen erläutern und sein Verkehrsminister für | |
geplante Infrastrukturprojekte werben. | |
Langjährige Firmenbeziehungen sind vorhanden. Volkswagen und Mercedes-Benz | |
produzieren im Land, Siemens war einst im Atomkraftwerksbau engagiert. | |
Einen Dollarregen an ausländischen Investitionen hatte Macri seinen | |
Landsleuten zu Beginn seiner Amtszeit im Dezember versprochen. Der ist | |
bisher ausgeblieben. Lediglich kurzfristig angelegtes Spekulationskapital | |
kam ins Land, angelockt von den über 30 Prozent hohen Zinsen, die die | |
Zentralbank verfügt hat. Wer angesichts solcher Zinsschnäppchen in die | |
reale Wirtschaft investieren soll, ist vielen schleierhaft. | |
Mirtha Rawson nippt an ihrem Kaffee. Seitdem ihr Arbeitsvertag als | |
Sachbearbeiterin beim Erziehungsministerium ausgesetzt wurde, kommt sie | |
häufiger ins Café im Hotel Bauen in der Straße Callao in Buenos Aires. | |
„Hier atmet man noch etwas von der kämpferischen Aufbruchsstimmung nach der | |
großen Krise von 2001 ein,“ sagt die 47-jährige. | |
## Macri gewählt, Job verloren | |
Das „Bauen“ war 2003 von seiner Belegschaft besetzt und in Eigenregie | |
übernommen worden. Auf einem Bildschirm in der Ecke flimmert das Bild des | |
Präsidenten. „Meine Stimme habe ich ihm gegeben, aber gewählt habe ich ihn | |
nicht,“ Mirtha zeigt Richtung Fernseher. Wie so viele wollte sie ein Ende | |
der Kirchner-Ära. „Ich hatte deren ideologischen Polarisierungen so satt.“ | |
Da blieb in der Stichwahl nur das Kreuzchen beim ehemaligen Bürgermeister | |
der Hauptstadt Buenos Aires. | |
„Wer auch immer gewonnen hätte, hätte den Gürtel enger geschnallt,“ ist … | |
sich sicher. Dass ihr Macri, kaum im Amt, den Stuhl vor die Tür stellte, | |
hatte sie nicht erwartet. Der öffentliche Dienst wurde als erstes | |
durchforstet. Zahlreiche der hier üblichen Jahresverträge wurden schlicht | |
nicht erneuert, weshalb die Regierung leichtes Spiel hatte. Wie viele | |
Angestellte ihren Arbeitsplätz räumen mussten, ist nicht bekannt, geschätzt | |
wird ihre Zahl auf über 20.000. | |
Noch immer hoffen viele darauf, dass ihre Verträge erneuert werden. So auch | |
Mirtha. „Die Überprüfung läuft und ich bin zuversichtlich.“ | |
Rechtzeitig zur Halbjahresbilanz vermeldet das Arbeitsministerium die | |
ersten Erfolge. Die Zahlen auf dem privaten Arbeitsmarkt seien im Vergleich | |
von April 2015 und April 2016 stabil, mit 0,4 Prozent habe es sogar einen | |
leichten Anstieg gegeben, heißt es in einem kürzlich vorgestellten Bericht. | |
## Mehr Arbeitslosigkeit, sinkende Löhne | |
„Reine Augenwischerei,“ nennt dies Luis Campos. Campos ist Koordinator des | |
Observatoriums der sozialen Rechte der alternativen Central de Trabajadores | |
de la Argentina (CTA). Zwar stimme der Monatsvergleich, aber er | |
verschleiere den Abbau von Arbeitsplätzen seit November 2015, also nach | |
Macris Sieg in der Stichwahl um das Präsidentenamt. „Der Vergleich der | |
letzten beiden Zeiträume von November bis April weist eine Verdopplung der | |
Verluste an Arbeitsplätzen aus,“ so Campos. | |
Ausgeblendet werden zudem der enorme Anstieg der Kurzarbeit und das | |
Verschwinden von Arbeitsplätzen und Jobs im informellen Sektor, in dem rund | |
40 Prozent der Erwerbsfähigen versuchen, ein Einkommen zu erzielen. | |
Noch weitaus dramatischer sei das Sinken der Reallöhne, sagt Campos. Im | |
