# taz.de -- Entlassungen beim Berlin Verlag: Eine endliche Geschichte | |
> Der Berlin Verlag, Aushängeschild der Hauptstadt und Heimat großer | |
> Autoren, steht vor einer Zäsur: 13 seiner 21 Mitarbeiter sollen gehen. | |
Bild: Wie soll es mit dem Berlin Verlag weitergehen? | |
BERLIN taz | Dieser Tage umschreibt man das Weltgeschehen am besten in Form | |
von Fußballanalogien. Wenn man das tragische Spiel betrachtet, das sich im | |
traditionsreichen Berlin Verlag zuletzt abgespielt hat, so könnte man die | |
altbekannten Floskeln auspacken: Man kann hinfallen, muss aber auch wieder | |
aufstehen. Mund abputzen, weitermachen. Nur ist die Zäsur in dem noch in | |
der Berliner Friedrichstraße residierenden Verlag so gravierend, dass man | |
fragen muss: Wie weitermachen, wenn zwei Drittel der Mannschaft des Feldes | |
verwiesen wurde? Und was ist mit denen, die fortan nicht mehr mitspielen | |
dürfen? | |
Anfang Mai hat die Geschäftsführung des Berlin Verlags verkündet, dass aus | |
dem derzeit 21-köpfigen Verlagsteam 13 Mitarbeiter gehen müssen. Grund: Das | |
seit 2012 zum Münchner Piper Verlag gehörige Unternehmen, in dem bereits | |
literarische Schwergewichte wie die Ungarn Péter Esterházy und Petér Nádas, | |
Ingo Schulze, Richard Ford, [1][Jonathan Littell („Die Wohlgesinnten“)] und | |
die südafrikanische Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer verlegt wurden, ist | |
wirtschaftlich nach Angaben der Geschäftsführung seit Jahren defizitär. | |
So zeigte der Mutterverlag Piper bei der Agentur für Arbeit die Kündigung | |
der Mitarbeiter für Ende Juni an; drei Mitarbeitern bietet man eine | |
Weiterbeschäftigung in München an – Ausgang ungewiss. Ausgesprochen worden | |
ist bislang ist keine Kündigung; wahrscheinlich ist aber, dass sie zum | |
angegebenen Termin erfolgt. Juristisch spricht man aufgrund der Relation | |
übrigens von einer „Massenentlassung“. Neben Verlagsleiter Georg Oswald | |
sollen nur drei Lektoren und ein Presseansprechpartner in Berlin verbleiben | |
– Marketing, Rechtsabteilung, Vertrieb und was sonst noch so zu einem | |
Verlag gehört wird nach München ausgelagert. | |
Der Berlin Verlag soll dann zur Marke nach dem Vorbild der | |
Hauptstadt-Imprints Hanser.Berlin und Rowohlt.Berlin werden. Von Frühjahr | |
2017 sollen nur noch zehn bis zwölf Titel, ausschließlich Hardcover, pro | |
Saison fertiggestellt werden, sagt die verlegerische Geschäftsführerin | |
Felicitas von Lovenberg gegenüber der taz. Von Lovenberg, lange Jahre | |
Literaturredakteurin der FAZ, ist seit März im Amt. | |
## „Die Mitarbeiter haben nichts mehr zu verlieren“ | |
Sie habe eine „wirtschaftliche Baustelle vorgefunden, die man nicht länger | |
ignorieren konnte“, erklärt die 42-Jährige. „Der Berlin Verlag hatte immer | |
großes Renommee, aber wirtschaftlich ist er nie profitabel gewesen.“ | |
Überlegungen, ihn radikal umzustrukturieren, habe es schon vor ihrem | |
Dienstantritt gegeben. Ein eigenständiges Taschenbuchprogramm gibt es | |
fortan nicht mehr, die Unterhaltungssparte „Bloomsbury Berlin“ wurde | |
bereits eingestellt. | |
Der Betriebsrat ist entsetzt über die Vorgehensweise der Geschäftsführung, | |
die Fronten sind verhärtet. Auf einen Sozialplan für Mitarbeiter, die gehen | |
