# taz.de -- Streit um Güterbahnhof in Osnabrück: Die Mär von der „Christen… | |
> Der Osnabrücker Stadtrat will ein Gewerbegebiet, die freikirchliche | |
> „Lebensquelle“ stattdessen eine Kirche – und wirft der Stadt | |
> „Christenvertreibung“ vor. | |
Bild: Streit um den Güterbahnhof: Die Freikirche Lebensquelle wittert „Chris… | |
OSNABRÜCK taz | Wenn es nach der „Lebensquelle“ geht, werden Christen in | |
Osnabrück diskriminiert. Das behauptet die freikirchliche Gemeinde in einem | |
Brief, den sie dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil | |
geschickt hat. „Christenvertreibung in Deutschland, ein Osnabrücker | |
Phänomen?“ steht über dem Schreiben. Die Gemeinde beklagt sich darin über | |
die vermeintlich „systematische Diskriminierung und Bekämpfung unserer | |
freikirchlichen christlichen Religionsgemeinschaft“. | |
Anlass ist der Bebauungsplan für den ehemaligen Güterbahnhof der Stadt. | |
Dort will die Freikirche ein Gemeindezentrum bauen. Dazu sollen neben einer | |
Kirche eine Kita, eine Schule, ein Ärztehaus und eine Seniorenwohnanlage | |
gehören. Doch der im Frühjahr vorgelegte städtische Bebauungsplan sieht ein | |
reines Gewerbegebiet vor. Kirche und Wohnhäuser hätten dort keinen Platz. | |
Der Konflikt schwelt seit Jahren. 2012 kaufte Gemeindemitglied Ralf | |
Gervelmeyer, zwischenzeitlich auch Bundestagskandidat der Partei | |
Bibeltreuer Christen, mit einem Geschäftspartner das Gelände. Er benannte | |
die Schilling und Schreyer GmbH seiner Vorgänger in Zion GmbH um und | |
verkaufte der Lebensquelle ein Teilgrundstück, die 30.000 Quadratmeter | |
große ehemalige Güterabfertigung. | |
Stadtverwaltung und Rat wussten von den Plänen der Gemeinde. Doch die | |
Dimension wurde erst im Frühjahr darauf bekannt. In einem Interview mit dem | |
lokalen Fernsehsender OS1.TV erklärte Gervelmeyer, die Kirche solle über | |
3.000 bis 4.000 Plätze verfügen; dazu sollten soziale Einrichtungen wie | |
betreutes Wohnen kommen. Im gleichen Interview bezeichnete er | |
Homosexualität als „Sünde“. Eine Haltung, die die Lebensquelle offen | |
vertritt. | |
Das zeigt auch der [1][Dokumentarfilm „Seelenfänger Lebensquelle – Eine | |
christliche Parallelwelt in Osnabrück“] des Videojournalisten Marcel | |
Trocoli Castro. Wissenschaft ist für die Gemeinde ein „Dämon“. Kinder | |
dürfen nicht am Sexualkundeunterricht in der Schule teilnehmen. Sex vor der | |
Ehe und Verhütung sind tabu. | |
## Kirche plötzlich solidarisch mit Kultur | |
Auch der Brief an Weil offenbart einiges über die Weltanschauung der | |
Gemeinde. „Die Christenverfolgungen in der Welt nehmen ebenso zu wie auch | |
die Islamisierung ganzer Städte in Deutschland“, heißt es darin. In diesem | |
Zusammenhang müsse man auch den Versuch sehen, den „Bau einer Kirche zu | |
verbieten“. Das sei ein „bemerkenswertes Novum“ in Deutschland. Man „d�… | |
die Frage stellen“, ob die Stadt auch den Bau einer Moschee oder eines | |
jüdischen Gemeindezentrums abgelehnt hätte. | |
Die Parteien im Stadtrat sind sich nicht einig über den Bebauungsplan. | |
Grüne und SPD sind für ein reines Gewerbegebiet und wegen des | |
Schallschutzes gegen Wohnbebauung. Die CDU und mit ihr Oberbürgermeister | |
