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# taz.de -- 30 Jahre Zeitschrift „Wendy“: Wir Pferdemädchen
> Die Liebe von Mädchen zu Pferden wird oft belächelt. Zu Unrecht. Die
> Verbindung scheint eine universelle weibliche Erfahrung zu sein.
> taz-AutorInnen erzählen.
Bild: „Wendy“ und die Wirkung?
Pferde-Gimmicks
In meiner Erinnerung waren es die Dienstage. Ich stand nach der Schule mit
meinem Fahrrad – es hieß Pony und war lila, es hätte zum sechsten
Geburtstag kein anderes Modell sein dürfen – an der einzigen Kreuzung in
unserem kleinen Dorf. Ich wusste, ich muss jetzt nach rechts fahren.
Aber links ging es zum Zeitschriftenladen, und da lag die neue Wendy. Ein
Mähnenkamm würde dabei sein, oder ein Hufkratzer. Wenn man kein eigenes
Pony hatte, war es sehr wichtig, wenigstens einen Mähnenkamm zu haben. Er
machte einen träumen, wenn man mit den Fingerspitzen die pinken
Plastikzinken entlangfuhr.
Also fuhr ich am Feuerwehrhaus nach links. Meistens stand ich dann mit
zitternden Knien hinter dem quietschenden Ständer mit den Kindercomics und
versuchte, möglichst schnell die kostbaren Bildchen in mich aufzusaugen:
Wendy Thorsteeg war unglaubliche 15 Jahre alt, hatte ein weißes Pferd,
Penny, und lange blonde Haare und war wunderschön.
Da sprintete auch schon die sauertöpfische Zeitungsfrau hinter ihrem Tresen
hervor und schrillte: „Das Berühren der Figüren mit den Pfoten ist
verboten.“ Das sagte sie immer, weil sie wusste: Meistens hatte ich keine 3
DM Taschengeld, um mir die Wendy zu kaufen.
Später hatte ich dann ein eigenes Pony. Ständig blieb dieser bescheuerte
Mähnenkamm in dessen Zottelmähne stecken.
[1][ANNA KLÖPPER]
Ponyhof-Realität
Die leuchtende Wendy-Welt verprach alles, was sich Pferdemädchen wünschten:
Für Ausritte in den Wald sattelte Wendy ihre Pintostute Dixie.
Hannoveraner-Schimmel Penny stand bereit, wenn Wendy wieder das ein oder
andere Spingtunier gewinnen wollte. Ob Ausritt oder Reithalle – immer
flogen Wendy's voluminöse Haare wild im Wind.
Ich war zehn, wollte auch so wild sein und zwang meine Eltern, mich zum
nächstgelegenen Ponyhof zu karren. Erste Anordnung der Reitlehrerin:
Reitkappe auf. Aus Versicherungsgründen. Aus der Traum von den wehenden
Haare.
Die nächste Enttäuschung: Das Schulpferd Ajax. Mit Dixie oder Penny hatte
Ajax ungefähr so viel Ähnlichkeit wie ein Handfeger mit einer Designer
Vase. Der knöcheltiefe Staub der Reithalle schien seine Schritte auf zu
saugen, das mit dem Galoppieren konnte ich vergessen. Ich gab auf.
Die Ponyhof-Realität war einfach zu hart für mich. Aber dafür konnte ja
Wendy nichts – ihr blieb ich noch jahrelang treu.
[2][LINA SCHWARZ]
Poster-Pony
Früher konnten PferdebesitzerInnen ein Foto von ihrem Pferd an die Wendy
schicken – und die haben dann, wenn das Tier besonders schön war, das Foto
auf ein Poster oder eine Postkarte gedruckt.
Irgendwann schlug ich die neue Wendy auf und entdeckte darin ein Poster von
einem Pferd, das einem Mädchen von meinem Reiterhof gehörte. Ein brauner
Wallach, schwarze Mähne im Wind, anmutiger Galopp über eine grüne Wiese.
