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# taz.de -- Cem Özdemir über Sport und Migranten: "Mesut Özil ist ein Eisbre…
> Grünen-Parteichef Özdemir hofft, dass Deutschtürken schneller in die
> Nationalelf integriert werden als einst Polen. Ein Gespräch über die
> Nationalmannschaft als Vorbild, Assimilation und Migrantenvereine.
Bild: Hat keine Identitätskonflikte: Grünen-Parteichef Özdemir.
taz: Herr Özdemir, hätte Ihr Vater Sie in einem deutschen Sportverein
angemeldet, wenn es in Ihrer Heimatstadt einen Verein mit türkischen
Wurzeln gegeben hätte?
Cem Özdemir: Ich glaube schon. Denn warum schickt man einen Jungen aus
einer türkischen Familie in einen Fußballverein? Erstens, damit er nicht
den ganzen Tag auf der Straße ist, wenn die Eltern beide voll berufstätig
sind und Schicht arbeiten. Zweitens, weil er dort mit vielen Kindern
deutscher Herkunft zusammenkommt und gezwungen ist, deutsch bzw. schwäbisch
zu sprechen.
Ist der zunehmende Trend von Vereinsgründungen mit Migrationshintergrund
nicht auch kontraproduktiv, weil sich viele wieder in ihre Community
zurückziehen?
Erst einmal ist es nichts Verwerfliches, dass ich mit Leuten Sport mache,
mit denen ich mich gut verstehe. Dazu gehört auch die Sprache. Das hat zu
dem Boom der Vereine mit Migrationshintergrund geführt, in denen ja
mittlerweile auch "Urdeutsche" oder Leute anderer Herkunft spielen.
Entscheidend ist, ob die Vereine sich öffnen und sich eben nicht von der
Gesellschaft absondern.
Der DOSB unterstützt Vereine, die soziale Aufgaben wie Hausaufgabenhilfen
oder Sprachkurse anbieten. Stiehlt sich die Politik hier nicht aus der
Verantwortung?
Nein, denn die Vereine haben natürlich eine wichtige Funktion, und es wäre
absurd, die nicht zu nutzen. Aber die Politik kann eine Sache relativ
schnell und erfolgreich machen: Sie kann die Ganztagsschule massiv ausbauen
und nutzen, um das Sportangebot zu erweitern. Dort übernimmt der Sport eine
ganz wichtige Rolle. Es darf aber nicht dazu führen, dass die Politik das
Problem delegiert.
Mesut Özil, Enkel türkischer Einwanderer, hat sich im vergangenen Februar
für die deutsche Nationalmannschaft entschieden - und gegen die türkische.
Ich werbe aktiv dafür, dass sich hier aufgewachsene türkischstämmige
Fußballer für eine sportliche Karriere in Deutschland entscheiden. Dabei
ist es auch wichtig, dass es die ersten Eisbrecher wie Mesut Özil gibt. So
wird in ein paar Jahren die Diskussion beendet sein, ob die deutsche
Nationalmannschaft auch die Nationalmannschaft von Deutschtürken oder
anderen Migrantengruppen ist.
Die Berufung der Deutschpolen Klose und Podolski hat keine solche Debatte
ausgelöst.
Die Integration der Deutschtürken und die Entwicklung eines
Zugehörigkeitsgefühls darf nicht so lange wie bei den Polen dauern. Sonst
warten wir noch mal ein Jahrhundert. Das wäre mir ein bisschen zu lange.
Warum tun wir uns in Deutschland so schwer mit der Akzeptanz von
Zuwanderern?
Deutschland hat nicht viel Erfahrung in Sachen Vielfalt, nur in Sachen
Assimilation. Die Frage ist: Wie gehen wir eigentlich damit um, dass wir in
der heutigen Zeit mit den klassischen Assimilationsrezepten nicht mehr alle
erreichen und viele auch gar nicht diesen Weg gehen wollen? Das lässt sich
am besten mit dem Begriff der "Bindestrich-Identität" beschreiben: Man kann
heutzutage Staatsbürger Deutschlands sein, ein guter und überzeugter
Demokrat und trotzdem eine enge Verbindung zu seinem Herkunftsland oder dem
seiner Eltern haben.
Sehen Sie Parallelen zwischen Ihnen und Özil?
Uns verbinden unsere inländischen Identitäten. Die Identitätskonflikte
haben vielleicht andere, wir jedenfalls nicht. Ganz im Gegenteil, die
Mehrzahl der Migranten würde sich hier pudelwohl fühlen, wenn man sie
lassen würde. Indem Mesut Özil erfolgreich ist, hat er auch eine
Vorbildfunktion für viele Jugendliche. Und wenn meine Rolle als
Parteivorsitzender dazu beiträgt, dass sich mehr Jugendliche für Politik
interessieren oder sogar engagieren, finde ich das gut und ich versuche
auch meinen Beitrag zu leisten.
Bei dem Deutschtürken Özil besteht die Gefahr, dass seine Auftritte nicht
immer nur aus sportlicher Sicht beurteilt werden. Besteht die auch bei dem
Deutschtürken Özdemir?
Als Parteivorsitzender wünschte ich mir, ehrlich gesagt, auch gar keine
sportliche Beurteilung. Die könnte ungünstig ausfallen. Aber Spaß beiseite:
Wenn ich nicht Hans, Gustav, Josef oder Eberhard heiße, wird jeder Schritt
oder jede Äußerung immer anders betrachtet werden. Diese Form der
besonderen Aufmerksamkeit ist aber nichts, was typisch deutsch wäre. Unsere
Gesellschaft hat vergleichsweise wenig Erfahrung im Umgang mit Menschen,
die anders aussehen oder exotische Namen tragen, und muss sich deshalb erst
daran gewöhnen. Das Gleiche gilt für viele Migranten, die jetzt auch
aufhören müssen, sich in so eine Art Diaspora einzuigeln und so tun, als
lebten sie auf feindlichem Territorium.
27 Mar 2009
## AUTOREN
Philipp Stachelsky
## TAGS
EMtaz Meinung
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