# taz.de -- Schwule Pinguine im Tierpark Hagenbeck: Don't talk, don't tell | |
> Der Tierpark Hagenbeck hat vom Berliner Zoo zwei Pinguine geschenkt | |
> bekommen. Zu Besuch bei einem schwulen Paar. | |
Bild: Ernie und Bert heißen nun Kalle und Grobi | |
Diese Meldung war kürzlich in einer Berliner Zeitung zu lesen: „Schwule | |
Pinguine fremdeln noch im Hamburger Tierpark“. Was war passiert? Im | |
Berliner Zoo gibt es viele Exemplare dieser Vogelart, deren Angehörige | |
nicht fliegen können, aber so gut schwimmen und tauchen wie niemand sonst. | |
Zoos tauschen sich aus. Also wurden Stan und Olli, wie die beiden Exemplare | |
dieses Paars genannt wurden, nach Hamburg verschenkt. Warum es genau diese | |
beiden Königspinguine waren, hatte mit der Sensibilität von Berliner | |
Tierpflegern zu tun: Paare trennt man nicht zwangsweise. | |
Also hin zum Tierpark Hagenbeck in Hamburg, mal gucken, wie es den beiden | |
geht. Im vor knapp vier Jahren vollkommen neu erbauten „Eismeer“, einer mit | |
viel Betonschaum konstruierten Simulation der korrekten geografischen und | |
klimatischen Bedingungen für in der Antarktis lebende Tiere, muss man aus | |
mittelkühler Frühlingsatmosphäre durch eine Tür schreiten. Dahinter ist es | |
kalt, nicht antarktisch, aber doch: sehr runtertemperiert. Es riecht | |
fischig. Pinguinatmo also. Welche Sorte dieser durch alle Evolution | |
hindurch flugunfähig gemachten auch immer: Pinguine essen das, was aus dem | |
Wasser kommt, Fische und Krill. Und so riechen sie auch. | |
Es ist ein schönes Eismeer. Olli und Stan sind nicht zu sehen. Pinguine, | |
das haben Zoolog*innen herausgefunden, bleiben meist in Paarschaft, die | |
Partner*innenwahl ist eine ewige. Hier in „Hagenbeck“ – wie man in Hamburg | |
kurz sagt – ist in diesem Gehege alles getan worden, was man Tieren wie | |
Pinguinen Gutes tun kann: abgesehen von der Entlassung in ihre natürliche | |
Umwelt. | |
Mit dem Begriff „Natur“ kommt man allerdings in zoologischer Hinsicht nicht | |
weiter. Vor einigen Jahren hat der kanadische Zoologe Bruce Bagemihl ein | |
Buch veröffentlicht („Biological Exuberance: Animal Homosexuality and | |
Natural Diversity“), in dem er aufgeschrieben hat, was Tierforscher seit | |
Ende des 19. Jahrhunderts so vor sich hin glaubten: in Tieren auch die | |
menschliche Natur gespiegelt zu sehen. | |
Also mit Mann und Frau, die sich zusammentun, um sich zeugend zu paaren – | |
für den Nachwuchs. Bagemihl hingegen notierte, wenn man so will, Sehfehler: | |
In der Tierwelt gibt es diese heterosexuelle Dauerkonstruktion nicht. | |
Hyänen und Löwen, Flamingos und Giraffen und Pinguine | |
gleichgeschlechtlicher Art können sich begehrend umeinander kümmern. | |
Kuschelnd, schnüffelnd, leckend, kraulend, Flöhe auspulend, schubsend, sich | |
neckend und raufend, bei Bullen sogar mit stärkster Kraft: Lustbefördernde | |
Tätigkeiten, ohne nach biologische Nützlichkeit zu fragen. | |
Die Partner*innenwahl ist zufällig, wie in gewisser Weise bei Menschen | |
auch, aber das Füreinanderdasein ist offenbar nur begrenzt an das geknüpft, | |
was Fortpflanzung bewirkt. | |
## Ein Ei zu viel | |
Andererseits weiß man von Pinguinen, dass schwule Exemplare sehr wohl | |
elterliches Verhalten zeigen. Eine heterosexuell orientierte Pinguinin | |
legte einst, so ist in der einschlägigen | |
Pinguinverhaltensforschungsliteratur zu lesen, zwei Eier. Das war zu viel. | |
Also wurde das andere Ei einem schwulen Paar unterlegt. Und was tat es? | |
Beide brüteten und zogen ihren Nachwuchs auf – sie sollen hingebungsvolle | |
und verteidigungsbereite Eltern gewesen sein. | |
Das sind ja alles schöne, irritierende, besonders für Kinder absolut | |
unterhaltsame Geschichten. Zumal diese höchst interessiert gucken, wenn | |
plötzlich zwei Pinguine tüchtig miteinander, nun ja, vögeln. Das sieht im | |
Übrigen beiläufig und doch ziemlich intim, ausgestellt intim aus. Aber die | |
Kleinen gucken mit Tunnelblicken auf das Geschehen. | |
Aber wirbt Hagenbeck mit diesen Natürlichkeiten, diesen evolutionären | |
Schöpfungen, die sich mit den hierzulande klassischen Mann-Frau-Erzählungen | |