Was für ein Bild!
Ich war stolz wie Bolle, dieses Pferd zu kennen und hab damit unter
Freundinnen angegeben. Aber eigentlich war ich auch ganz schön neidisch,
weil ich selbst gern so ein schönes Poster-Ponny gehabt hätte.
[3][ANNE FROMM]
„Wendy“ in Westafrika
Meine erstes Wendy-Heft bekam ich in den Sommerferien 1987 und war
fasziniert. Anfangs hieß das Heft mit den tollen Extras wie Hufauskratzern,
Mähnenkämmen und Bügelbildern nur so, und die Comics waren abgeschlossene
Geschichten.
Wendy selbst tauchte erst ein paar Jahre später als Fortsetzungscomic
gemeinsam mit ihren Pferden Penny und Miss Dixie auf. Letzteres war eine
Revolution: ein Westernpferd. In den frühen 1990er Jahren gab es davon in
Deutschland noch nicht allzu viele, und in vielen Reitvereinen rümpfte man
über die USA-Importe die Nase.
Irgendwann ließ die Begeisterung nach. Ich wurde älter, Wendy jedoch blieb
die ewig 15-Jährige. Geblieben ist das Interesse an Pferden. Statt Penny
und Miss Dixie begleiteten mich Ricke, Cheval, Finn und Stina über
Jahrzehnte.
Als ich vor sechs Jahren nach Westafrika zog, kaufte ich mir in Cotonou als
erstes wieder ein Pferd – noch bevor ich ein Auto und überhaupt meine
Aufenthaltsgenehmigung hatte. Meine Freunde belächelten es und sahen es mir
nach: „Sie bleibt einfach Wendy“ – in Westafrika.
[4][KATRIN GÄNSLER]
Warum nur für Mädchen?
Seit mein Sohn (fast 4) mitgekriegt hat, dass Prinzessin Elsa was für
Mädchen ist, will er ein Sire Wars-Puzzle (Star Wars) zum Geburtstag. Ich
finde das schade. Wie geht es weiter?
Wird er irgendwann seine rosafarbene Lieblingsstrumpfhose zum Teufel hauen?
Die sprechende Puppe verbannen? Nicht mehr jeden Samstag betteln, in die
Hasenheide zu fahren, zum Pferdchen reiten? Naja, so weit wird es doch
hoffentlich nicht kommen.
Es gibt ja noch Yakari, den kleinen Sioux-Jungen, der mit den Tieren reden
kann und auf seinem Mustang Kleiner Donner über die Steppe prescht. Aber
langsam kommt er dahinter, dass bestimmte Dinge für Jungs sind und andere
für Mädchen. Und dass seine Freunde ihn auslachen, wenn er Glitzer mag oder
Röcke trägt.
Eine Mädchenzeitschrift, die Jungs nur in marginalen Rollen in ihren
Geschichten auftreten lässt, wie Wendy, verfestigt Geschlechterstereotype
und schließt andere aus, in diesem Fall Jungs. Und daran, dass es später
trotzdem vor allem Männer sind, die bei Turnieren oder Olympia ganz oben
mitreiten, ändert auch ein Pferdeheftchen für Kinder nicht. Im Gegenteil.
[5][SUNNY RIEDEL]
Zu große Ostpferde
Als ich ungefähr sechs war, wollte ich ein Pferd haben, so wie viele
Mädchen. Es sollte auf dem Balkon stehen, ich hätte es jeden Tag mit dem
Gras von der Wiese vor dem Neubau gefüttert. So was wie Wendy hatte ich
damals im Osten nicht.
Aber ich bekam Reitunterricht. Jeden Montag fuhr auf einen Reiterhof nach
Hoppegarten. Die Pferde waren groß, die Reitlehrerin hatte eine
Kodderschnauze. Und ich? Hatte nur noch Schiss und fand, dass Reiten die
blödeste Idee war, die ich als Kind je hatte.
