| # taz.de -- Kino und Kindheit: „Kinder waren sehr populär“ | |
| > Zum 21. Internationale Filmsymposium in Bremen: Die Filmwissenschaftlerin | |
| > Bettina Henzler über Kinder im Film | |
| Bild: Das perfekte Beispiel im Bremer Filmsymposium: Charlie Chaplin mit Jackie… | |
| taz: Frau Henzler, beim Bremer Symposium zum Film geht es dieses Jahr um | |
| das Thema „Kino und Kindheit“. Wird man dort auch etwas darüber erfahren, | |
| wie Kinder Filme wahrnehmen? | |
| Bettina Henzler: Seit der Frühzeit des Film stellt sich die Frage, wie | |
| Kinder mit dem Film umgehen und was die Reaktionen von Kindern über das | |
| Medium und die Filmerfahrung verraten. Aus der pädagogischen Perspektive | |
| gab es da oft die Angst, das etwas Unkontrollierbares auf die Psyche der | |
| Kinder übergreifen könnte. In der Cinephilie wiederum wurde die bildende | |
| Wirkung von Filmen – als Alternative zur schulischen Bildung – besonders | |
| betont. | |
| Hat sich das geändert? | |
| Heute muss man diese Frage neu stellen, weil sich die medialen Gewohnheiten | |
| angesichts der Digitalisierung so geändert haben. Zur Rezeption auf kleinen | |
| Bildschirmen und im Internet kommt jetzt auch die eigene Produktion dazu. | |
| Inzwischen können Achtjährige mit Handy und Computer selber Filme drehen | |
| und diese dann sogar schneiden. Gibt es darüber schon Untersuchungen? | |
| Wir haben auf dem Symposium Leute eingeladen, die sich speziell mit diesem | |
| Thema beschäftigen. Bei deren Ansätzen gibt es eine große Bandbreite. | |
| Einige erforschen, wie Kinder mit Filmen umgehen, etwa in Italien, andere | |
| arbeiten pädagogisch in Filmprojekten mit Kindern. Die zeigen Kindern Werke | |
| der Filmgeschichte, und untersuchen, wie diese mit ihren selbst gedrehten | |
| Filmen darauf antworten. | |
| Nun spielen Filme, deren Zielpublikum Kinder sind, bei Ihrem Symposium aber | |
| kaum eine Rolle. Warum konzentrieren Sie sich auf Filme, die eher mit | |
| Kindern als für Kinder gedreht wurden? | |
| Wir wollten ganz bewusst nicht von Produktionslogiken her denken und dabei | |
| bestimmte Vorstellungen vom Kind zugrunde legen. Wir wollten vielmehr die | |
| Frage nach dem Verhältnis von Kindheit und Film stellen. | |
| Was bedeutet das? | |
| Das schließt ein, dass Kinder auch andere Filme als Kinderfilme sehen | |
| können, aber auch, dass erwachsene Zuschauer im Kino möglicherweise | |
| kindliche Wahrnehmungen teilen können. Das Kino zeigt uns nicht nur etwas, | |
| sondern es versetzt uns auch in andere Zustände. Weil es als audiovisuelles | |
| Medium verschiedene Sinne anspricht, kann es uns Erfahrungen von Kindheit | |
| vermitteln wie kein anderes Medium. | |
| Kinder und Tiere gelten als die Schrecken vieler Regisseure, weil sie vor | |
| der Kamera so schwer zu kontrollieren sind. Aber es gab auch immer wieder | |
| Kinderdarsteller, die so natürlich spielten, dass die Filme mit ihnen eine | |
| ganz andere Qualität bekamen. Was interessiert Sie an dem Phänomen Kinder | |
| in der Filmproduktion? | |
| Kinder waren schon im frühen Kino sehr populär. Die Zuschauer waren damals | |
| von Kindern als Darsteller besonders fasziniert, weil an ihnen die | |
| Eigenschaften des Mediums besonders gut hervortraten. Die schnell | |
| wechselnde Gestik und Mimik und die nicht genau vorhersehbaren Handlungen, | |
| die das Medium Film aufzeichnen kann, ohne dass sie kontrolliert werden. In | |
| Bezug auf den Kinderdarsteller stellt sich immer die Frage nach dem | |
| Verhältnis von Schauspiel und Dokumentation. Es ist interessant, sich die | |
| lange Tradition der Kinderdarsteller anzuschauen. | |
| Dafür haben Sie ja mit Jackie Coogan in Chaplins „The Kid“ ein perfektes | |
| Beispiel im Programm. | |
| Dabei fragen wir nicht nur, inwieweit Bilder von Kindern und Kindheit | |
| konstruiert werden, die auch kulturgeschichtlich eine lange Historie haben. | |
| Es geht uns auch darum, in welchem Rahmen Kinder als Darsteller die Filme | |
| mitgestalten können. Das hat viel mit der Haltung der Regisseure den | |
| Kindern gegenüber zu tun: damit, ob sich die Regie auf das Kind einlässt | |
| oder es nur auf die jeweilige Rolle beschränkt. Da gibt es wunderbare | |
| Beispiele aus der Filmgeschichte wie die Filme mit Kindern von Francois | |
| Truffaut. | |
| In seinem Langfilmdebüt „Sie küssten und sie schlugen ihn“ erzählt Truff… | |
| von seiner eigene Kindheit. Er hat sich an diesem Thema sein Leben lang | |
| abgearbeitet. | |
| Von ihm stammen Äußerungen, dass man das Kind zum Mitspieler machen soll. | |
| Das passt auch zur Ästhetik. Bei der Nouvelle Vage handelt es sich auch um | |
| moderne Regisseure aus anderen Ländern, die die Realität anders darstellen | |
| als in den klassischen Hollywood-Produktionen: Man drehte mit leichteren | |
| Kameras, an realen Schauplätzen und mit Laiendarstellern. In dieses Konzept | |
| passt die Arbeit mit den Kindern sehr gut hinein. | |
| Sie haben aber keinen Film von Truffaut im Programm, dafür aber „Pierrot le | |
| Fou“ von Jean-Luc Godard. Warum? | |
| Das war der Vorschlag von Alain Bergala, der darüber nachgedacht hat, | |
| inwiefern es Kindheit in Filmen gibt, in denen gar keine Kinder als | |
| Darsteller vorkommen. Er sagt, es gibt in „Pierrot le Fou“ eine | |
| spielerische Haltung, die sich in der Ästhetik und im Spiel der Darsteller | |
| zeigt und die vergleichbar ist mit dem Spiel in der Kindheit. | |
| Sind die guten Regisseure Kindsköpfe geblieben? | |
| Das ist eine Analogie, auf die man immer wieder trifft, so auch bei | |
| Chaplin: Schöpfen Künstler im kreativen Prozess aus der eigenen Kindheit? | |
| 21 Apr 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Wilfried Hippen | |
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