nicht einfangen lassen? Nichts. | |
Anruf in der Pressestelle des Hauses. Eine fröhliche Frau Hansen ist | |
thematisch im Bilde. Ja, es gebe diese beiden Berliner Pinguine. Man habe | |
sie allerdings umgetauft, nun heißen sie Kalle und Grobi. (Ist den | |
Betroffenen wahrscheinlich egal, Pinguine können menschliche Stimmlagen | |
schlecht hören.) Ja, das Gehege im „Eismeer“ sei ein reines Männerding. | |
„Ein Männergesangsverein“, sagt sie launig. Das Felsenteil müssen sie sich | |
allerdings mit Eselspinguinen teilen. Und für die Männer sei Hagenbeck | |
vielleicht nur eine Zwischenstation, wenn ein anderer Zoo männliche | |
Exemplare für die Fortpflanzung brauche, könne man liefern. Aber, so | |
schwört sie, Paare würden nicht getrennt werden. | |
Es macht Spaß, den – im Vergleich mit den Königspinguinen – kleinen | |
Eselspinguinen bei Versuchen zuzugucken, ins Wasser zu springen. Das kann | |
dauern, bis das Wasser frei ist von anderen umherschwimmenden Pinguinen – | |
und bis die Sprungwilligen ihre Angst überwunden haben, aus großer Höhe zu | |
springen. Süß – weil: Das kann man ja alles selbst. Die Königspinguine | |
watscheln auf den höheren Flächen der Felslandschaft. Niemand von ihnen | |
springt. | |
Anderntags schreibt Frau Hansen, sie könne leider meine Fragen nicht weiter | |
beantworten. Nach Rücksprache mit den Tierpflegern sei es doch so, dass | |
homosexuelles Verhalten nicht beobachtet worden sei. Ach, es ist ein | |
Jammer. Als Tierbestauner kann man ziemlich gut sehen, wie sehr unter den | |
umherwatschelnden Königspinguinen, wenngleich beim Springen mutlos, Paare | |
miteinander verbunden sind. Man sieht es auf Anhieb! | |
Irgendwie scheint man mit der Sache nicht herausrücken zu wollen. Es ist, | |
als wäre man noch im frühen 20. Jahrhundert, als im Edinburger Zoo zwei | |
Pinguine Namen erhielten, einen männlichen und einen weiblichen Vornamen. | |
Auch als sich herausstellte, dass es zwei männliche Pinguine waren, | |
behielten sie ihre Namen: Der Glaube an den Naturglauben ließ auch damals | |
alle Fakten bedeutungslos werden. Es sollte nicht sein, was nicht sein | |
darf. | |
## Tierparks sind Domänen des Staunens | |
Was an die Geschichte von vor einigen Jahren erinnerte, als der | |
Bremerhavener Zoo weibliche Pinguine aus Stockholm importierte. Zeitungen | |
schrieben hinterher von „Sexarbeiterinnen“ zwecks | |
Zwangsheterosexualisierung in der Pinguinwelt, weil man an der Nordsee | |
partout Pinguinnachwuchs haben wollte und hoffte, ein bestimmtes Männerpaar | |
auseinanderzubringen. Das scheiterte – der Ruf des Zoos und seiner | |
Zooleiterin litt einige Jahre erheblich, inklusive eines verdienten | |
Shitstorms der Global-LGBTI*-Community. | |
Niemand der Zooverantwortlichen sagt es einem offiziell, aber wahr ist ja | |
auch, dass die meisten Besucher nicht mit Schwulitäten – der Kalauer möge | |
verziehen sein – in Kontakt kommen wollen. Tierparks sind Domänen des | |
Staunens über eine (wenngleich gefangene) Natur, die man sich wünscht. Mann | |
und Frau und Kinder und Glück und „So muss es sein“/ „so wie bei uns“. | |
Sonst könnten ja die Kinder verschreckt werden, das heißt, genauer gesagt, | |
die Eltern. Denn Kinder finden, allen Beobachtungen nach, das Regelhafte in | |
Ordnung, das Andere schlechthin aber nicht minder interessant. | |
Insofern ist es für Hagenbeck sehr schade, dass man nicht cool genug ist, | |
einfach mal Werbung zu machen mit dem Slogan: „Hereinspaziert – jetzt mit | |
schwulen Pinguinen!“ Oder: „Jedem Tierchen sein Pläsierchen – ab sofort | |
auch lesbisch“. Aber zu sagen, dass man im Eismeer derlei nicht habe | |
feststellen können: das ist doch sehr lieblos und blind. Der New Yorker Zoo | |
im Central Park hatte mal eine ganze Werbeaktion auf zwei schwule Pinguine | |
aufgebaut – mit seinerzeit allergrößtem Publikumserfolg. | |
Was für ein Schock, als der eine dann doch genug vom anderen hatte – und | |
plötzlich zu einem weiblichen Exemplar wechselte: Selten, aber so was kommt | |
eben vor. | |
20 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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