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# taz.de -- Steinmeier besucht Argentinien: Ungenügendes Eingeständnis
> Außenminister Steinmeier traf in Argentinien Opfer der Militärdiktatur.
> Viele Deutsche wurden damals von seinem Ministerium im Stich gelassen.
Bild: Gedenken im Parque de la Memoria: Außenminister Frank-Walter Steinmeier
BUENOS AIRES taz | Anlässlich seines Besuchs in Argentinien traf sich
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier am Freitag mit Angehörigen von
Opfern der Militärdiktatur von 1976 bis 1983. Ein gute Stunde nahm sich
Steinmeier Zeit für das Gespräch im Parque de la Memoria, der
Erinnerungsstätte der Ermordeten und Verschwundenen in Buenos Aires. Er
habe großen Respekt vor der Aufklärungsarbeit in Argentinien, sagte er im
Anschluss.
„Unter den Opfern waren auch Deutsche und Deutschstämmige, der Fall
Elisabeth Käsemann ist sehr bekannt und wir haben versucht an der
Aufklärung nicht nur in diesem Fall behilflich zu sein,“ so Steinmeier. Die
Dokumente in den Archiven des Außenamts seinen seit vielen Jahren
zugänglich und von Forschern und Journalisten genutzt worden. „Aber auch
hier lässt sich im Rückblick sagen, dass man intensiver dem hätte nachgehen
müssen,“ gestand Steinmeier jedoch ein.
Etwas mehr als 100 Deutsche und Deutschstämmige wurden von den Schergen der
Diktatur verfolgt, viele davon ermordet. Während Frankreich, Großbritannien
und zahlreiche andere durch ein rasches Eingreifen viele ihrer
Staatsangehörigen retten konnten, blieb den Deutschen und Deutschstämmige
jede Hilfe versagt. Niemand wurde gerettet. Die ständigen Beteuerungen des
Auswärtigen Amtes gegenüber Familienangehörigen, man bemühe sich und
versuche „alles nur menschenmögliche“, waren reine Schutzbehauptungen.
Wie beschämend das Verhalten der deutschen Botschaft in Buenos Aires und
der damaligen sozialliberalen Regierung Schmidt/Genscher war, zeigt
beispielhaft die gewaltsame Entführung und Ermordung der aus Tübingen
stammenden Studentin Elisabeth Käsemann. Schon wenige Tage nach ihrer
gewaltsamen Verschleppung in der Nacht zum 9. März 1977 war das Geschehen
auch in Deutschland bekannt.
Dafür sorgte ein Bericht der Britin Diana Austin, den sie auch ans
Diakonische Werk und an Amnesty International sandte. Austin, eine Freundin
Elisabeth Käsemann, war am gleichen Tag verhaftet worden und hatte die
Deutsche noch in Polizeihaft gesehen. Als Austin – nicht zuletzt auf
Intervention der britischen Regierung – nach schwerer Folter und mehrfacher
Vergewaltigung freikam, meldete sich sie bei der Familie Käsemann.
## Aufarbeitung nur aus der Zivilgesellschaft
All das wurde dem Auswärtigen Amt am 26. April 1977, einen Monat vor der
Ermordung Elisabeth Käsemanns, vorgelegt und dringend um Hilfe gebeten.
Daraufhin teilte das Auswärtige Amt mit, da die argentinische Regierung von
einer Elisabeth Käsemann nichts wisse, könne man nichts unternehmen. Noch
nachdem die Leiche Elisabeth Käsemanns nach Deutschland überführt worden
war und nach einer Obduktion die Ermordung festgestellt wurde, galt für die
Bundesregierung offiziell immer noch die Version, die junge Frau sei bei
einem Feuergefecht ums Leben gekommen. Ihr Vater, der des evangelischen
Theologen Ernst Käsemann hatte damals gegen Außenminister Hans-Dietrich
Genscher wegen unterlassener Hilfeleistung geklagt. 1980 wurde die Klage
jedoch abgewiesen.
„Die Aufarbeitung der Fälle der deutschen und deutschstämmigen Opfer kam
ausschließlich aus der Zivilgesellschaft, also Journalisten, Forscher oder
Menschenrechtsgruppen,“ sagte Heike Hänsel, Vizechefin der Linksfraktion
und Abgeordnete für den Wahlkreis Tübingen, die an der Reise teilnahm. Hier
müsste das Außenamt eine aktivere Rolle einnehmen. Hänsel zeigte sich denn
auch etwas enttäuscht. Noch immer gebe es in Sachen deutscher Opfer unter
Verschluss gehaltene Dokumente. „Deren Freigabe wäre angesichts des Besuchs
ein gutes Zeichen gewesen, hier wäre es der richtige Ort gewesen.“
Ähnlich sieht es Wolfgang Kaleck. Zwar begrüßte der Anwalt von
Folterüberlebenden und Familienangehörigen sowie als Sprecher der Koalition
gegen Straflosigkeit das sich Außenminister Steinmeier wenige Wochen nach
seiner Rede zu Colonia Dignidad ein weiteres Mal zum Verhalten seines Amtes
zu den lateinamerikanischen Militärdiktaturen der 1970er Jahre befasste.
Aber es sei zu wenig.
„Wie schon im Falle der Pinochet-Diktatur in Chile muss die Rolle deutscher
Diplomaten während der Militärdiktatur in Argentinien untersucht werden,
und zwar in dem das Amt alle Archive öffnet und unabhängige Experten mit
der Aufarbeitung beauftragt,“ so Kaleck und erinnerte zugleich daran, dass
nicht nur die deutsche Außenpolitik eine Bringschuld habe: Der Fall der
verschwundenen Gewerkschafter von Mercedes Benz (1976/1977) harrt ebenfalls
noch der Aufklärung.
4 Jun 2016
## AUTOREN
Jürgen Vogt
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