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# taz.de -- Doku über Trümmerfrauen: Alles für die Heimat?
> In der Doku „Mythos Trümmerfrau“ dekonstruieren Judith Voelker und Julia
> Meyer das Bild von der tapferen und zupackenden Deutschen.
Bild: Spaß beim Enttrümmern?
Lobte man die Dokumentation „Mythos Trümmerfrau“ dafür, dass sie ein weit
verbreitetes Bild korrigiert, wäre das berechtigt. Es wäre aber auch
untertrieben. Denn die Dokumentation von Judith Voelker und Julia Meyer,
die die ARD heute zum Abschluss der zweiten Staffel der Geschichts-TV-Reihe
„Akte D“ ausstrahlt, leistet mehr. Sie zeigt nicht nur, wie in der
Öffentlichkeit ein Bild der Nachkriegszeit entstanden ist, das mit der
historischen Realität wenig zu tun hat, sondern auch, wie dieses Bild in
den letzten rund 70 Jahren immer wieder anders inszeniert und
instrumentalisiert wurde.
Die heldenhafte, opferbereite Frau, die, bestenfalls mit Eimern und
Schaufeln ausgestattet, Trümmer beseitigt – die Basis für dieses Bild
schufen noch die Nationalsozialisten. Sie verbreiteten Fotos und
Filmaufnahmen von schick gekleideten und trotz harter Arbeit heiter
wirkenden Frauen. Dabei handelte es sich aber um Schauspielerinnen.
Entfernt vergleichbare Inszenierungen gab es auch nach dem Krieg: Der
deutsch-amerikanische Oscar-Preisträger William Wyler drehte 1945 Filme mit
Trümmerfrauen. Auf den Bildern, die die ARD-Autorinnen zeigen, sind Frauen
zu sehen, die genervt sind von Regieanweisungen.
Im Kern macht „Mythos Trümmerfrau“ deutlich: Die Aufräumungsarbeiten
erledigten – und es ist erstaunlich, dass man es betonen muss – in erster
Linie Baufirmen mit ihren Maschinen. Zumindest im Westen Deutschlands war
nur ein Bruchteil der weiblichen Bevölkerung an der Schutträumung beteiligt
– und das auch nur wenige Monate lang. Vor allem aber machte das niemand
freiwillig. Judith Voelker und Julia Meyer erinnern daran, dass die Nazis
während der Krieges Zwangsarbeiter dazu verpflichtete, einen großen Teil
des durch Bombenangriffe entstandenen Schutts zu beseitigen. In der
Nachkriegszeit waren es dann die Alliierten, die deutsche Kriegsgefangene
und NS-belastete Frauen mit Trümmerarbeit bestraften. Andere Frauen
schufteten in den Ruinen, um bessere Essensrationen zu bekommen.
Faszinierend ist, dass sich das Bild im Westen und im Osten Deutschlands
unterschiedlich entwickelte. In Westdeutschland war es nur kurzzeitig
positiv konnotiert, hier etablierte sich die Sichtweise, die
Schutträumerinnen seien vor allem Opfer des Krieges. In der sowjetisch
besetzten Zone erwies sich die Trümmerfrau dagegen als „die Idealbesetzung
für den Prototyp sozialistische Frau“, wie es Gunilla Budde,
Geschichtsprofessorin an der Uni Oldenburg, im Film formuliert.
Bezeichnend, so Budde, seien die Unterschiede zwischen den
Trümmerfrauen-Denkmälern in Ost und West. Während in DDR-Städten welche
entstanden, die Optimismus ausstrahlen, zeigt etwa ein Denkmal im alten
Westberlin eine traurige Frau.
## Substantielle Beiträge
Mitte der 1980er Jahre dann eine überraschende Wende. Als Reaktion auf eine
Rentenreform, die Mütter der Geburtsjahrgänge vor 1921 benachteiligte,
definierte die Seniorenbewegung den Begriff „Trümmerfrau“ nun um zu einer
Bewunderung ausdrückenden Sammelbezeichnung für sämtliche Frauen der
Wiederaufbaugeneration. Rechtzeitig zur Wiedervereinigung näherten sich die
in Ost und West verbreiteten Bilder also wieder an.
Hervorzuheben ist an dieser Dokumentation auch die exzellente Auswahl der
InterviewpartnerInnen. Jeder O-Ton der beteiligten Historikerinnen und
Historiker – unter ihnen die Historikerin Leonie Treber, die 2014 ein
bahnbrechende Dissertation zum Thema veröffentlichte – hat Substanz. Nicht
zuletzt ist „Mythos Trümmerfrau“ eine implizite Kritik an jenen vielen
Geschichtsfernsehmachern, die kaum hinterfragen, wie die von ihnen
verwendeten Bilder entstanden sind.
25 Apr 2016
## AUTOREN
René Martens
## TAGS
ARD
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Deutsche Geschichte
NS-Verfolgte
Ost-West
Heimkinder
Familie
Bundespräsident
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