# taz.de -- Streit um Osnabrücker Kultur-Ort: Ein Freiraum verschwindet | |
> Es wird eng für den "Freiraum Petersburg" am alten Osnabrücker | |
> Güterbahnhof: Die neuen Eigentümer haben die ersten Kulturschaffenden | |
> verdrängt. | |
Bild: Petersburg-Aktivistin Lucia Vyhnalková vor der Kneipe des "Freiraums". | |
Sie nennen sich Träumer, und auf ihrem Ortseingangsschild steht | |
„Stattstaat“ und „Alternatives Viertel“. Gleich nebenan beginnt der | |
„Freiraum Petersburg“, der seit 2008 „Träumen Raum schafft“, und zwar … | |
ehemaligen Osnabrücker Güterbahnhof, einem unwirtlichen Ort, den sonst | |
niemand wollte: Überwucherte Gleise, aufgerissenes Pflaster, halb | |
verrottete Lagerhallen. Am nahen Bahndamm kreischt Metall auf Metall, die | |
Luft riecht nach modrigem Mörtel, auf den Dächern wuchert Gras. Die Träumer | |
haben dem Areal neues Leben eingehaucht, aber die Festungsmauern der | |
Petersburg bröckeln. | |
Focht an diesem Ort früher eine Zitadelle der katholischen Liga gegen die | |
Lutheraner, ficht hier heute ein Bollwerk der Buntheit gegen Bevormundung, | |
Visionsferne und Profitdenken. Wagenplatz-Anarchos wäre die Freiheit hier | |
draußen vielleicht nicht radikal genug, denn es klingt schließlich schon | |
fast nach Establishment: „eingetragener Verein“, Genehmigung, Mietvertrag. | |
Aber eine Gegenwelt wie das „Tacheles“ in Berlin ist der „Freiraum“ | |
trotzdem. | |
## Strom aus dem Generator | |
In der Kneipe – Sperrmüllsofas, riesiger Spaghettitopf, Bier und Sprudel | |
ein Euro – erklärt Carsten Gronwald, wie es kam, dass er jetzt 30 | |
Bandproberäume hat, wo früher der Güterbahnhof war. 250 MusikerInnen gehen | |
hier ein und aus, die meisten aus der Region, einige aus Münster oder | |
Bielefeld, einige aus dem Ausland. Es gibt Konzerte, Feste, eine Tanzgruppe | |
und eine Klettergemeinschaft, die sich einen Boulderraum eingerichtet hat. | |
Regulären Strom gibt es nicht, aber der Generator läuft von drei Uhr | |
nachmittags bis ein Uhr nachts. Auch die Heizung ist tot, es ist zu teuer, | |
sie zu sanieren. Wasser? „Da haben wir einen Schacht gegraben und selbst | |
eine Leitung gelegt, zum Nachbarhaus.“ | |
Und dann die Skepsis der Stadtverwaltung, trotz Rundem Tisch mit | |
Oberbürgermeister, Kultusdezernat und Bauamt. „Manchmal war ich kurz davor, | |
aufzugeben. Aber dann hab ich mir gesagt: Nee, jetzt erst recht!“ Carsten | |
Gronwald schaut zu einem Mit-Aktivisten hoch. Der dichtet gerade das Dach | |
ab, mit irgendeiner grünlichen Masse, sonst kommt Regen rein. „Du bemühst | |
dich, was auf die Beine zu stellen – und dann rollt der volle Apparat auf | |
dich los mit Auflagen, mit Kontrollen.“ | |
## „Nicht pinkeldüngen!“ | |
Gronwald liebt „diese kleine wilde Ecke“. Der Kulturclub „Mimmis“ hatte | |
hier lange sein Zuhause, musste aber wegen eines nicht gestellten | |
Nutzungsänderungsantrags wieder ausziehen. Geblieben sind die Klimaschützer | |
der Transition Town-Initiative „Energiewende Osnabrück“ mit ihrem Garten | |
für jedermann. „Kartoffeln“, verraten Schildchen, „Schnittknoblauch“, | |
„Spinat“. Ein anderes bittet: „Nicht pinkeldüngen!“ Urban Gardening wi… | |
Dutzenden von Plastikcontainern betrieben, denn der Boden hier ist nicht | |
gerade gesund. In der Mitte eine Feuerstelle, ein Grillplatz. Gronwald geht | |
rüber ins Haupthaus. Sprüche wie „Suche nicht nach dem Licht. Sei das | |
Licht!“ stehen an den Wänden, „Zahme Vögel singen von Freiheit, wilde Vö… | |
fliegen“. Überall Band-Plakate, von den Thrashing Pumpguns bis zu Social | |
