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# taz.de -- Kolumne „Wir retten die Welt“: Wir lassen keine Milbe walten
> Die Ökos jammern über den Verlust der Artenvielfalt. Ich spreche vom
> Milbenmassaker, vom Raubzug gegen Silberfische und nenne es
> Frühjahrsputz.
Bild: Auch ohne giftige Chemie ist der Hausputz ein Angriff auf die ökologisch…
Halblaut denke ich vor mich hin, als ich schon auf den Knien liege: „Wie
putzen eigentlich Buddhisten und Veganer?“ Die harten Bodendielen in der
Küche schmerzen, trotzdem wische ich eifrig mit dem dreckigrosa Schwammtuch
die Spinnweben unter der Spüle weg.
In den mausgrauen und mausgroßen Staubgewöllen vor mir tummeln sich
garantiert Milliarden von Kleinst-Käfern, Winzig-Würmern und noch nicht
entdeckten Lebensformen. Was täte ich, wenn ich keine von ihnen töten
dürfte? Die Gegend zwischen Herd und Spülmaschine zum Naturpark erklären?
Und dann irgendwann ausziehen?
Eine Ecke weiter krieche ich mit dem fauchenden Staubsauger ins Bad.
Wahrscheinlich ist es eine Umwelt-Verordnung der EU-Bürokraten, die
vorschreibt, dass der Saugrüssel immer genau einen Zentimeter breiter ist
als die Ritze zwischen Wand und Schrank, wo sich der Dreck sammelt.
Frühjahrsputz ist Plackerei und Frust. Und wenn man genau darüber
nachdenkt: von der Ökobilanz her so etwas wie eine rücksichtslose Treibjagd
quer durch den Garten Eden.
Was ich allein in den paar Stunden mit dem Wischmop an Biotopen, Symbiosen
und kompletten Ökosystemen vernichtet habe! Der Staubsauger schluckt die
Milben-Kolonien, das Wischtuch zerfetzt das filigrane Gewebe der
Arachniden, der Besen vertreibt noch die letzten Feinkostkäfer in die
Bodenritzen. Der zähe schwarze Schleim im Abflussknie kündet schon durch
seinen Geruch von brodelnder biologischer Vitalität.
Nein, da gibt es nichts zu beschönigen: Frühjahrsputz ist ein
Frontalangriff auf die ökologische Integrität unserer Wohnung. Der
Sauberkeitsterror von fünf Exemplaren der Gattung Homo sapiens urbanus
gegen ein ganzes Universum von wehrlosen Kreaturen.
Und es bleib nicht beim Milbenmassaker und dem Raubzug gegen Silberfische.
Der Düsenantrieb des Staubsaugers macht mehr Lärm als ein startender
Airbus. Wenn ab und zu eine unschuldige Motte durch die Wohnung flattert,
löst meine Frau einen gut organisierten Vernichtungsfeldzug aus. Und als
ich die Fußmatten auf dem Balkon ausschlage, geht in der ganzen
Nachbarschaft der Feinstaubalarm los.
## Not In My Bathroom, You!
Da hilft es wenig, dass mein Putzfimmel heute weniger ökologischen
Flurschaden anrichtet als noch vor ein paar Jahren. Immerhin warnt das
Umweltbundesamt, jährlich würden in Deutschland 220.000 Tonnen
Haushaltsreiniger und 260.000 Tonnen Spülmittel verkauft. Das sind zwar
nicht mehr die Giftcocktails früherer Tage, aber immer noch gut für
Hautreizungen, belastete Gewässer und überdüngte Äcker.
Ganz böse: WC-Reiniger mit Chlor oder anorganischen Säuren. Es muss ja
nicht immer die Chemiekeule sein, raten die Experten aus dem UBA:
„Gelegentlich kann grober Schmutz, zum Beispiel Sand, sogar allein mit
Besen, Handfeger und Kehrblech beseitigt werden.“ Was täten wir ohne die
lebenspraktischen Ratschläge unserer obersten Bundesbehörden? Kämen Sie
jemals auf die Idee, den Staub in der Ecke einfach so mit Handfeger und
Kehrblech wegzuputzen?
Bei uns jedenfalls rennen die Kehrwochen-Gegner offene Badezimmertüren ein.
Erstens putzen wir so wenig, dass praktisch immer Schonzeit für Wanzen und
Motten herrscht. Zweitens wird geschrubbt eigentlich nur mit Essig,
drittens werden Glasflächen am saubersten, wenn man dafür nur Wasser und
Zeitungspapier nimmt. (Das ist übrigens die letzte Daseinsberechtigung für
Zeitungen, die wir aus toten Bäumen herstellen: Versuchen Sie mal, Ihren
Spiegel mit dem iPad zu reinigen.)
Aber es hilft nichts: So sehr ich sonst überall und jederzeit die
Biodiversität auf diesem Planeten verteidige: Wenn es um unser Badezimmer
geht, stelle ich ein ausgewachsenes NIMBY-Syndrom an mir fest: Not In My
Bathroom, You!
Trösten kann mich bei diesem Frevel Umweltministerin Barbara Hendricks. Sie
hat untersuchen lassen, wie wichtig die Ökologie in der Stadt ist. Fazit:
sehr wichtig. „Gerade einkommensschwache und ältere Menschen nutzen die
Stadtnatur besonders häufig.“
Als tazler jenseits der 50 bin ich also genau in dieser Zielgruppe. Aber
wirklich beruhigt hat mich eine Entdeckung unserer Tochter. Sie schaute
gestern unter den Herd, wo ich letztens noch gewienert hatte, und schrie
auf: „Iiiih, Papa, hier ist ja wieder alles voller Spinnweben!“ Ökologie
lässt sich eben nicht so einfach wegputzen. Auf lange Sicht siegen doch
immer die Wunder der Natur.
30 Apr 2016
## AUTOREN
Bernhard Pötter
## TAGS
Putzen
Schwerpunkt Artenschutz
Biodiversität
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Schwerpunkt AfD
Öl
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