Wolfgang Griesert wollen das Gemeindezentrum mit einer Begrenzung auf 800 | |
Plätze genehmigen. | |
SPD-Fraktionschef Frank Henning weist den in der Neuen Osnabrücker Zeitung | |
geäußerten Vorwurf der Lebensquelle zurück, sie sei „in rechtswidriger Art | |
und Weise nicht gehört bzw. den gesetzlichen Vorschriften entsprechend | |
beteiligt“ worden. Die Gemeinde habe wie alle Bürger am | |
Beteiligungsverfahren teilnehmen können und dies auch „ausgiebig genutzt | |
und entsprechende Stellungnahmen abgegeben“. | |
Hennings Fraktion will mit der Lebensquelle keine weiteren Gespräche | |
führen, solange sie den Vorwurf der „Christenvertreibung“ nicht | |
zurücknehme. Er betrachte die Aussage, „dass demokratisch gewählte | |
Ratsmitglieder Christen verfolgen“, wenn sie einen Bebauungsplan entgegen | |
der Vorstellungen der Lebensquelle beschließen, „als Beleidigung und | |
Verleumdung“. | |
Auch Michael Hagedorn, Fraktionsvorsitzender der Grünen, nennt die Vorwürfe | |
der Lebensquelle „absurd“. Es sei immer geplant gewesen, auf dem Bahnhof | |
Gewerbe anzusiedeln. | |
Mit dem neuen Plan hätte auch [2][die freie Kulturszene keinen Platz mehr | |
auf dem Güterbahnhof]. Hatte es in den vergangenen Jahren zwischen | |
Gervelmeyer und den Alternativen auf dem Gelände viele Konflikte gegeben, | |
zeigt sich Lebensquelle-Sprecher Christian Heintze nun plötzlich | |
solidarisch: „Kirche und Kultur sollen zugunsten einer maximalen | |
Gewerbesteuer keinen Platz auf dem Gelände haben“, erklärt er auf Anfrage | |
der taz, was seiner Meinung nach die Absicht der Stadt ist. Von | |
„Christenvertreibung“ ist da keine Rede mehr. | |
4 Jul 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=SJoihsHKNrI | |
[2] /!5066639/ | |
## AUTOREN | |
Anne Reinert | |
## TAGS | |
Evangelische Kirche | |
Osnabrück | |
Bebauung | |
Gleichstellungsbeauftragte | |
Osnabrück | |
Weihnachten | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Intensive, nicht extensive Gleichstellung: Männertrupp mit Gender Award | |
Die Stadt Osnabrück ist stolz auf ihre Auszeichnung mit dem „Gender Award“. | |
Dabei ist der Verwaltungsvorstand seit Januar wieder rein männlich | |
Musik aus Nahost: „Das Interesse ist enorm“ | |
Das Osnabrücker Morgenland-Festival will hochkarätige Musiker aus dem | |
persischen und arabischen Raum vorstellen. Dieses Jahr ist es Geflüchteten | |
gewidmet | |
Die Wahrheit: Wie im Wahn | |
Vielen Gläubigen gelten lärmende Weihnachtsmärkte als spirituelle Orte der | |
Einkehr. Belege dafür finden sie sogar in der Bibel. | |
Verdrängung der Künstler: Freikirchler statt Freiraum | |
Bisher ist Platz für Clubs und Kreative auf dem ehemaligen Güterbahnhof in | |
Osnabrück. Doch eine homophobe Gemeinde will nun dort ihr Zentrum bauen, | |
drumherum soll es Gewerbeflächen geben. | |
Streit um Osnabrücker Kultur-Ort: Ein Freiraum verschwindet | |
Es wird eng für den "Freiraum Petersburg" am alten Osnabrücker | |
Güterbahnhof: Die neuen Eigentümer haben die ersten Kulturschaffenden | |
verdrängt. | |
Aggressive Missionare an Unis: Mit Wasserkanne und Handtuch | |
Der Berliner Sektenbeauftragte warnt vor Missionaren der „Gemeinde Gottes“. | |
Sie haben es aktuell besonders auf Studierende abgesehen. |