# taz.de -- Erinnerungen an die strikten Siebziger: Ein Katalog der Missgeschic… | |
> Viv Albertine ist stolz auf ihre Fehler. Die britische Punk-Künstlerin | |
> liest in Berlin aus „A Typical Girl“, ihren Memoiren über die Zeit der | |
> Befreiung. | |
Bild: Sie sei keine Legende, sagt Viv Albertine über sich | |
Viv Albertine ist angetreten, um eine Legende zu zerstören. Ihre eigene. | |
Immerhin war sie Gitarristin der wegweisenden Londoner Frauenpunkband The | |
Slits, und so wird ihr dieser Status gern verliehen. Sie mag ihn nicht. Im | |
Punk gebe es keine Legenden, schon gar keine, die noch leben. | |
Und so sitzt sie jetzt ganz lebendig, ja jugendlich, auf der Lesebühne des | |
Kulturkaufhauses Dussmann in Berlin und stellt ihre Autobiografie „ A | |
Typical Girl“ (Suhrkamp) vor, ein Buch voller Episoden des Scheiterns, ein | |
Katalog der Missgeschicke, voller peinlicher Situationen, wie sie betont. | |
Einige davon gibt sie zum Entzücken der vielen Zuhörer zum Besten, und zwar | |
sehr intime: Es wird rumgemacht in einer Teenagerclique, die zum Who’s who | |
des Punk werden sollte. Albertines Leser werden die Namen Johnny Rotten und | |
Sid Vicious nie mehr hören können, ohne an Schamhaare zu denken. Es geht | |
Viv aber auch um ein Sittenbild jener Zeit. | |
Gerade jetzt, wo doch die Ästhetik der siebziger Jahre so hip sei, wolle | |
sie uns daran erinnern, dass das England von damals moralisch noch in den | |
1940ern steckte. Die Straßen von Nordlondon trauten sich die Slits nur zu | |
viert entlangzugehen, weil sie tätliche Angriffe abwehren mussten, so, wie | |
sie aussahen. | |
Es ist eine der Errungenschaften von Punk, dass sich das Frauenbild – nicht | |
nur in der Musik – radikal verändert hat, aber Rollenklischees zu | |
zertrümmern war nicht einfach: „Die Slits waren keine Musikerinnen, sondern | |
Kriegerinnen“, sagt Viv, „lautstark gegen Doppelmoral.“ | |
## Jeder hat das Recht | |
Die Botschaft, die sie ihrem heutigen Publikum vermittelt, ist, dass Erfolg | |
nicht so wichtig ist, es geht nicht darum, jedes Jahr ein Album | |
einzuspielen. Für Albertine ist Musik radikaler, ein lebensveränderndes | |
Vehikel. Was zählt, ist die Leidenschaft. Man muss weder gut aussehen noch | |
gut spielen, um auf der Bühne zu stehen. Jeder hat das Recht, gehört zu | |
werden. Das ist die Essenz von Punk. Echt zu sein, stolz zu sein auf seine | |
Unzulänglichkeiten. | |
Viv Albertine ist stolz auf ihre Fehler. „Oh mein Gott, was habe ich | |
gelernt“, lacht sie. Sie stellt das Scheitern über den Erfolg, weil daraus | |
neue Anfänge entstehen, weil Scheitern lebendig ist. Eine gute Botschaft | |
für unsere superoptimierte Zeit. | |
Im November wird die Sex-Pistols-Single „Anarchy in the UK“ 40 Jahre alt, | |
bereits jetzt sind die Scheinwerfer auf die Anfänge von Punk gerichtet. | |
Albertines Memoiren sind im Original allerdings schon 2014 erschienen. Bei | |
dieser Lesung geht es um die deutsche Ausgabe, die sie hinterher in Berlin | |
bestimmt hundert Mal signieren musste. | |
31 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Monika Dietl | |
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