# taz.de -- Keine Todesanzeige für NS-Opfer: „Es stört die Trauer der ander… | |
> Auch Todesanzeigen können zensiert werden. Meine Ururoma kam in den | |
> Gaskammern der Nazis um. Echo Medien wollte davon nichts wissen. | |
Bild: In Bulgarien werden Todesanzeigen an Häuserwänden angebracht | |
Wussten Sie, dass es ganze wissenschaftliche Abhandlungen zum Thema | |
Todesanzeigen gibt? Todesanzeigen variieren, lernte ich, ganz nach | |
Gedenkkultur. In Italien werden sie an Hauswände gehängt, in Deutschland | |
stehen sie nüchtern in der Zeitung. Ich lernte auch, dass Todesanzeigen | |
dazu dienen über die Todesumstände zu informieren. Erinnert wird an die | |
verstorbene Tante Emma, die „selig entschlafen“, oder an Paul, der „viel … | |
früh“ gegangen sei – eine Klausel für einen Unfalltod oder eine Krankheit. | |
Auch die Person soll im Fokus stehen. Beruf, Charakter oder auch mal das | |
größte Hobby werden ausformuliert. Selbst Runen oder der Verweis auf | |
Zugehörigkeit zur Waffen-SS fanden sich schon in den schwarzen Kästen. | |
„Durchgerutscht“, heißt es dann aus den Anzeigenabteilungen. | |
Der Verweis „Von Nazis in der Gaskammer in Hadamar ermordet“ taugt jedoch | |
nicht als Information. Das zumindest findet die Verlagsgruppe Echo Medien | |
und hat ihn aus der heute erscheinenden Todesanzeige zum 75. Todestag | |
meiner Ururgroßmutter Apollonia Riebel gestrichen. „Menschen voller Hass | |
und Fanatismus grenzten aus, demütigten, quälten und ermordeten Millionen. | |
Hass und Fanatismus und der Beifall vieler sind ungebrochen bis heute“, | |
fiel ebenfalls der Zensur zum Opfer. | |
„Es stört die Trauer der anderen“, sagte man meiner Oma, die die Anzeige | |
schaltete. Mir sagte man: „Auf den Seiten herrscht schon so viel Leid, das | |
muss wirklich nicht sein.“ Trotz mehrfacher Nachfrage dürfen die Sätze | |
heute nicht im Odenwälder, dem Groß-Gerauer und dem Ried-Echo stehen. | |
## Auch in der Familie ein Tabu | |
Beim Pfingstessen wird die Zensur in der Familie besprochen, man ist | |
aufgeregt. Genau über die Todesumstände informieren, genau die Täter | |
deutlich machen, das wollte meine Oma. Sie, eine Alt-68erin, die erst in | |
den 90er Jahren zufällig auf einem Weihnachtsmarkt vom gewaltsamen Tod | |
ihrer Großmutter erfahren hatte, hat seither alle Dokumente über Apollonia | |
Riebel zusammengetragen. | |
„Eigentlich seltsam“, seufzt Oma Elke. „Ich hatte eine ähnliche Anzeige … | |
der Frankfurter Rundschau gesehen und das Ganze nur etwas umgeändert.“ Dann | |
erzählt sie, dass in ihrem Elternhaus alles tabu war, was von 1933 bis 1945 | |
geschah. „Alles. Auch was mit Apollonia passiert ist.“ | |
Nicht nur in ihrer Familie wurde das Thema totgeschwiegen. Auch die | |
offizielle Aufarbeitung der Geschichte der angeblichen Heilanstalt Hadamar | |
nahm erst Ende der 70er Jahre Fahrt auf. Die Nachfolgeorganisation, der | |
Landeswohlfahrtsverband Hessen, ließ die Patientenakten jahrelang | |
unbeachtet. | |
Dabei wurden in Hadamar in nur acht Monaten mehr als 10.000 psychisch | |
Kranke im Rahmen der Aktion T4 von Ärzten vergast. Später starben noch | |
einmal rund 5.000 Menschen durch Medikamente, Verhungern oder Gift. | |
Der Brief an meine Familie von 1941 mit der Todesnachricht meiner | |
Ururgroßmutter spricht von einer Blutvergiftung. Das Schreiben datiert den | |
Tod auf Juni. Umgekommen ist sie aber, wie Oma Elke später herausfand, am | |
20. Mai – dem Tag ihrer Ankunft in Hadamar. | |
Warum und wie dies geschah, werden wir heute leider nicht in unserer | |
Lokalzeitung lesen. Vielleicht, denke ich, hätten wir in die Todesanzeige | |
Runen einfügen sollen. | |
Update 20.05., 15.20 Uhr: Die Verlagsgruppe Echo Medien [1][hat reagiert]. | |
Die Abänderung der Anzeige sei der „Fehler eines einzelnen Mitarbeiters“. | |
Im Schreiben bedauert der Verlag den Fehler und entschuldigt sich | |
„insbesondere bei den Angehörigen der betroffenen Familie“. | |
20 May 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.echo-online.de/ratgeber/internet-und-elektronik/netzwelten/in-ei… | |
## AUTOREN | |
Alina Leimbach | |
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