müssen, konnte man sich nicht einigen. Die Informationspolitik sei | |
intransparenter als „bei der Schraubenfabrik um die Ecke“, sagt Jurist | |
Niklas Pastille, der den Betriebsrat vertritt. | |
Zahlen habe man nie vorgelegt bekommen, bis jetzt sei von der | |
Geschäftsführung keine einzige schriftliche Seite zur Begründung der | |
Maßnahmen vorgelegt worden. „Sektenähnlich“, meint Pastille. Er hält | |
überdies bisherige Abfindungsangebote für inakzeptabel. „Deutlich weniger | |
als ein Monatsgehalt pro Betriebsangehörigkeitsjahr“ sollten die | |
Mitarbeiter demnach erhalten. Ein grobes Foul, meint Pastille. | |
Am heutigen Freitag werden die Geschäftsführung um den kaufmännischen | |
Geschäftsführer des Piper Verlags, Christian Schniedermann, und der | |
Betriebsrat erneut verhandeln. „Wobei wir eigentlich nur mit deren Anwalt | |
sprechen“, sagt Pastille, „denn die Geschäftsführer sagen nichts.“ | |
Unwahrscheinlich, dass es jetzt zu einer Einigung kommt. Und dann? Man sei | |
durchaus bereit, dass sich das Verfahren „monatelang verschleppt“, sagt | |
Pastille, „die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben nichts mehr zu | |
verlieren. Sie haben loyal, mit viel Einsatz und für vergleichsweise | |
geringes Gehalt gearbeitet. Und sie lernen gerade, sich zu wehren.“ | |
## Es versprach frischen Wind, Glamour | |
Kommen Betriebsrat und Geschäftsführung nicht auf einen Nenner, wird als | |
nächste Instanz eine von beiden Seiten zu bestimmende Schiedsstelle | |
eingeschaltet. Gegründet wurde der Berlin Verlag 1994 von Arnulf Conradi, | |
Veit Heinichen und Elisabeth Ruge, klingende Namen des Literaturbetriebs. | |
Auch Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld war an der Verlagsgründung | |
beteiligt. Conradi und Ruge haben dem Verlagsprogramm zu einem starken | |
literarischen Profil verholfen. Das Haus galt als vielversprechendste | |
deutsche Neugründung in den Neunzigern. | |
Es versprach frischen Wind, Glamour und spiegelte den Geist der | |
entstehenden Berliner Republik wider. Ein Besuch auf der Verlags-Party sei | |
seinerzeit vor der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse Pflicht gewesen, | |
erzählen sich Kollegen. In der Verlagsgeschichte wechselten die | |
Konzernzugehörigkeiten: Im Jahr 1998 übernahm Bertelsmann den Verlag, von | |
2003 an gehörte er zur Bloomsbury-Gruppe. Seit 2012 ist er unter dem Dach | |
von Bonnier Media Deutschland – genau wie der Piper Verlag. | |
Nachdem Elisabeth Ruge den Berlin Verlag 2011 verließ, hat das Haus | |
allerdings einige Autorinnen und Autoren verloren. Esterházy, Schulze, | |
Littell, Ford: Sie veröffentlichten seither im von Ruge 2011 mitgegründeten | |
neuen Verlag Hanser.Berlin. [2][Auch die spätere Nobelpreisträgerin | |
Swetlana Alexijewitsch] verlegte Ruge zunächst im Berlin Verlag, später bei | |
Hanser.Berlin. Derweil gab es an der Friedrichstraße ebenfalls Abgänge in | |
anderen Verlagsabteilungen. In den vergangenen vier Jahren, so sagt es | |
Christian Schumacher-Gebler, Geschäftsführer von Bonnier Media Deutschland, | |
habe das Haus jährlich Defizite im siebenstelligen Bereich eingefahren. | |
Es habe immer wieder Interventionen von Seiten Bonnier und Piper gegeben, | |
