# taz.de -- Zwangsenteignungen in Jerusalem: Der Insider wechselt die Seite | |
> Stephen Berman arbeitete viele Jahre als Berater für die | |
> Immobilienverwaltung von Jerusalem. Heute vertritt er als Anwalt | |
> enteignete Palästinenser. | |
Bild: Sieht sich nicht als pro-palästinensischen Aktivisten: Stephen Berman | |
Jerusalem ap | Vor einiger Zeit musste Mohammad Abu Ta'a feststellen, dass | |
die auf seinem Grundstück in Jerusalem abgestellten Lastwagenanhänger | |
fehlten. Als er bei den Behörden nachfragte, wurde ihm erklärt, dass die | |
israelische Regierung das Land enteignet habe. Abu Ta'a wehrte sich dagegen | |
– und baute dabei ausgerechnet auf die Dienste eines Anwalts, der zuvor 16 | |
Jahre als Angestellter für die Immobilienverwaltung der Stadt Enteignungen | |
von palästinensischen Grundstücken genehmigt hatte. | |
Rechtsanwalt Stephen Berman hat seinen Job als Rechtsberater der Stadt | |
Jerusalem im Jahr 2003 quittiert – und nutzt nun seine Insiderkenntnisse, | |
um illegale Landenteignungen aufzudecken. „Das war mein Job, mich mit | |
solchen Dingen zu beschäftigen“, sagt der gebürtige Amerikaner. | |
Doch anders als einige israelische Rechtsanwälte, die sich für die Rechte | |
der Palästinenser einsetzen, sieht sich Berman nicht als Aktivist. „Ich | |
kümmere mich nicht darum, wem das Recht nützt“, sagt er. „Ich kümmere mi… | |
darum, was das Recht ist.“ | |
Nachdem er sich durch einen Berg alter Karten und Grundbucheinträge | |
gekämpft hat, ist sich Berman sicher, dass israelische Beamte seit | |
Jahrzehnten ihre Macht genutzt haben, um Kontrolle über das kleine, aber | |
attraktive Stück Land der Familie Abu Ta'a zu erlangen und es der | |
Organisation Amana zuzuschustern. | |
Amana ist federführend für den Bau jüdischer Siedlungen in Ostjerusalem und | |
im Westjordanland. Die Organisation, die schon mehrfach im Mittelpunkt von | |
Untersuchungen wegen betrügerischer Grundstücksgeschäfte stand, hat | |
zahlreiche Siedlungen geplant, die von der Regierung unterstützt werden – | |
aber auch nicht autorisierte Außenposten. Das Grundstück von Abu Ta'a wurde | |
im November eingezäunt. Inzwischen wird dort die neue Amana-Zentrale | |
gebaut. | |
## Behörden auf enteignetem Boden | |
„Wir haben ein Anrecht auf dieses Land“, sagt Abu Ta'a. „Es hat uns gehö… | |
lange bevor Israel auf diesem Land existiert hat.“ Die Geschichte begann | |
1967, als Israel Ostjerusalem besetzte und später annektierte. Um diese | |
Annektion zu zementieren, entwickelte man im Jahr darauf den Plan, große | |
Gebiete zwischen Ost- und Westjerusalem, die sich in arabischem Besitz | |
befanden, zu enteignen. | |
Auf den enteigneten Grundstücken entstanden etwa das nationale | |
Polizeihauptquartier, Ministeriengebäude und große jüdische Siedlungen, die | |
von der internationalen Gemeinschaft als illegal angesehen werden. Aber | |
einige Flächen wurden von der Enteignung ausgenommen und blieben über | |
Jahrzehnte unberührt. | |
Im Jahr 1989 verabschiedeten die Behörden einen endgültigen Bebauungsplan | |
für die Gegend. Abu Ta'as Grundstück war davon ausgenommen. Zwei Jahre | |
später erklärte die Regierungsbehörde für die Landverwaltung in einem | |
Gerichtsprozesse, alle benötigten Flächen seien in dem Bebauungsplan | |
enthalten. | |
Berman war in diesem Prozess Vertreter der Stadt Jerusalem. Als ihn Abu | |
Ta'a Jahre später kontaktierte, war ihm schnell klar, dass da etwas nicht | |
stimmte. „Ich habe begonnen, die Fakten zu überprüfen“, sagt er. Er fand | |
heraus, dass die Behörde im Prozess erst den Eindruck erweckt hatte, kein | |
Interesse am Land von Abu Ta'a zu haben. Doch schon ein Jahr später begann | |
sie im Stillen damit, die Kontrolle darüber zu erlangen. | |
## Karten einfach neu eingeteilt | |
Berman verweist auf Dokumente aus dem Jahr 1992, nach denen die | |
Landverwaltung Amana die Erlaubnis gegeben habe, eine neue Zentrale auf dem | |
Gebiet zu bauen, das sich in palästinensischem Besitz befand. Allerdings | |
wurde das Vorhaben damals von der neuen linksgerichteten Regierung | |
gestoppt. | |
1997, ein Jahr nachdem der siedlerfreundliche Benjamin Netanjahu zum ersten | |
Mal Ministerpräsident geworden war, wurde das Vorhaben wiederbelebt, wie | |
Berman sagt. Amana sei in den Besitz der benötigten Genehmigungen gekommen, | |
indem es kommunalen und nationalen Beamten vorgespiegelt habe, das Land | |
befinde sich bereits in Regierungsbesitz. Weder Amana noch die Behörden | |
wollten sich zu den Vorwürfen äußern. | |
Als 2005 herauskam, dass sich das Land immer noch nicht in Regierungsbesitz | |
befand, schien das Projekt zu scheitern. Doch die Landbehörde habe eine | |
„brillante Idee“ gehabt, um sich die letzte Genehmigung vom israelischen | |
Finanzminister zu holen, sagt Berman. Sie habe die Karten einfach neu | |
eingeteilt, dass es so aussah, als würde das palästinensische Land direkt | |
an die Regierungsgebäude angrenzen. Damit habe man ein öffentliches | |
Interesse an der Enteignung untermauert, sagt Berman. Die Genehmigung wurde | |
schließlich erteilt. | |
Die Familie von Abu Ta'a lehnte ein Entschädigungsangebot ab. Nach einem | |
fünfmonatigen Rechtsstreit entschied ein Bezirksgericht in Jerusalem im | |
März, dass der Bebauungsplan nicht korrekt zustande gekommen sei. | |
Allerdings kam der Richter zu dem Schluss, dass dies das Ergebnis einer | |
Reihe von Fehlern gewesen sei. Von Betrug war keine Rede. Deswegen erlaubte | |
er Amana auch, die Zentrale dort weiterzubauen. | |
Berman hat diese Entscheidung vor dem Obersten Gerichtshof des Landes | |
angefochten. „Enteignung ist manchmal eine notwendige und legitime | |
Maßnahme“, sagt er. „Doch in diesem Fall haben wir eine Ausgangslage, die | |
irregulär war.“ | |
25 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Daniel Estrin | |
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