[6][SIMONE SCHMOLLACK]
Ein weiß umzäuntes Gestüt
Wenn meine Eltern früher – was sie sich bald abgewöhnten – nach einem
Wunschzettel fragten, lieferte ich binnen kürzester Zeit eine säuberlich
angefertigte Liste von etwa zwanzig Pferden unterschiedlicher Rassen,
inklusive Namensvorschlägen und Kaufpreis.
Damit ich nicht länger sämtliches Taschengeld in das telefonbuchdicke
Kleinanzeigenmagazin „Pferdemarkt“ butterte, brachte meine Mutter mir aus
der Stadt öfter mal eine Wendy mit. Indem ich die fortan trotzig unterm
Abendbrottisch las, konnte ich meinen Eltern immerhin subversiv
verklickern: Das Einzige, was ich mir jemals von Euch wünsche, ist ein weiß
umzäuntes Gestüt. Oder zumindest Ferien auf einem.
Meine Mutter erinnert sich heute noch schaudernd, wie sie mich nach einer
Woche Wendy-Rollenspiel auf einem Reiterhof irgendwo in Niedersachsen
völlig ausgezehrt und verdreckt wieder ins Auto lud. Trotzdem bereut sie
nichts. Schließlich ging meine frühpubertäre Dekadenz am Ende glimpflicher
ab als bei den Jungs aus meiner Klasse, die Autobild lasen und noch heute
auf dem Dorfplatz am tiefergelegten Golf rumschrauben. Danke, Wendy!
[7][JOHANNA ROTH]
Liebe und Schmerz
Meine Geschichte mit Pferden ist voller Liebe und Schmerz. Sie beginnt mit
einem Steckenpferd. Besenstiel, ausgestopfte Socke. Der Besenstiel war zu
lang, vielleicht eignete sich auch die Treppe nicht zum Galoppieren. Blut,
Pflaster und Tränen.
Mit der Attrappe hatte es nicht funktioniert, jetzt wollte ich was echtes.
Die Gegenargumente wischte ich vom Tisch. Zu teuer? Kein Platz? Mein
Taschengeld hätte ich hergegeben, den Garten meiner Eltern auch. Die
blieben hart. Ich bekam einen Goldfisch und war traurig.
Mangels Eigentum ging ich zum Reitkurs. Eines Tages erschrak die nervöse
Stute, die mich im Kreis durch die Halle tragen sollte, und warf mich ab.
Ich brach mir den rechten Arm direkt unter der Kugel und bekam eine Art
Ganzkörpergips vom Hals bis zur Hüfte.
Die gesamten Sommerferien lang. Meine Klasse lag am Baggersee, ich heulte.
Danach fühlte ich mich zu alt für Pferde. Man könnte auch sagen, ich gab
auf.
[8][PATRICIA HECHT]
Der einzige Pferdejunge
Eigentlich hätte ich zur Zielgruppe von Wendy gehört- doch ein Abonnement
oder gar der Erwerb einer solchen Publikation in einem
Zeitschriftengeschäft wäre in den Achtziger Jahren vielleicht noch
schlimmer als der Besitz einer Barbie-Puppe oder eines schwulen Pornoheftes
gewesen.
Auch ich erlernte in meiner frühen Jugend die Kunst des Reitens – und war
selbstverständlich der einzige Junge unter all den Mädchen hoch zu Ross die
da longierten, voltigierten und striegelten. Bis zum Springreiten hatte ich
es seinerzeit gebracht – sehr zur Freude des Reitstallbesitzters, der
sichtlich erleichtert war, endlich auch mal einen seiner
Geschlechtsgenossen im Sattel zu sehen.
Außer ihm, dem zahnlosen Stallknecht Paul und ein bis zwei, nun ja,
Wallachen: nur weibliche Wesen auf dem Gehöft. Pferdemädchen eben. Und ein
Pferdejunge, der sich später als schwul outen sollte. Was für ein Klischee.
