# taz.de -- Kolumne Das Tuch: Mesut Özil ist deutsch, ich bin es nicht | |
> Egal, was ich tue - die Biodeutschen haben mir klar gemacht: Ich werde | |
> nie in dieses Land gehören. | |
Ich habe keinen Bock. Die ganze Debatte um Deutschsein, Integration und | |
Leitkultur ist mir absolut zuwider. | |
Ich will nicht wissen, wann und unter welchen Umständen ich als Mensch mit | |
nichtdeutscher Abstammung und nichtchristlicher Religion ein | |
Du-bist-deutsch-Siegel bekommen könnte. Das sind Scheindebatten. Die | |
Realität sieht so aus: Mesut Özil kann - wie übrigens viele seiner | |
biodeutschen Kollegen auch - keinen grammatikalisch korrekten deutschen | |
Satz hervorbringen, ich hingegen schon. Trotzdem gilt er als integriert und | |
deutsch, ich aber nicht. | |
Großartig. Ich habe also einen deutschen Pass, engagiere mich hier, spreche | |
die Sprache und gehe wählen. Aber das reicht anscheinend nicht. Leider kann | |
ich kein Fußball. Und ich bin auch nicht wie Necla Kelek mit einem gewissen | |
Ex-Bundesbanker befreundet, um bei seiner Buchpromotion als | |
Möchtegern-Deutsche seine Intelligenz-These quasi als lebendes Beispiel für | |
minderbemittelte Muslime zu bestätigen. Um dann trotzdem nicht deutsch zu | |
sein. | |
Aber davon mal abgesehen: Ich will gar nicht deutsch sein. Ich will auch | |
nicht türkisch sein. Denn Nationalität ist ein Denkkonzept, das ich nicht | |
anwenden will. Was würde das Deutschsein über mich aussagen? Nichts. Eine | |
Zuschreibung, die mich einengt. Gegen die ich mich wehre. | |
Was mich ausmacht, das sind meine Interessen und Werte. Auf einer Party | |
würde ich mich eher mit einem linken Italiener oder einer koreanischen | |
Künstlerin unterhalten als mit einer türkischen Kemalistin oder einem | |
deutschen Handballer. | |
Trotzdem werde ich regelmäßig gedrängt. Man will, dass ich mich entscheide. | |
Deutsch oder türkisch? Sag schon! Ich WILL aber nicht. Verdammt noch mal. | |
Das war nicht immer so. Früher sagte ich mit größter Selbstverständlichkeit | |
"Ich bin deutsch." Bis mir ein richtiger Deutscher an der Uni verklickerte: | |
"Kübra, du bist keine Deutsche." - Warum? - "Ja, weil du das Kopftuch | |
trägst." Zustimmung durch umstehende andere richtige Deutsche. Aha. So ist | |
das also. Wie eine Ohrfeige war das. Es blieb nicht die einzige. Und mir | |
wurde klar: Egal, was ich tue, ich werde nie deutsch sein. | |
Ich staune, wenn die meisten meiner muslimischen Freunde selbstbewusst | |
sagen: Ich bin deutsch. Offensiv gehen sie mit dieser Identität um und | |
ecken damit an. Bewusst. | |
Sie sind in diesem Land geboren und sozialisiert, arbeiten hier, zahlen | |
Steuern. Sie fühlen sich hier heimisch und fordern Zugehörigkeit ein - | |
nicht nur als Mitbürger, sondern auch als Mitdeutsche. Auf die Frage, woher | |
sie kommen, wollen sie bloß mit Aachen, Hamburg oder Donaueschingen | |
antworten können. | |
Sie wollen die Bedeutungshoheit über das Deutschsein nicht den Biodeutschen | |
überlassen. | |
Selbstverständlich ist Wulff auch ihr Bundespräsident. Sie wollen, dass man | |
es ausspricht. Sie tun es. Er tut es. Und plötzlich wird eine | |
Selbstverständlichkeit so ad absurdum diskutiert. | |
Ich bewundere meine Freunde für ihr selbstbewusstes Einstehen für ihre | |
deutsche Identität. Mir bleibt das fremd. Vielleicht nur, bis ich innerlich | |
ein wenig härter werde. Vielleicht aber auch für immer. | |
12 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Kübra Yücel | |
## TAGS | |
EMtaz Meinung | |
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