# taz.de -- EMtaz: Mesut Özil, Fußballgott: Der Mann, der keine Tore braucht | |
> Mesut Özil ist der Widerstandskämpfer. Sein Spiel ist ein Statement gegen | |
> die Vermessung der Fußballwelt. Doch das behagt nicht allen. | |
Bild: Vor Özil purzeln sie dahin | |
Ja, den muss er machen. Ja, der war nicht gut geschossen. Ja, das wäre die | |
Entscheidung gewesen. In der 13. Minute. Die Rede ist, selbstverständlich, | |
von Mesut Özil. Und von seinem verschossenen Elfmeter. Man hätte wohl mehr | |
darüber gesprochen, hätte die Slowakei ihre Chancen Ende der ersten | |
Halbzeit nicht liegen lassen. Und hätte nicht Mario Gomez kurz darauf einen | |
draufgepackt. So aber bleibt es eine Randnotiz: Özil hat verschossen. | |
Es ist freilich richtig: Özil trifft selten aus fünf Metern Strand das | |
Meer. Tore macht er nicht gern. Das wird ihm angekreidet. Aber ist es nicht | |
so: Tore zu schießen hat etwas schnödes, unkreatives, etwas – was für ein | |
grauenhaftes Wort – ergebnisorientiertes? Ist das Zählen von Toren nicht | |
die Krücke, die jene Leute brauchen, die Fußball als Spiel nicht verstanden | |
haben? | |
Freilich schießt Özil auch Tore, wenn es anders gar nicht geht. Vor zwei | |
Jahren, gegen Algerien, zum Beispiel. Auch das ein Tor wider Willen: | |
Eigentlich hatte er ihn auf Schürrle abgelegt, mit einem klugen Pass, den | |
Torhüter verladen, ein großartiger Move, um den Ruhm einem Anderen zu | |
überlassen. Aber Schürrle, der Ganzgrobmotoriker, traf eines Gegners Bein, | |
dann musste Özil halt doch selber. | |
Man sah es auch an seinem Jubel: Er macht das nicht gern, jedenfalls nicht | |
so gern wie andere das machen. Unbeholfen ist er, wenn die Kamera auf ihn | |
schwenkt, immer greift er sich ins Haar, als wäre er nervös, als störten | |
ihn die vielen Blicke, als lenkten sie ihn davon ab, worum es wirklich | |
geht: Spielen. Sachen machen, und das gut. Özil verweigert sich dem | |
Toreschießen, weil das die einzige Möglichkeit ist, so gut zu sein, wie er | |
ist, ohne sich dem ganzen eitlen Nebenklimbim – Statistiken, | |
Effizienzmessung, Laktatwerte, bla, bla, bla – zu ergeben. | |
## Der Autobauernation verdächtig | |
Was aber macht Özil? Er macht Dinge, die man kaum sieht. Er ist der | |
Künstler, der hinter seinem Werk zu verschwinden sucht. Sein Werk, das | |
sind: Pässe, kurze Drehungen, beinah unsichtbare Bewegungen. Er ist kein | |
Regisseur, er verfolgt keinen Plan; er folgt einer größeren Idee. | |
Und: Diese Idee ist tatsächlich etwas höheres. Wahnwitzig an Özil ist, wie | |
schnell er denkt. Özil ist der Durchlauferhitzer, der es den Mitspielern | |
vor ihm möglich macht, überraschend zu sein. Er versetzt sie in die Lage | |
ihrer eigenen Genialität. | |
Diese Art zu spielen ist von einem Glanz, die einer Autobauernation | |
verdächtig sein muss. In anderen Ländern liebt man ihn, da ist er der | |
Bonbonverteiler. Aber hier? Hier gibt es eine Wahrnehmungsregel: Wenn | |
Deutschland gewonnen hat, war Kroos großartig. Wenn Deutschland verliert, | |
war Özil schlecht. Und egal wie Deutschland spielt, über Müller spricht man | |
immer so, als hätte er zwei Tore gemacht. | |
Ruhm schützt, kann aber auch zynisch machen. Es gibt von Robert Walser | |
dieses wundervolle Zeile, als sich der Spaziergänger mit der | |
Blumenverkäuferin unterhält. Und sie fragt: „‚Wie kommt's, daß Sie leben | |
können ohne dass Plakate von Ihnen sichtbar werden?‘ Ich schaute zu Boden | |
und erwiderte: ‚Mir ist um mein bisschen Glück bang.‘“ Man muss nicht im | |
Mittelpunkt stehen, um größtmögliches zu leisten. Die wahren Zauberer sind | |
jene, von denen die meisten noch nicht einmal mitbekommen, dass sie gerade | |
Zeuge eines Tricks geworden sind. | |
In dem Sinn kann er den natürlich machen. Zwingen aber kann ihn keiner. Das | |
ist eben das Großartige, das Erhabene an Özils Spiel: Alles kann. Nichts | |
muss. | |
Özil ist das Statement gegen die Diktatur des Ergebnisses über das Spiel, | |
er ist der Widerstandskämpfer. Seine Leichtigkeit richtet sich gegen die | |
Vermessung der Fußballwelt. Özil ist derart großartig, Tore hat er gar | |
nicht nötig. | |
27 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Frederic Valin | |
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