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# taz.de -- Medienwissenschaftler über Talkshows: „Planwirtschaftliches Fern…
> Der Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister über die Gegenwart der
> deutschen Talkshow und warum das Format gefährlich ist.
Bild: Legendär: In Dietmar Schönherrs Talkshow „Je später der Abend“ kam…
taz.am wochenende: Herr Hachmeister, haben Sie eine Lieblingstalkshow?
Lutz Hachmeister: „Playboy after Dark“, mit Hugh Hefner, aber das war Ende
der 1960er Jahre. In Deutschland hat sich das Genre für mich überlebt, da
gibt es kaum neue Entwicklungen. Ich sehe mir aber gern Talkshows in
Italien oder Frankreich an, um Einblicke in die Mentalität dieser Länder zu
bekommen.
Was ist dort besonders?
Die französische Talkshow bietet eine Art intellektueller Folklore. Da
sitzt eine Chansonsängerin neben dem Politiker und einem Philosophen. In
Italien ist der Talk sehr schrill. Dieses Format gibt schon Einblicke in
den kulturellen Haushalt einer Nation.
Können Sie von den deutschen Talkshows auf die Gesellschaft schließen?
Das Format ist ja eigentlich unendlich. Wir reden von einer Talkshow, wenn
mehr als zwei Leute beim Miteinanderreden gefilmt werden. Bei uns dominiert
heute die pseudopolitische Talkshow, vor allem in der ARD. Und es gibt
ältere Formate, die noch in den Dritten Programmen laufen, die stärker
biografisch angelegt, aber auch stark auf die Promotion von Platten und
Büchern gerichtet sind …
… also „Riverboat“, „3nach9“?
Genau. Diese Variante ist ungefährlich und unspektakulär, da ist jede
Kulturkritik fehl am Platz. Sie hat amüsante Momente.
Was verrät sie über unsere Gesellschaft?
Sie zeigt eine Diskursentwicklung. Die Talkshow wurde, als sie aus dem
angloamerikanischen Bereich importiert wurde, in Deutschland und Österreich
auch benutzt, um über damalige Aufregerthemen, sagen wir: Homosexualität,
Gleichberechtigung, zu reden, über die man vorher nicht vor einem
Mainstream-Publikum redete. Aber das war eingebettet in eine andere
gesellschaftliche Situation. Da war mehr Aufbruch, weil es mehr Tabus gab,
und dadurch gab es interessantere Gespräche. Die Gesellschaft ist liberaler
geworden, vielleicht mit Hilfe dieser Sendungen. Insofern ist das
interessantere und gefährliche Format heute das der politischen Talkshow.
Inwiefern gefährlich?
In den Vereinigten Staaten haben Talkshows, etwa bei Fox News, den
politischen Diskurs nachhaltig verändert. Da dienen Talkshows direkt der
medialen Radikalisierung von Standpunkten und der Bestätigung von
Vorurteilen. Nun haben die USA eine ganz andere populistische Kultur, aber
wir sehen, wohin das führen kann. Der Talkshow-Overkill im
öffentlich-rechtlichen Fernsehen hat die AfD aufgewertet. Die AfD ist kein
mediales Phänomen, es gibt allerdings einen Verstärker- oder
Spotlighteffekt. Man hat in diesen Talkshows den Eindruck, es gibt
eigentlich zwei Parteien, den bürgerlichen Mainstream und die widerständige
AfD.
Das heißt, die AfD rückt dort von einer Neben- in eine Protagonistenrolle.
Und das liegt daran, dass zwischen den vielen politischen Talkshows eine
ungesunde Konkurrenz herrscht. Sie sind darauf angewiesen, die Temperatur
der Themen und die Pseudokonfrontation zu erhöhen, um gegen die anderen
Sendungen zu bestehen. Es gibt eine Beobachtung des österreichischen
Philosophen Robert Pfaller, die mir zuzutreffen scheint. Er sagte, in
früheren Talkshows seien Menschen mit interessanten Biografien miteinander
ins Gespräch gebracht worden, während es heute One-trick-ponys sind. Die
Leute werden gecastet für die Dramaturgie der Sendung. Ein politischer
Diskurs wird nur simuliert, da werden die Rollen besetzt wie im Theater.
Selbst die eingeladene Putzfrau darf nur in ihrer Rolle als sozial
Benachteiligte sprechen. Und wer wirklich mächtig ist, geht nicht in eine
Talkshow, sondern besteht allenfalls auf einem Einzelgespräch.
In der ARD gab es einmal fünf Talkshows, nun nur noch drei. Ist die
Konkurrenz noch so stark?
Es gibt Maybrit Illner im ZDF, alles Mögliche auf Phoenix oder n-tv.
Irgendwo läuft fast jeden Tag eine. Da findet im Hegel’schen Sinne ein
Umschlag von Quantität in negative Qualität statt.
Warum gibt es so viele?
Weil es planwirtschaftliches Fernsehen ist. Man kann ungefähr die Quote
absehen. Es ist im Vergleich zu anstrengenden Recherchen billig. Und es
schafft eine strukturelle Regelmäßigkeit, die den Programmmanagern gefällt.
Risikovermeidung ist das Lebenselexier technokratischer Programmplanung.
Das Porträt eines Mannes, der bei 800 Talkshows im Publikum saß, lesen Sie
in der taz.am wochenende [1][vom 18./19. Juni 2016.]
17 Jun 2016
## LINKS
[1] /Ausgabe-vom-18/19-Juni-2016/!162447/
## AUTOREN
Klaus Raab
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Fernsehen
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Schwerpunkt AfD
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