aber „die moderaten Anpassungen während dieser Zeit haben leider zu keiner | |
Kehrtwende geführt“, erklärt Schumacher-Gebler. So wolle man sich nun nach | |
eben jenem Konzept aufstellen, nach dem andere Verlage – etwa auch der zu | |
Kiepenheuer & Witsch in Köln gehörende Galiani Verlag – gut funktionierten. | |
Alternativlos nennt Schumacher-Gebler die Maßnahmen. Unumgänglich, sagt von | |
Lovenberg. | |
## „Durststrecken sind fest einkalkuliert“ | |
„Die schlichte Unwahrheit, gegenüber uns ist durch nichts belegt“, meint | |
dagegen Betriebsrats-Anwalt Pastille. Er weist auch darauf hin, dass man | |
mit Piper ja immerhin einen Verlag im Rücken habe, der Geld erwirtschafte – | |
man hätte in München verantwortlicher mit der Situation umgehen müssen. | |
Laut der jährlichen Buchmarktanalyse von Buchreport hat Piper im Jahr 2015 | |
einen Umsatz von 50,7 Millionen Euro erwirtschaftet und damit nur leichte | |
Verluste im Vergleich zum Vorjahr. Dagegen konnte man zwischen 2012 und | |
2014 den Umsatz von 47,1 auf 54,2 Millionen Euro steigern. Der Berlin | |
Verlag war seit der Übernahme durch Piper nicht mehr einzeln gelistet. Von | |
den anderen großen Bonnier-Verlagen konnte Carlsen in den vergangenen | |
Jahren zulegen, während die Ullstein Verlage saisonal schwankten. | |
Prinzip sei es, dass die Einzelverlage von eigenständigen Verlegern | |
erfolgreich weiterentwickelt würden, sagt Schumacher-Gebler. „Durststrecken | |
sind insofern fest einkalkuliert und auch kein Problem. Allerdings sollten | |
die Durststrecken nicht zum Dauerzustand werden. Das zeichnete sich beim | |
Berlin Verlag in der bisherigen Struktur ab.“ Von Lovenberg steht hinter | |
diesem Kurs, die Entscheidung sei auf Piper-Ebene gefallen. Sie sagt: „Ich | |
halte die Marke Berlin Verlag weiterhin für sehr stark, und ich glaube an | |
das Programm.“ Eine Umbenennung komme daher nicht in Frage. | |
Für den Herbst hat der Verlag mit neuen Büchern von Margaret Atwood, James | |
Salter und Gerhard Falkner ein gewohnt anspruchsvolles Programm angekündigt | |
– während das Sachbuchprogramm im Herbst noch sieben Titel hat, wird es im | |
Frühjahr 2017 deutlich schmaler ausfallen. Ein Drittel der Neuerscheinungen | |
sollen dann Sachbücher sein, also etwa drei bis vier Titel. Für die bald | |
dezimierte Belegschaft, so von Lovenberg, suche man nach räumlichen | |
Alternativen zu den Büros in der Friedrichstraße. Daran, dass der | |
umstrukturierte Verlag die Schrumpfkur überstehe, glaube von der alten | |
Belegschaft kaum jemand, berichtet Anwalt Pastille. | |
Falls es keine Einigung zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung gibt, | |
bliebe den entlassenen Mitarbeitern nur die Klage vor dem Arbeitsgericht. | |
Verlagsleiter Oswald, der die Situation derzeit nicht kommentieren möchte, | |
muss bereits zum Frühjahrsprogramm 2017 ein schlagkräftiges neues Programm | |
auf die Beine stellen. Auch wenn sein Team nur noch eine Rumpftruppe ist. | |
23 Jun 2016 | |
## LINKS | |
[1] /Die-Wohlgesinnten-von-Jonathan-Littell/!5185828/ | |
[2] /Nobelpreis-fuer-Literatur-2015/!5237044/ | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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