Distrust. | |
In einer riesigen Halle befindet sich ein improvisierter Tanzboden, links | |
und rechts Reste eines Kunst-Flashmobs, Skulpturentrümmer, eine Badewanne, | |
an die Wand geschraubt. Und hinter dieser Halle weitere Hallen und weitere, | |
endzeitlich düster, voller Graffitis. Irgendwo dort drinnen haust ein | |
Obdachloser, nach dem Gronwald immer mal sieht. Aber heute ist auch Inga | |
Hinz da. Sie posiert ganz in Schwarz, schwerbewaffnet. „Das wird ein | |
Agentenfoto!“, lacht sie. Die Kulisse ist perfekt für Fotoshootings. „Wär… | |
echt schade, wenn das alles hier wegkommt“, sagt sie. | |
Weg: Genau das ist das Problem. Denn das Gelände, seit 2010 in der Hand | |
privater Investoren, hat kürzlich den Besitzer gewechselt. Seine 22,8 | |
Hektar gehören jetzt der Zion GmbH aus Georgsmarienhütte, die der | |
freikirchlichen „Gemeinde Lebensquelle Osnabrück“ nahesteht. | |
Wahrscheinlichste Zukunft der Traumfabrik: Büros, Dienstleistungen, | |
produzierendes Gewerbe. Ein neuer Bebauungsplan ist in Vorbereitung. Der | |
alte, nie rechtskräftig geworden, spricht von einem Abriss fast sämtlicher | |
Gebäude. | |
Wie Ralf Gervelmeyer, Geschäftsführer der Zion GmbH, zu den | |
Freiraum-Träumern steht? Wie zur Club- und Disco-Szene, die seit Jahren in | |
Richtung des denkmalgeschützten Ringlokschuppens gewachsen ist: „Wir wollen | |
niemanden verdrängen. Auch nicht alles abreißen oder zubetonieren. Das | |
Gebäude, in dem der ,Freiraum‘ ist, ist zum Beispiel ja noch in einem | |
relativ guten Zustand. Aber klar ist: Hier müssen Recht und Ordnung | |
herrschen.“ Er werde intensiv mit der Stadt kooperieren: „Die hat hier ja | |
auch Ansprüche. Wenn sie die derzeitigen kulturellen Nutzungen | |
aufrechterhalten will – von uns aus gern.“ | |
## Entstehen soll eine Kirche | |
Bleibt nur die Frage nach dem Wer, Wo und Wie. Sven Jürgensen, | |
Pressesprecher der Stadt: „Städtischerseits wird durchaus die Perspektive | |
gesehen, diesen Standort – insbesondere auch den ehemaligen Ringlokschuppen | |
– für kulturelle Nutzungen freizuhalten.“ Alles offen also. | |
Vor der früheren Güterabfertigung hat der Wandel bereits begonnen. Dutzende | |
Helfer der „Lebensquelle“ haben alle Bäume gefällt und alle Sträucher | |
weggeschnitten. Eine Kirche mit 1.000 Plätzen soll hier entstehen. Und eine | |
Sonntagsschule mit Seelsorgeräumen. | |
„Die schönen Bäume!“, empört sich Petersburg-Aktivistin Lucia Vyhnalkov�… | |
„Die Stadt hat uns auf dieses Gebäude aufmerksam gemacht“, sagt Pastor | |
Eduard Ochs. Und jetzt sei man halt da, um aufzuräumen. „War ja furchtbar | |
verwahrlost hier.“ Was er über seine Träumer-Nachbarn denkt? „Über wen? … | |
kenne ich nicht.“ | |
## Theater am Ende | |
Wo jetzt die „Lebensquelle“ einzieht, mussten Künstlerateliers raus. In | |
einigen Räumen stehen noch Bilder und Staffeleien. Auch das experimentelle | |
„Theater am Güterbahnhof“ ist jetzt obdachlos. Fünf Jahre lang hatte es | |
hier seine Spielstätte. | |
„So ein Ort ist doch wichtig“, sagt Lucia Vyhnalková, „gerade auch für … | |
Stadt.“ Sie hofft auf eine Zukunft für den „Freiraum“, aber zuversichtli… | |
wirkt sie nicht. Der Neubau einer Eisenbahn-Brücke steht an, über einen | |
neuen Osteingang des Hauptbahnhofs wird nachgedacht, über Parkplätze, über | |
ein Regenwasser-Rückhalte-Becken. All das soll irgendwo ins | |
Kulturschutzgebiet. | |
4 Dec 2012 | |
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Evangelische Kirche | |
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