Besser ist nur diese Lebensbeichte einer Kollegin: „Erst hatte ich ein
Pferd und dann einen besten schwulen Freund“. Sie durfte natürlich
problemlos Wendy lesen.
[9][MARTIN REICHERT]
Wunsch und Wirklichkeit
Wie gerne wäre ich ein Pferde-Mädchen gewesen. Mit wehendem Haar im Sattel
die Welt erobern, im Galopp wagemutig über gefährliche Hindernisse
springen. Mit Dreckspritzern im Gesicht, aber überglücklich, das vom
schnellen Laufen dampfende Pferd abhalftern und im warmen Stall trocken
striegeln. So hatte ich mir das vorgestellt. Nur dass das mit den realen
Pferden nicht so war.
Im Reitkurs bekam ich den störrischsten Gaul, den es gab und war in erster
Linie damit beschäftigt, das Biest davon abzuhalten, mich ständig ins Bein
zu zwicken. Egal, was ich tat, das Vieh machte was es wollte und das war im
Schritt vor sich hinzutrotten und an jedem Grasbüschel zu fressen, der sich
bot. Ich war nicht mehr als eine lästige Fliege auf seinem Rücken und die
anderen längst davon galoppiert.
Statt mir ein anderes Pferd zu geben, ein sanftmütiges, folgsames, ein für
ängstliche Kinder wie mich geeignetes Pferd, beschlossen meine Eltern: Das
mit dem Reiten ist nichts für Dich. Ohnehin ein viel zu teurer Sport. Ein
Glück, dass das Kind das nicht kann.
Was mir blieb, war die Wendy. Die bekam ich als Tochter eines Kioskinhabers
umsonst. Und so träumte ich weiter von einem Leben, das nicht meines war.
[10][MARLENE HALSER]
Die Pony-Revolutionärin
Die Heldin meiner Kindheit war Edel Rex, eine trinkfeste, ständig heisere
Fünfzigerin. Sie brachte Islandponies in den 60er Jahren nach Deutschland
und machte sich nichts aus der Verachtung der
Großpferdereitverein-Langweiler.
Man durfte auf dem Rexhof die Pferde mit einem Strick von der Weide holen,
Ställe gab es nicht. Heute nennt sich das „Robusthaltung“. Gleich beim
ersten Mal durfte man ausreiten, sogar Galopp (alles Gute für Dich, Refna,
im Pferdehimmel!). Man trug natürlich keinen Helm, auch nicht unbedingt
richtige Reithosen, ritt im Pulk durch den Baggersee und durfte sich so
schmutzig machen, wie man wollte.
Die Reitstunde am Mittwoch, dem billigsten Tag, kostete fünf Mark. Es war
einer der glücklichsten Momente, hinter Edel Rex auf Viking durch die
Abenddämmerung zu reiten, während sie unter ihrem Cowboyhut leise vor sich
hin sang. Edel Rex starb später beim Brand ihres Hauses, als sie ihren
Welpen retten wollte. Der Rexhof machte noch viel später pleite. Prost und
danke für die schöne Zeit!
[11][BARBARA DRIBBUSCH]
„Wendy“ vor Ort
Ich kann nicht reiten. Mit mir gehen immer die Pferde durch. Warum
ausgerechnet mich vor langer Zeit der publizistische Ruf ereilte, einen
Fotoroman für die Wendy zu stemmen, weiß ich nicht.
Es ging darin eigentlich um alles (erste und letzte Liebe, Verrat,
Taschengeld und Postboten) und fand in Hövelhof statt. Die beschauliche
Sennegemeinde liegt in Ostwestfalen-Lippe und besonders das „Shooting“ vor
Ort hatte es in sich – nichts klappte so, wie ich es ins Drehbuch
hineingeschrieben hatte.
Das Leben ist eben kein Ponyhof. Happy Birthday, Wendy!
[12][HARRIET WOLFF]
3 Jun 2016
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