| # taz.de -- Plan von Schäuble und Scholz: Jugendhilfe nur noch nach Kassenlage | |
| > Länder sollen in Zukunft selbst über „Art und Umfang“ von Leistungen der | |
| > Jugend- und Behindertenhilfe entscheiden. Das bedeutet nichts Gutes, | |
| > warnen Kritiker. | |
| Bild: Hand drauf auf die regionalisierte Sozialgesetzgebung: Hamburgs Bürgerme… | |
| HAMBURG taz | Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) liebäugelt | |
| offenbar mit einer Grundgesetzänderung für eine „Regionalisierung der | |
| Sozialgesetzgebung“. Das geht aus dem Papier „Forderungen des Bundes“ von | |
| April 2016 hervor. Dort heißt es wörtlich: „Die Länder erhalten | |
| Abweichungsrechte (Artikel 72, Absatz 3 GG) für Art und Umfang der | |
| Leistungsgewährung in den Bereichen a) Eingliederungshilfe für behinderte | |
| Menschen (SGB XII) b) Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII).“ | |
| Das bedeutet nichts Gutes, warnt der Jugendhilfe-Experte Wolfgang Hammer: | |
| „Es wären alle Leistungsstandards von der Kindertagesbetreuung bis zu den | |
| Hilfen zur Erziehung dem jeweiligen Landesrecht und deren Kassenlage | |
| unterworfen.“ Damit wäre der „Einstieg in die Kleinstaaterei der Kinder-und | |
| Jugendhilfe“ vollzogen. So könnten dann in Mecklenburg etwa andere | |
| Standards gelten als in Hamburg. | |
| Eine in ganz Deutschland geltende Leistungssicherung der Daseinsvorsorge | |
| „gebe es dann nicht mehr“, mahnt Hammer, der bis 2013 die Hamburger | |
| Jugendhilfe-Abteilung leitete und Länder-Koordinator für Kinderschutz war. | |
| Er will seine Thesen am Montag im Paul-Löbe-Haus des Bundestages vortragen, | |
| bei einem [1][Fachgespräch der Linken]. Denn die Brisanz der geplanten | |
| Grundgesetzänderung sei kaum bekannt, sagt Hammer. | |
| Erstmals erwähnt wurde die Idee 2014 in einem Papier von Hamburgs | |
| Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und Schäuble zur Neuregelung des | |
| Länderfinanzausgleichs, die 2019 nötig wird. Ende 2015 einigten sich die | |
| Länder auf ein [2][Papier] und dort heißt es, es sei „zu prüfen“, ob und | |
| wie die Länder bei den Hilfen zur Erziehung und anderen Sozialleistungen, | |
| „beschränkte Gesetzgebungskompetenzen erhalten können“. | |
| Bis April 2016 wurde aus dem Prüfauftrag besagte „Forderung des Bundes“, | |
| eine Entwicklung, die auch Ver.di-Chef Frank Bsirske aufschreckte, wie er | |
| am 8. Juni in einem [3][Brief an die Bundestagsabgeordneten] schreibt. | |
| Faktisch führe diese Idee zur Sozialpolitik nach Kassenlage. „Das kann doch | |
| wirklich niemand wollen!“, schreibt Bsirske. | |
| Auch bei Sozialpolitikern gibt es Ablehnung. „Die Ansprüche nach dem SGB | |
| VIII sollten bundesweit einheitlich bleiben“, sagt etwa der Hamburger | |
| FDP-Politiker Daniel Oetzel, der jetzt in einer Anfrage nachfragt, was sich | |
| der Scholz-Senat von der Sache verspricht. | |
| Sönke Rix, Fachsprecher der SPD-Bundestagsfraktion, gibt Entwarnung. Es | |
| handle sich nur um einen Prüfauftrag. „Das wollen wir auf Bundesebene | |
| nicht. Von daher ist es auch nicht mehr im parlamentarischen Verfahren.“ | |
| Auch Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) erteilt eine klare | |
| Absage. Bei den im Papier zitierten Äußerungen „handelt es sich nicht um | |
| eine abgestimmte Haltung der Bundesregierung“, so ein Sprecher. Das | |
| Familienministerium lehne eine Regionalisierung der Sozialgesetzgebung ab. | |
| Doch unter den Finanzpolitikern scheint die Idee noch nicht begraben zu | |
| sein. Auf eine Anfrage der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Die Linke) | |
| antwortete Schäubles Staatssekretär am 14. Juni: „Ausgehend von den | |
| gemeinsamen Überlegungen des Bundesfinanzministers und des ersten | |
| Bürgermeisters von Hamburg“, sei der Vorschlag einer regionalen | |
| Sozialgesetzgebung „nach wie vor Gegenstand der Beratungen über die | |
| Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen“. Auch die taz erhielt diese | |
| Auskunft. | |
| „Es ist ernst zu nehmen, wenn mit Scholz und Schäuble die zwei wichtigsten | |
| Politiker in Länder-Finanzfragen diese Linie verfolgen“, warnt Hammer. Er | |
| sieht dadurch eine Gefährdung der notwendigen Reform des Kinder- und | |
| Jugendhilfegesetzes, die Ministerin Schwesig noch in dieser Legislatur | |
| verabschieden will. Nicht nur, dass Kinderrechte gestärkt und die | |
| Heimaufsicht geschärft werden sollen. Es ist auch als „große Lösung“ eine | |
| Fusion von zwei bisher getrennten Gesetzen geplant. | |
| Die Jugendhilfe und die Eingliederungshilfe für behinderte Kinder sollen | |
| künftig gemeinsam im achten Sozialgesetzbuch geregelt werden, so | |
| nachzulesen in einem Eckpunkte-Papier von Schwesig aus dem März. Dafür | |
| sollen die entsprechenden Abteilungen von 593 Jugendämtern und 322 | |
| Sozialämtern fusionieren. Der Prozess soll fünf Jahre dauern und betrifft | |
| über 1,5 Millionen Kinder und ein Volumen von 11,1 Milliarden Euro. Der | |
| Sinn ist die Hilfe aus einer Hand. Familien sollen nicht mehr zwischen | |
| Ämtern hin- und hergeschoben werden, so die Idee. | |
| Doch diese Reform darf nicht mehr kosten, wie etwa der Städtetag warnt. | |
| Kosten könnten zum Beispiel entstehen, weil „Familien schneller zu ihrem | |
| Recht kommen, weil sie nicht mehr von Pontius zu Pilatus geschickt werden“, | |
| sagt Hammer. Die Grundgesetzänderung sei quasi Beruhigungspille für die | |
| Haushälter, werde aber „die ganze Reform gefährden“. | |
| 23 Jun 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.linksfraktion.de/termine/anforderungen-sgb-viii-novelle/ | |
| [2] http://www.hamburg.de/contentblob/4650174/3284e78783b227a16c6c36305521667b/… | |
| [3] http://www.axel-troost.de/serveDocument.php?id=3136&file=5%2F1%2F152.pdf | |
| ## AUTOREN | |
| Kaija Kutter | |
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