Durchschnitt werde die Kaufkraft im laufenden Jahr um 10 Prozent | |
zurückgehen, erläutert er. Und dies, obwohl sich nahezu alle Gewerkschaften | |
nicht an die vor der Regierung vorgeschlagene Obergrenze von 25 Prozent | |
Lohnerhöhung gehalten haben. „Nahezu alle Lohnabschlüsse liegen weit über | |
30 Prozent, und dennoch unterhalb der für 2016 vorhergesagten | |
Inflationsrate.“ | |
Seit Macris Amtsantritt ist die Zahl der Armen allein im Großraum Buenos | |
Aires um über 1,7 Millionen Menschen gestiegen. Dabei hatte der Präsident | |
‚Pobreza Cero‘ versprochen, null Armut. | |
## Hohe Zustimmungsraten | |
Macri hatte von Beginn an verkündet, dass die ersten Monate alles andere | |
als rosig werden und sich die Lage erst zum Besseren wenden werde, wenn die | |
versprochenen Investitionen getätigt sind und greifen. | |
Wie sehr vor allem diese Botschaft gegriffen hat, belegt die Anfang Juni | |
gemachte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Poliarquía. Demnach sind | |
zwar nur 19 Prozent der Befragten mit der gegenwärtigen Situation zufrieden | |
und 49 Prozent sind es nicht. Jedoch gehen 58 Prozent davon aus, dass sich | |
die Lage innerhalb der nächsten zwölf Monate deutlich verbessern werde. Nur | |
24 Prozent glauben nicht daran. | |
Der Präsident genießt zudem einen 56-prozentigen Zustimmungswert, auch wenn | |
dieser seit seinem Amtsantritt vor gut sechs Monaten um 15 Punkte gesunken | |
ist. | |
Auf dem Fernsehschirm im Bauen steht eine große „42“. Die laufende | |
Textzeile erklärt: ‚Prognostizierte Inflationsrate für 2016‘. Seit Jahren | |
schon schlagen sich die ArgentinierInnen mit einer Jahresinflationsrate um | |
die 30 Prozent herum. Nach den dramatischen Tariferhöhungen bei Strom, Gas | |
und Wasser im Mai, sowie den jüngsten Fahrpreiserhöhungen im öffentlichen | |
Nachverkehr, setzte jedoch überall eine Preisrallye ein. | |
## „Der Supermarkt der Welt“ | |
Im Hotel Bauen können sie ein Lied davon singen. „Unsere Wasserrechnung für | |
zwei Monate ist von 4.000 Euro auf 12.900 Euro gestiegen,“ sagt Federico | |
Tonarelli, der Vizevorsitzende der Hotelkooperative. „Für Strom zahlen wir | |
jetzt statt 1.720 Euro monatlich 5.400 Euro.“ | |
Auf dem Bildschirm erscheint schon wieder der Präsident. Macri weiht eine | |
argentinisch-französische Düngemittelfabrik in der Provinz Buenos Aires | |
ein. „Es geht nicht nur darum mehr Getreide zu produzieren,“ sagt er ins | |
Mikrofon. „Wir wollen uns in einen Supermarkt der Welt verwandeln. Wir | |
wollen, dass unsere Lebensmittel zu Markennamen werden und mit Wertzuwachs | |
veredelt in die ganze Welt gehen, weil dies die Arbeit im ganzen Land | |
vervielfacht.“ | |
Mirtha Rawson ist skeptisch, ob der versprochene Dollarregen tatsächlich | |
noch kommt. Das Ziel sei doch lediglich eine Öffnung der Ökonomie für den | |
Weltmarkt. Überleben sollen jene, die international konkurrieren können. | |
„In unserem Fall ist das nur die Agrarwirtschaft und einige industrielle | |
Nischen.“ | |
Vizepräsidentin Gabriela Michetti habe neulich davon gesprochen, sie sehe | |
schon die Lichter am Ende des Tunnels. „Eine ihrer Kongressabgeordneten | |
konterte, es könnten auch die Lichter eines entgegenkommenden Zuges sein,“ | |
sagt Mirtha. | |
5 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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