# taz.de -- Notunterkünfte in Berliner Turnhallen: „Es gab eine große Verun… | |
> In zwei Hallen seines Vereins leben Flüchtlinge. Auf andere Orte | |
> auszuweichen koste Geld und Mühe, so Jörg Zwirn. Trotzdem empfindet er | |
> die Klagen mancher Clubs als befremdlich. | |
Bild: Hier wird jetzt gewohnt. | |
taz: Herr Zwirn, wie wichtig darf Sport sein, wenn Menschen Obdach | |
brauchen? | |
Jörg Zwirn: Es geht nicht um Sport versus Obdach für Geflüchtete, sondern | |
um die Frage, wie sinnvoll Sporthallen als Unterkunft sind. Meiner Meinung | |
nach sind sie das nicht. Das hätte man anders lösen müssen. | |
Was wäre denn die Alternative gewesen? | |
Nach meiner Wahrnehmung wurde nicht ernsthaft genug nach Alternativen | |
gesucht. Ich weiß zum Beispiel, dass der Bezirk Pankow relativ früh eine | |
Liste mit geeigneten Gebäuden an den Senat gemeldet hat, die unbeachtet | |
blieb. Andere Städte wie Hamburg haben ja auch weitgehend auf eine Nutzung | |
von Sporthallen als Notunterkünfte verzichtet. | |
Ihr Verein ist einer der am stärksten betroffenen Sportvereine in Berlin. | |
Haben Sie denn grundsätzlich Verständnis für die Beschlagnahmung von | |
Hallen? | |
Seit November sind zwei unserer großen Sporthallen besetzt. Davon sind | |
1.400 SportlerInnen betroffen. Natürlich hatten wir Verständnis dafür, dass | |
möglicherweise Hallen mit Flüchtlingen belegt werden. Was uns eher geärgert | |
hat, war die fehlende Kommunikation. Das Landesamt für Gesundheit und | |
Soziales (Lageso) ist wie ein Geheimdienst vorgegangen. Die haben zehn | |
Minuten vorher Bescheid gegeben, dass die Halle geräumt werden muss. Und | |
wir haben Spezialfälle, etwa die 90 RollstuhlsportlerInnen. Ein Sprinter | |
ist jetzt ständig unterwegs und bringt die Stühle von einer Halle zur | |
anderen. Der Aufwand ist immens. Alle Beteiligten arbeiten derzeit doppelt | |
so viel wie vorher. | |
Haben Sie sich von den Behörden alleingelassen gefühlt? | |
Anfangs ja. Ungefähr einen Monat nach unserer Beschwerde kamen aber | |
plötzlich Reaktionen. Und wir haben mit den Sportämtern sehr gute | |
Kooperationen und viele Ausweichquartiere bekommen. Das war allerdings mit | |
hohen Kosten verbunden. Gerade für unsere behinderten SportlerInnen | |
brauchen wir spezielle Materialien. Weil wir jetzt in mehreren Hallen sind, | |
mussten wir die mehrfach anschaffen. | |
Es gibt doch einen Ausgleichsfonds. | |
Da kann man aber leider nur Transportkosten und Mietkosten geltend machen. | |
Das ist ein Fonds von 1,5 Millionen, der nie abgerufen werden wird, weil | |
kein Verein so hohe Transportkosten hat. Die Mehrkosten bis Ende 2016 | |
werden für uns wahrscheinlich in Höhe von 50.000 Euro liegen. Wir rechnen | |
außerdem mit Austritten von 5 Prozent der beteiligten Mitglieder. Da einen | |
Überblick zu bekommen ist natürlich schwer, denn Leute, die wegen der | |
besetzten Hallen austreten, schreiben das ja nicht in ihre Austrittsmails. | |
Solche Klagen sind Wasser auf die Mühlen der Rechten – die Karower Dachse | |
hatten schon die NPD vor der Halle. | |
Bei uns ist die Situation völlig anders: Hier im Winskiez ist das | |
Epizentrum des liberalen Bürgertums. Da hingen schon die „Refugees | |
Welcome“-Schilder an der Halle, bevor die Flüchtlinge überhaupt da waren. | |
Wir kennen solche Probleme nicht. | |
Trotzdem haben Sie im Winter die wachsende Ungeduld Ihrer Mitglieder | |
beklagt. | |
Es gab anfangs eine relativ große Verunsicherung. Einige Kollegen waren | |
regelrecht geschockt. Aber dann hat sich schnell eine gute Stimmung | |
entwickelt; auch weil wir untereinander mehr kooperieren mussten, als wir | |
das normalerweise tun. Und nicht zu vergessen: Die Aufmerksamkeit der | |
Presse hat um gefühlte 2.000 Prozent zugenommen. | |
Die Sorge war letztlich größer als der tatsächliche Schaden? | |
Die Sorge im Winter war ja berechtigt. Das Vorgehen des Lageso hatte mit | |
demokratischer Kultur nicht mal ansatzweise etwas zu tun. Hätten sie besser | |
mit den Bezirken kooperiert und koordiniert Hallen beschlagnahmt, hätte es | |
nicht einen Verein wie die Karower Dachse komplett aus den Latschen | |
gehauen. Es sah eine Weile aus, als gebe es überhaupt keinen Plan. Das | |
macht natürlich Angst. Irgendwann kam aber dann die Meldung: Wir | |
beschlagnahmen keine Hallen mehr. Das hat den Druck bei uns rausgenommen. | |
Sie mussten als flüchtlingsfreundlicher Verein darauf hoffen, dass die | |
Flüchtlingszahlen reduziert werden? | |
Natürlich, diesen Zwiespalt gibt es. Aber die Hallenproblematik hat nicht | |
dazu geführt, dass wir unsere Haltung gegenüber Flüchtlingen verändert | |
haben. | |
Wie haben Sie die teils massiven Beschwerden anderer Vereine wahrgenommen? | |
Ich fand es schon befremdlich, dass einzelne Vereine ihre Arbeit in der | |
Situation als so wichtig dargestellt haben. Beispielsweise wurde immer die | |
Beschlagnahmung des Horst-Korber-Zentrums als großer Skandal dargestellt, | |
dabei ist es für Profivereine oder Verbände deutlich leichter als für uns, | |
einen Ausweichort zu finden. | |
Nun wird das Horst-Korber-Zentrum auch aufgrund des Drucks vom | |
Landessportbund schon im Mai freigegeben, ebenso die Rudolf-Harbig-Halle. | |
Was halten Sie davon? | |
Das ist ein wichtiger Schritt. CDU-Sozialsenator Mario Czaja sprach ja auch | |
von fünf weiteren Hallen, die im Mai frei werden sollen. Drei davon sollen | |
in Pankow sein. Ich bin guter Hoffnung, dass unsere Sporthalle in der | |
Malmöer Straße eine dieser drei Hallen sein wird. Auch die Idee, auf einem | |
Turnhallengipfel einen koordinierten Ausstieg zu planen, finde ich nicht | |
schlecht. Für uns ist es wichtig, über Zwischenstände informiert zu werden. | |
Die Hallen müssen ja auch noch saniert werden. | |
Was ja eine Weile dauern könnte … | |
Ich rechne damit, dass die Sanierung zwischen vier und sechs Monaten | |
dauert. Vielleicht können wir schon Ende des Jahres in unsere Hallen | |
zurück. | |
Der Senat hat angekündigt, die Hallen würden erst bis Ende des Jahres leer | |
werden. Und dann käme noch die Sanierung. | |
Das reicht uns nicht. Wir müssen die Sporthallen Anfang des nächsten Jahres | |
nutzen können. Wir sind ein Verein ohne nennenswerte Rücklagen – wir würden | |
dieses System nicht noch zwei Jahre aushalten. | |
Wie lange wäre die Situation denn tragbar? | |
Das lässt sich schwer abschätzen. Wir planen erst mal damit, dass das | |
restliche Jahr 2016 nichts passiert. Blöderweise sind im September Wahlen, | |
und möglicherweise sind viele Leute, mit denen man vorher Absprachen | |
getroffen hat, dann nicht mehr da. Da müssen wir wach sein. | |
Dadurch, dass kaum noch Flüchtlinge nachkommen, ist ein Ende der Situation | |
aber für Sie doch absehbar. | |
Wir machen uns auch nicht mehr wirklich Sorgen. Wir sind guter Hoffnung, | |
dass wir das spätestens 2017 geregelt kriegen. | |
25 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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